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# taz.de -- Rapper Finch Asozial im Interview: „Erfolg ist die beste Rache“
> Der einstige Battle-Rapper Finch Asozial über das Ironieverständnis
> seiner Fans, über sexistische Texte und Brandenburg.
Bild: Finch Asozial
Ein Schnellrestaurant am Tempelhofer Damm. Die frittierten Hähnchenteile,
die hier serviert werden, sind ebenso halal wie die Burger gegenüber. An
der nächsten Ecke ist Woolworth, ein paar Meter weiter eine Filiale des
Second-Hand-Kaufhauses Humana. Finch Asozial hat verschlafen, er ist eine
halbe Stunde zu spät, weil er erst heute Vormittag gelandet ist von einem
Kurztrip nach Mallorca, wo er im Sauf-Tempel Megapark drei Songs gespielt
hat. Der Ausflug war ein Test, ob der Chartsstürmer aus Brandenburg auch am
Ballermann funktioniert. Finch bestellt ein halbes Hähnchen, Fritten,
Hummus und Fladenbrot. Das Gespräch kann losgehen.
taz: Herr Asozial, zum Einstieg ein kleines Quiz zu Ihrer Heimatstadt. Wie
heißt der Bürgermeister von Fürstenwalde?
Finch Asozial: Als ich weggezogen bin, hieß der Hengst. Jetzt, wo ich nicht
mehr da wohne, weiß ich das nicht mehr. Aber ich habe gehört, es gab Wahlen
und es ist ein Jüngerer geworden.
Genau. Auf Hans-Ulrich Hengst folgte 2018 Matthias Rudolph von der BFZ. Das
steht für Bündnis Fürstenwalde Zukunft, das extra für diese Wahl gegründet
wurde.
Siehste.
Wie viele Einwohner hat die Stadt?
Ich glaube 32.000 oder 33.000.
Sehr gut. Es sind genau 32.098.
Es waren mal über 34.000. Wird immer weniger.
Städtepartnerschaft?
Irgendwas mit Reichen. Rein… Reinen…
Reinheim.
Siehste. In NRW.
Ihre Heimat Brandenburg spielt in Ihren Songs immer wieder eine Rolle. Was
macht den Brandenburger aus?
Erst mal berlinert er viel stärker als der Berliner selber. Daran erkennt
man ihn sofort. Außerdem hat er ein großes Herz, ist loyal, und er ist sehr
freundlich.
Ach, das sehen aber nicht viele so.
Bin ich nicht freundlich? Ich bin doch megafreundlich. (imitiert einen
bedrohlichen Tonfall) Oder wollen Sie was anderes sagen?
Der Boulevardzeitung B.Z. haben Sie mal gesagt: „Bei mir und meinen Kumpels
ging es immer um Fußball, Trinken und nun ja … Brandenburger Leben halt.“
Ist Brandenburg wirklich so?
Ja, ich finde schon, dass die Geselligkeit in Brandenburg eine große Rolle
spielt. Die Leute sitzen nicht so gern allein zu Hause und saufen. Und wenn
man in der Gruppe unterwegs ist, wird es generell schwierig, nicht
mitzutrinken. Was soll man sonst auch machen? Als ich klein war, gab es
noch einen Jugendclub. Auf den Dörfern gibt es das alles nicht mehr, erst
recht nicht ein Angebot wie in der Stadt – aber immerhin noch einen
Fußballverein. Also schrauben sich die jungen Leute jeden Tag nach dem
Fußballtraining einen rein. Oder ziehen gleich weg.
Wer hat mehr für das Image Brandenburg getan: Sie oder Rainald Grebe?
Ich weiß leider nicht, wer Rainald Grebe ist. So geschichtsbewandert bin
ich nicht, ich hab in der Schule zu wenig aufgepasst.
Der ist keine historische Figur, sondern ein Sänger, und „Brandenburg“ ist
eines seiner bekanntesten Lieder: „In Brandenburg ist mal wieder jemand
gegen einen Baum gegurkt.“
Ach der. Finde ich jetzt nicht so lustig. Ist der Brandenburger?
