# taz.de -- Mittelstand in der Coronakrise: Die Furcht vor einer L-Kurve | |
> Beim Ventilatorenbauer EBM-Papst läuft das Geschäft noch. Doch auch hier | |
> ist der Umsatz eingebrochen: Ein Firmenbesuch. | |
Bild: Nur mit Maske: Ventilatorenherstellung im baden-württembergischen Mulfin… | |
MULFINGEN taz | Es sind nicht die Masken, nicht die geschlossene Kantine | |
oder das Homeoffice, die den Mitarbeitern die größten Schwierigkeiten | |
machen. Die Bertriebsrätin Anja Burkhardt weiß das, weil sie viel mit den | |
Kolleginnen und Kollegen von [1][EBM-Papst] spricht. Nein, am | |
allerschwersten fiele es, dass man sich nicht mehr die Hand geben darf und | |
Abstand halten muss. Immer wieder diese Situationen, wo man sich früher zum | |
Hallo vielleicht auf die Schulter geklopft oder kurz umarmt hätte. | |
Noch immer zucken bei einer Begegnung auf dem Flur kurz die Hände | |
aufeinander zu und dann schnell wieder zurück, gefolgt von einem verlegenen | |
Lachen – ach ja, ist ja im Moment nicht erlaubt. Auch Monate nach den | |
ersten Sicherheitsmaßnahmen beobachtet Burkhardt immer wieder solche | |
Situationen auf den Gängen oder in den Werkshallen beim Schichtwechsel. | |
Eigentlich ist es schon die 16. Corona-Woche für die Mitarbeiter von | |
EBM-Papst in Mulfingen ganz im Nordosten von Baden-Württemberg kurz vor der | |
Grenze nach Bayern. Anja Burkhardt erinnert sich noch daran, als im Februar | |
die ersten Hiobsbotschaften aus China kamen. Als viele in Deutschland die | |
Atemwegserkrankungen noch für ein Phänomen im Fernen Osten hielten, waren | |
sie bei dem großen Mittelständler von ihrem China-Chef Thomas Nürnberger | |
schon gewarnt: Ein Virus könnte das Unternehmen in Schwierigkeiten bringen. | |
„Da war anfangs diese Ungläubigkeit bei uns“, sagt Burkhardt. In der | |
Belegschaft habe es Diskussion gegeben, ob man an Fasching noch in den | |
Skiurlaub nach Österreich fahren könnte. Von Hohenlohe sind es nur ein paar | |
Autostunden nach Tirol. | |
Hätten sie sich die Ferien in [2][Ischgl] besser mal verkniffen. Auf der | |
[3][Karte des Robert-Koch-Instituts] färbt sich der [4][Hohenlohekreis] | |
tiefrot: Fast 670 Coronafälle auf 100.000 Einwohner, das ist | |
deutschlandweit ein Spitzenwert, nur noch übertroffen im Fichtelgebirge. | |
Bis dahin hat man von Hohenlohe bundesweit wenig Notiz genommen. Höchstens | |
die Bausparkasse Schwäbisch Hall oder der Schrauben-Multi Reinhold Würth, | |
der größte Arbeitgeber in der Gegend, verfügen über einen größere | |
Bekanntheitsgrad. Mit seinen Schriftzug dominiert er die Industriegebiete, | |
aber auch Museen und Stiftungen. Und jetzt wegen der hohen | |
Infektionszahlen. | |
## 15.000 Beschäftigte weltweit, nur 15 Infizierte | |
Der Ventilatorenhersteller EBM-Papst hat seine Mitarbeiter mitten in der | |
roten Zone trotzdem ganz gut schützen können, meint Anja Burkhardt. Schon | |
Ende Februar durften keine Besucher mehr auf das Werksgelände kommen, die | |
Busfahrer der Werkslinien trugen Masken, dann kam das Homeoffice und alles, | |
was heute schon fast selbstverständlich ist. | |
Jetzt, vier Monate später, kann sich die Krankheitsbilanz der Firma sehen | |
