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# taz.de -- Unternehmen in Corona-Krise: Die schaffen das
> Mundschutz auf und Temperatur messen. Lieferketten sichern, Konferenzen
> canceln: Wie der Mittelständler EBM-Papst die Corona-Krise wuppt.
Karlsruhe/Peking taz | Ein Unternehmer heißt so, weil er was unternimmt. Es
gehört zum Selbstverständnis der Tüftler und Manager, gerade im Südwesten
Deutschlands, auf veränderte Situationen schnell zu reagieren. Neue
Technik, neue, veränderte Kundenwünsche, das kennt man. Auch
Konjunkturflauten und Finanzkrisen hat man schon überlebt. Aber eine
globale Krise, die so tief in den Alltag jedes Einzelnen eingreift? Angst
um die Mitarbeiter, Umsatzausfälle, Quarantäne, drohende Lieferausfälle,
Reisestopp? Das ist alles ein bisschen viel für ein mittelständisches
Unternehmen, wenn auch ein großes.
Na ja, eigentlich seien da ganz ähnliche Unternehmer-Tugenden gefragt,
findet Hauke Hannig. Man müsse alle wichtigen Informationen beschaffen, die
Situation richtig bewerten und rational handeln, sagt der Mann am Telefon
in jovialem Ton mit norddeutschem Einschlag.
Seit Januar schon steuert das Unternehmen, für das Hannig als
Pressesprecher Auskunft gibt, im Krisenmodus, aber die Laune hat es dem
gebürtigen Bremer aus rätselhaften Gründen nicht verhagelt. Immerhin hatten
sie bisher nur zwei Corona-Fälle bei 15.000 Mitarbeitern weltweit. Mehr als
10 Prozent der Belegschaft ist in China beschäftigt.
EBM Papst heißt das Unternehmen, für das Hauke Hannig spricht. Ein
Familienbetrieb, von dem wohl jeder schon einmal durchgepustet wurde, den
aber nur kennt, wer mit Klimaanlagen und Lüftungen aller Art zu tun hat.
Oder wer in Hohenlohe wohnt, wo EBM-Papst einer der großen Arbeitgeber ist.
Mulfingen, am nordöstlichen Zipfel von Baden-Württemberg gelegen, hat gut
dreieinhalbtausend Einwohner, eine Wallfahrtskapelle, einen Stausee und
eine der ältesten Dorflinden im Südwesten. EBM-Papst ist hier der größte
Arbeitgeber. 2.500 Menschen schaffen in den modernen Flachdachgebäuden in
der hügeligen Landschaft. Hier liegen die Glasfaserkabel schon seit zehn
Jahren im Boden und sorgen für schnelles Internet.
Das Unternehmen ist Weltmarktführer bei Ventilatoren, die bei Klimaanlagen
oder Haushaltsgeräten zum Einsatz kommen. Aber auch bei Beatmungsgeräten,
wie sie auf Intensivstationen gebraucht werden.
## Kein Treffen im Werk
Ein Treffen in den Werkshallen lehnt Hannig schon Anfang letzter Woche ab.
Auf das Werksgelände komme seit Ende Februar nur noch, wer wirklich muss.
Und auch nur dann, wenn er schriftlich bestätigt, in den vergangenen Wochen
nicht in einem Risikogebiet gewesen zu sein. Die eigenen Mitarbeiter sollen
jeden Morgen ihre Temperatur messen und lieber einmal zu Hause bleiben,
wenn das Thermometer über 38 Grad zeigt. Das sei in der Region mit seiner
ziemlich rigiden schwäbischen Arbeitsmoral gar nicht so einfach
durchzusetzen gewesen, sagt Hannig.
Inzwischen ist die Verwaltung von EBM-Papst längst ins Homeoffice
abgewandert, die Stühle für die verbliebenen Mitarbeiter in der Kantine
wurden auseinandergerückt. Die Kolleginnen und Kollegen in der Produktion
werden von einem Fahrer mit Mundschutz im Werksbus zu den Montagehallen
gefahren.
Business as unusual also, Weiterarbeiten im Krisenmodus. In Mulfingen läuft
das schon etwas länger als in vielen anderen Unternehmen. Denn hier waren
sie früh gewarnt.
Es war Mitte Januar, da hatte der Geschäftsführer von EBM-Papst-China,
Thomas Nürnberger, in seinem Büro nahe Schanghai das erste Mal von einem
Virus in der Provinz Hubai in Zentralchina gehört – eine rein lokale
Nachricht, dachte er sich damals. Der 51-Jährige lebt seit 15 Jahren in
China und glaubte die Situation einschätzen zu können. Doch in wenigen
Tagen überschlugen sich die Ereignisse: Die chinesische Regierung stellte
das Zentrum der Epidemie Wuhan – eine Metropole von 11 Millionen Menschen –
unter Quarantäne.
Anstatt die Ferien in Kanada zu verbringen, fand sich Nürnberger am
chinesischen Neujahrsfest in seiner Wohnung wieder: „Wir sind maximal zum
Einkaufen von Lebensmitteln rausgegangen – mit Gesichtsmasken und
Plastikhandschuhen. Alle waren wir verunsichert, weil ja selbst die
Personen, die das Virus in sich trugen, davon nicht wussten“, sagt er.