Nein, ursprünglich nicht, aber er hat ein Haus in der Uckermark.
Dann sollte er erst recht nicht lästern. Ich mag nicht, dass sich so viele
über Brandenburg lustig machen und nur das Hässliche darstellen.
Machen Sie sich nicht auch lustig über Brandenburg?
Nein. Wenn, dann mache ich mich über den Osten lustig. Ich spiele mit
gewissen Klischees, die dem Osten immer auferlegt werden. Aber Brandenburg
wird von mir immer hochgejubelt. Ich bin nicht wie andere, die nach Berlin
kommen und dann nichts mehr von ihrer Herkunft wissen wollen. Ich sage oft
und gern, ich bin Fürstenwalder – in Berlin wohne ich nur.
Warum sind Sie dann nach Berlin gekommen?
Damals, als ich herkam, war der Job der Grund. Ich konnte nicht jeden Tag
von Fürstenwalde hierher pendeln. Aber ich gebe zu, ich genieße
mittlerweile den Luxus, den Berlin bietet. Dass man mitten in der Nacht was
Warmes zu essen kriegt, dass man sich in eine Bar setzen kann, wann immer
man Lust hat. Du hast hier alle Möglichkeiten: Wenn du deine Ruhe haben
willst, fährst du raus nach Köpenick. Willst du Trubel, fährste zur
Warschauer Straße.
Was ist Heimat für Sie? Was ist zu Hause?
Zu Hause ist da, wo man wohnt, also in meinem Fall Berlin. Und Heimat ist
da, wo man aufgewachsen ist, also Fürstenwalde, Brandenburg.
Verfolgen Sie die Diskussionen um den Heimatbegriff?
Ich habe überhaupt keine Lust, mich damit zu befassen. Denn egal, was man
sagt: Man sagt eh immer nur was Falsches. Ich sehe das so: Ich gucke mir
den einzelnen Menschen an, und wenn der nett ist und mit mir cool ist, dann
bin ich mit dem cool – egal wo der herkommt, welche sexuelle Ausrichtung er
hat oder wie er sonst gestrickt ist. Aber was politisch gerade richtig oder
falsch läuft, das interessiert mich nicht. Ich guck auf mein Ding, jeder
ist seines Glückes Schmied. Man hat viele Möglichkeiten, man muss sie nur
nutzen. Und das mache ich gerade.
Klingt ziemlich neoliberal.
Kann sein.
Sehen Sie sich als Botschafter Brandenburgs?
Ich sehe mich als Brandenburger. Und ich habe das auch noch nie verleugnet.
Tatsache ist doch, dass es außer mir in der Musikwelt niemanden gibt, der
sagt: Yo, Brandenburg, das ist was Cooles. Aber bin ich Botschafter? Nee,
dazu ist mein politisches Wissen zu gering. Ich sehe mich eher als
Sprachrohr.
Was tun Sie, wenn die Verantwortlichen des Brandenburg-Marketings Humor
entwickeln sollten und Sie als Testimonial verpflichten wollen?
Was ist ein Testimonial?
Eine Werbefigur.
Schreiben die mir vor, was ich zu tun habe? Dann mache ich es nämlich
nicht. Aber wenn die mit mir werben wollen, so wie ich bin, dann: ja, klar.
Wenn ich ein, zwei Leute davon überzeugen kann, dass es doch ganz schön ist
in Brandenburg, dann ist das doch prima. Weil wir haben eine schöne Gegend.
Aber ich behaupte mal: In zehn Jahren spätestens sind die Leute, die jetzt
abgehauen sind aus dem Oder-Spree-Kreis oder aus MOL (Landkreis
Märkisch-Oderland, d. Red.), alle wieder zurückgekommen. Wenn ich mir mal
ein Haus leisten kann, würde ich auch wieder in die Richtung ziehen, wo ich
herkomme.
Wenn Sie sich schon als Sprachrohr fühlen, empfinden Sie da auch eine
Verantwortung?
Jeder, der in der Öffentlichkeit unterwegs ist und viele Leute erreichen
kann, hat eine Verantwortung. Und mit einer großen Reichweite hat man auch
eine große Verantwortung.