lassen. Gerade einmal 15 Infizierte gibt es unter den 15.0000 | |
EBM-Mitarbeitern weltweit. Fast alle Infektionen traten in Deutschland auf, | |
keine einzige dagegen in dem Werk in der Lombardei, der italienischen | |
Region mit den vielen Tausend Coronatoten. | |
Jetzt beginnen die Öffnungen. Auf dem Werksgelände werden wieder Besucher | |
empfangen, und in der Kantine wird wieder richtig gekocht. Man tastet sich | |
vor in eine neue Normalität. Eine Normalität, in der Masken nicht nur im | |
Werk, sondern auch in der Verwaltung Pflicht sind und der Händedruck strikt | |
verboten bleibt. | |
Doch es werden allmählich auch die wirtschaftlichen Folgen für das | |
Unternehmen sichtbar. EBM-Pressesprecher Hauke Hannig verbindet telefonisch | |
mit dem Chef des Unternehmens und räumt dafür seinen Schreibtisch – | |
schließlich muss der Sicherheitsabstand zum Reporter gewahrt bleiben. | |
Stefan Brandl ist an diesem Tag wie die meisten der Mitarbeiter aus der | |
Verwaltung im Homeoffice. Seit zwei Jahren führt er das | |
Familienunternehmen. Er spricht von den Erfolgen: Wie es seinen | |
Mitarbeitern gelungen ist, in der Krise die Lieferketten zu sichern. Vom | |
Glück, dass EBM-Papst mit seinen Ventilatoren und Elektromotoren so breit | |
aufgestellt ist, dass man auch in der Krise immer weiterproduzieren konnte. | |
Vor allem war plötzlich die Nachfrage nach Ventilatoren für Beatmungsgeräte | |
groß, die das Unternehmen in einem Zweigwerk im Schwarzwald herstellt. | |
Doch auch diese Erfolge können eine entscheidende rote Zahl nicht tilgen: | |
25 Prozent beträgt das Umsatzminus im April im Vergleich zum | |
Vorjahresmonat. Die meisten Verluste hat das Werk im südbadischen | |
Herbolzheim zu verzeichnen, das die Automobilindustrie beliefert, sagt | |
Brandl. Da beträgt der Umsatzeinbruch sogar 60 bis 70 Prozent. Es ist das | |
einzige Werk, in dem die Geschäftsleitung die Arbeiter in Kurzarbeit | |
schicken musste. | |
Wenn ein Viertel des Umsatzes fehlt, wie lange kann ein Unternehmen das | |
überstehen? Na ja, sagt Brandl, mit Einsparungen wie Kurzarbeit, | |
Investitionsstopps und Krediten könne man ein Geschäftsjahr schon | |
einigermaßen überbrücken. Stefan Brandl hat schon die Finanzkrise von 2008 | |
als Manager bei EBM erlebt. Damals gab es ein Umsatzminus von 6,6 Prozent, | |
aber im nächsten Jahr dann plötzlich ein Wachstum von 33 Prozent. So ein | |
Aufschwung nach einer Krise sollte ja eigentlich ein Segen für ein | |
Unternehmen sein. Aber dieses exponentielle Umsatzwachstum habe im | |
Unternehmen enormen Stress erzeugt, erinnert sich der Firmenchef. Es | |
verlangte mehr von allem, und zwar sofort: mehr Produktion, also | |
Mitarbeiter, mehr Material, Überstunden und damit die Gefahr der | |
Fehleranfälligkeit. | |
## V, U, W oder L: Die Sache mit den Kurven | |
Brandl beschreibt diese stressige Entwicklung von damals als U-Kurve. | |
Tiefer Fall und dann ein steiler ungebremster Anstieg. Wenn er es sich | |
aussuchen könnte wäre ihm ein etwas sanfterer Anstieg nach der | |
Coronakrise, etwa in einer V-Kurve, lieber. Aber erst einmal müsse es | |
überhaupt wieder losgehen, sagt Brandl. Das Schlimmste wäre, wenn das | |