Wie nehmen Sie diese Verantwortung wahr?
Ich überlege mir schon, was ich in Interviews sage. Wenn ich persönlich
rauche, muss ich ja nicht noch Werbung dafür machen. Und auch wenn meine
Texte vielleicht mitunter etwas gröber sind, sage ich ausdrücklich: Hey
Leute, dit is Musik, ihr sollt jetzt nicht gleich rausgehen und euch
besaufen oder prügeln oder so eine Scheiße. Zugegeben, wenn man sich nur
meine Musik anhört als Außenstehender, könnte man leicht denken: Oh, mein
Gott.
Was genau könnte man denken, wenn man nur Ihre Songs hört?
Dann könnte man denken, dieser Finch Asozial hat absolut nichts auf der
Platte. Der will nur provozieren. Der ist ein frauenfeindlicher, homophober
Rassist, der Wessis hasst – also alles, was man jemandem vorwerfen kann.
Aber diese Vorwürfe stimmen nicht?
Es gibt Nils. Und es gibt die Kunstfigur Finch, die ja nicht umsonst
Asozial heißt mit Nachnamen.
Was ist asozial an Ihnen?
Ich sage ja nicht, dass mein Benehmen als Nils im Alltag asozial ist. Meine
Texte als Finch sind asozial. Und das sind sie doch – oder etwa nicht? Aber
dazu muss man auch wissen, dass ich vom Battle-Rap komme. Und da geht es
darum, auf der Bühne Sachen zu sagen, die man auf der Straße nicht sagen
könnte. In so einem Rap-Battle muss dann aber auch jede zweite Zeile
treffen – und das schwappt halt gelegentlich noch rüber.
Was unterscheidet Nils von der Kunstfigur Finch?
Es gibt natürlich einige Parallelen, die Kunstfigur hat ja echte Wurzeln.
Das Ostdeutsche, das Saufen, das ist ja alles nicht aus der Luft gegriffen.
Einiges von Finch steckt auch in Nils, das ist ja nicht ausgesponnen. Aber
es gibt auch einige Punkte, in denen sich die beiden unterscheiden. Dieses
dauerhaft Aggressive von Finch zum Beispiel, das ist nicht Nils. Mit mir
kann man ganz normal reden.
Ganz konkret: Besitzen Sie wirklich einen Fliesentisch?
Ja, ich besitze einen Fliesentisch.
Wann haben Sie Ihren letzten Pfeffi getrunken?
Vor drei, vier Tagen. Um das abzukürzen: Ich besitze auch tatsächlich eine
Schwalbe (in der DDR weit verbreiteter Motorroller, d. Red.), aber die ist
nicht zugelassen und steht zu Hause bei meiner Mutter in der Garage, weil
sie mir hier in Berlin bloß geklaut werden würde. Aus demselben Grund habe
ich auch momentan leider keinen Trabi, aber irgendwann werde ich mir sicher
noch einen holen.
Sie haben mal gesagt: „Ich kann zwischen der Realität und der Kunstfigur
schon gut unterscheiden.“ Wie viele Ihrer Fans können das auch?
Sehr viele. Ich sehe meine Fans ja auf den Konzerten – und die benehmen
sich jetzt nicht, nur weil sie meine Songs hören, wie die letzten
Neandertaler. Die allermeisten können ganz gut erkennen, was Ironie ist,
was überspitzt ist – und was Wahrheit ist. Ich kann natürlich nicht für
alle sprechen, aber es ist ja auch nicht meine Aufgabe, deren Erziehung zu
übernehmen. Da müssen die Eltern ja auch einen Teil zu beitragen, die sind
schließlich die Erziehungsberechtigten.
Finden Sie, dass Eltern sich aus ihrer Verantwortung stehlen?
Das würde ich nicht sagen. Aber auf jeden Fall wird auf Leute wie mich gern
mal Verantwortung abgewälzt. Wenn wieder ein Anschlag an einer Schule ist,
wird erst einmal das Zimmer von demjenigen untersucht, und wenn dann da
eine Bushido-CD steht, ist Bushido schuld. Und wenn da Counterstrike steht,
dann ist Counterstrike schuld. Aber sich mal mit dem Einzelfall zu
befassen, ob der Vater Säufer ist, ob die Mutter ihn geschlagen hat, das
findet nicht statt. Es wird immer nach der leichten Erklärung gesucht. Und
das ist oft halt der Rapper, dessen Texte angeblich zur Gewalt aufrufen.