Wachstum wie ein „L“ verläuft, ein steiler Absturz wie gerade jetzt und | |
dann eine lange Stagnation auf niedrigem Niveau. Und auch vor dem „W“, also | |
den Folgen eines möglichen zweiten Shutdowns nach einem ersten kurzen | |
Aufschwung, hat er Angst. Aber die Wirtschaft ist halt kein | |
Kurven-Wunschkonzert, und immerhin geht es bei Brandls Unternehmen, anders | |
als bei kleineren Mittelständlern, noch nicht unmittelbar an die Existenz. | |
„Hier wird so schnell keiner entlassen“, ist Betriebsrätin Anja Burkhardt | |
überzeugt. Man reduziert erst einmal das Überstundenkonto. Zum Vertrauen in | |
der Belegschaft habe auch beigetragen, dass in der Krise zuerst die | |
Mitarbeiter aus Vertrieb und Verwaltung in Kurzarbeit geschickt wurden, | |
während in der Produktion mit voller Kraft – und Gehalt – weitergearbeitet | |
wurde. „Das kannte ich bisher nur umgekehrt“, sagt die Betriebsrätin. | |
Klar, es sei in diesen Krisenzeiten auch einmal laut geworden zwischen den | |
Arbeitnehmervertretern und der Geschäftsführung, sagt Burkhardt. Da ging es | |
ums Homeoffice und die Kontrolle der Leistungen. Aber auch das sei | |
ausgestanden. „Ich glaube, das Homeoffice hat es geschafft, auch für die | |
Zeit nach der Krise“, meint Burkhardt. Die Region ist ländlich geprägt, da | |
wohnen die Leute oft 10 oder 20 Kilometer vom Werk entfernt. Gerade Frauen | |
könnten sich oft nur leisten zu arbeiten, wenn sich nicht jeden Tag im | |
Betrieb anwesend sein müssen, sagt Burkhardt. | |
So wird sich die Arbeitswelt in Mulfingen wie vielleicht im ganzen Land | |
nach der Krise ein Stück weit verändert haben. Auch die | |
Unternehmensstrategie wird sich verändern. Zumindest in nächster Zeit wird | |
die Sicherheit von Lieferketten sicher vor Kostenoptimierungen gehen, | |
schätzt Brandl, auch wenn er gleich einschränkt: „Man weiß ja nie, wie lang | |
so ein Trend anhält.“ | |
## Die Globalisierung nicht auf die Spitze getrieben | |
Der große Vorteil von EBM-Papst: Hier hat man die globale Arbeitsteilung | |
nie auf die Spitze getrieben. Die Idee war immer, möglichst nah an den | |
Märkten zu produzieren. So haben die chinesischen Unternehmensteile | |
Ventilatoren für die chinesischen Markt produziert und Werke in den USA für | |
den amerikanischen Kontinent. Nur die Elektrospulen für die Antriebe der | |
Rotoren, die kommen für die Produktion weltweit von einem Unternehmen in | |
Tunesien. | |
Das war ein Glück für den tunesischen Hersteller, aber ein Problem für | |
EBM-Papst, als in Nordafrika Produktionen und Häfen geschlossen wurden. „Da | |
kamen wir ganz schön ins Schwitzen“, sagt Unternehmenssprecher Hannig. Ohne | |
Spulen aus Tunesien hätte die gesamte Produktion gestockt. Nach der Krise | |
müsse man jetzt sicher einmal darüber nachdenken, ob das tunesische | |
Unternehmen nicht eine Produktionslinie in Europa und den USA aufbauen | |
wolle, eben nahe an den Werken von EBM-Papst. Die Lohnstückkosten wären | |
dann sicher höher, aber die Lieferketten dafür sicherer. | |
Ein Stück Globalisierung rückwärts sozusagen. | |
13 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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