Werden Sie oft mit solchen Vorwürfen konfrontiert?
Selten. Aber das mag daran liegen, dass ich momentan noch eher unter dem
Radar fliege. Ich bin ja kein Sido oder Bushido, bei denen gleich die
Debatten aufgemacht werden.
Sie haben allerdings auch schon gesagt, dass Sie einzelne Ihrer frühen
Songs wie „Sex & Gewalt“ und „Richtig saufen“ heute so nicht mehr machen
würden …
Ja, die würde ich heute nicht genau so noch einmal schreiben. Man kann
bestimmte Sachen heute eben einfach nicht mehr sagen. Heute ändere ich
lieber einen Satz, weil ich mir dann zwanzig Stunden Diskussionen erspare.
Ich habe „Sex & Gewalt“ und „Richtig saufen“ ja nicht gemacht, weil ich
schockieren wollte, sondern weil ich das in dem Moment lustig fand. Für den
Satz „Ein echter Mann kommt aus der Kneipe und er schlägt seine Frau“ aus
„Richtig saufen“, musste ich mich schon so oft rechtfertigen, da sage ich
heute lieber: Ich muss solche Sätze nicht mehr schreiben, ich kann auch mit
anderen Texten erfolgreich sein.
Aber waren es nicht genau solche Provokationen, mit denen Sie bekannt
wurden?
Ich glaube nicht, dass ich bekannt wurde, weil ich der bin, der aus der
Kneipe kommt und seine Frau schlägt. Sondern weil das, was ich mache,
überspitzt ist, weil es witzig ist, weil es Humor hat. Ich bin bekannt
geworden, weil ich der bin, der nicht vor einem Porsche, sondern vor einem
Trabi steht. Ich muss nicht immer provozieren und schocken, das ist nicht
mein Ziel.
Was ist dann Ihr Ziel?
Erfolg. Denn Erfolg ist die beste Rache. Ich habe mich früher sehr gern
aufgeregt über andere Künstler, ich habe gesagt, deren Musik sei billig und
scheiße. Aber dann habe ich mich gefragt: Wie kann das sein, dass die
trotzdem so viel erreichen? Heute finde ich diese Musik vielleicht immer
noch scheiße, aber es interessiert mich nicht mehr, ich rege mich nicht
mehr darüber auf. Denn irgendwann habe ich gemerkt: Ich kann noch mehr
Erfolg haben als die. Der Kuchen ist groß genug für alle.
Ich hätte ja gedacht, die Kunstfigur Finch Asozial hat auch eine politische
Botschaft.
Inwiefern?
Finch Asozial als Rache der Modernisierungsverlierer.
Das ist mir zu kompliziert.
Finch Asozial als Stimme jener, die sich abgehängt fühlen – vor allem im
Osten.
Ja, da könnte was dran sein. Ich glaube schon, dass Finch Asozial gehört
wird von Leuten, die sich veräppelt und immer über einen Kamm geschert
fühlen. Mich hört das einfache Volk, der kleine Mann. Wenn ich nur über
Mercedes, Goldketten und lila Scheine rappen würde, da würde sich der Tom,
Malerlehrling, 21 Jahre alt und eben so die Schule geschafft, wohl nicht
angesprochen fühlen, weil er ganz genau weiß, dass er das nie erreichen
wird. So einer wie Tom findet Finch Asozial gut, weil der sagt, dass der
Trabi, den er fährt, geil ist, und auch die alte Jogginghose, die er trägt,
und dass seine Haare zwar fettig sind, aber dafür sein Vokuhila cool ist.
Solchen Leuten wie Tom, denen gebe ich ein bisschen Selbstbewusstsein und
ein bisschen Mut fürs Leben.
25 Aug 2019
## AUTOREN
Thomas Winkler
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