Damals hatte er die Zentrale in Mulfingen schon gewarnt, dass es Probleme
geben könnte.
Die Kommunistische Partei in China reagierte spät, startete dann aber
entschlossen ein soziales Experiment von bisher nie da gewesenem Ausmaß: Im
Kampf gegen das Virus legte sie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt
bis auf essenzielle Bereiche wie die Lebensmittelproduktion und den
medizinischen Sektor lahm. Rund die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen
lebten in Quarantäne mit unterschiedlichen Auflagen. Fabrikarbeiter saßen
aufgrund von Reisebeschränkungen über Wochen fernab ihrer Arbeitsplätze
fest, Warencontainer blieben in den Häfen des Landes stecken. Fast
sämtliche Geschäfte in den Städten wurden geschlossen, die Bevölkerung
blieb in ihren eigenen vier Wänden.
„Das Schwierigste in der ganzen Zeit war, dass jede Stadt und jede Provinz,
ja teilweise jeder Wohnkomplex seine eigenen Quarantäne-Regeln aufgestellt
hat“, erinnert sich Nürnberger.
Bis Mitte Februar sei es nicht möglich gewesen, Waren über eine Stadtgrenze
hinaus zu schicken. Teilweise verhinderten das schon die gesperrten
Autobahnen. Ausnahmegenehmigungen hat EBM-Papst nur für seine
Medizintechnik bekommen: So haben sie unter anderem Lüfter für Atemgeräte
in die Krankenhäuser von Wuhan geliefert.
## „Lieferketten-Tetris“ beginnt
„Bei uns ging zu dieser Zeit das Lieferketten-Tetris los“, sagt Hauke
Hannig in Mulfingen. Wie kann das Unternehmen sicherstellen, dass die zur
Produktion wichtigen Teile ins Werk nach China kommen und wie von dort
wichtige Teile in den Werken in Europa ankommen? Ein Team aus Logistikern
arbeitet unter Hochdruck. Das Unternehmen richtet bereichsübergreifende
Arbeitsgruppen ein, die sich mit China eng abstimmen. Es gibt jetzt eine
tägliche Telefonkonferenz mit allen Produktionsstandorten weltweit.
„Wir haben das Glück, dass die chinesischen Werke vor allem den asiatischen
Markt beliefern“, sagt Hauke Hannig. Deshalb konnten die anderen
Produktionsstandorte auf der Welt zu diesem Zeitpunkt noch wenig
eingeschränkt von der Entwicklung in China weiterarbeiten. Doch ganz ohne
China geht es nicht, so kommen Magnete und Rohleiterplatten aus Fernost.
Normalerweise wird das Gros dieser Bauteile zwischen China und Deutschland
mit Containerschiffen geliefert.
Seit der Virus-Epidemie setzt EBM-Papst wieder verstärkt auf die Bahn. Ein
Expresszug vom zentralchinesischen Xian bis nach Mannheim braucht nur
mehr 13 Tage. Drei- bis viermal pro Woche schickt die Firma einen Container
hin und her. Dazu kommt die Luftfracht, die sich in dieser Zeit allerdings
um das Zehnfache verteuert hat. Insgesamt sind die Lieferkosten in der
Corona-Krise um ein Vielfaches angestiegen.
Zunächst blieb das Werk in Schanghai nach den Neujahrsferien geschlossen.
In der zweiten Februarwoche nahm es mit der Hälfte seiner Belegschaft die
Produktion wieder auf. Die andere Hälfte stand zu diesem Zeitpunkt unter
Quarantäne.
Nürnberger und sein Team haben ihre eigenen, umfassenden Corona-Richtlinien
für die Werke in Schanghai, Xian und Suzhou entwickelt: Jeder der 2.200
Angestellten – ganz gleich ob Vorstand oder Fabrikarbeiter –, der aus einer
anderen Provinz anreist, muss sich vor Arbeitsbeginn für 14 Tage unter
Quarantäne begeben. Daran hat sich auch der Chef gehalten: „Ich habe seit
dem 20. Januar den Bezirk Pudong in Schanghai nicht mehr verlassen“, sagt
Nürnberger, „ich will einfach keine Mitarbeiter gefährden.“
Jeder aus der Belegschaft in China musste einen der drei Standorte wählen
und in diesem Standort nur ein Gebäude, in dem er ausschließlich arbeiten
durfte – dabei mussten alle eine Gesichtsmaske tragen. Die
Produktionsgebäude wurden ebenfalls in Zonen mit fünf Metern Abstand
definiert. In den Kantinen hat das Personal zwischen jedem Platz zwei
Stühle herausgenommen, um einen sicheren Abstand zu wahren. Die drastischen
Social-Distancing-Maßnahmen haben auch damit zu tun, dass die chinesische
Regierung die Verantwortung zu großen Teilen an den Privatsektor
abgeschoben hat. Wenn sich ein Infektionsstrang in einem Werk von EBM-Papst
ausbreitet hätte, dann hätte die Firma genauestens nachweisen müssen, dass
sie nicht gegen Quarantäne-Regeln verstoßen hat. Bislang, und darauf ist
Nürnberger stolz, sei das Unternehmen in China ohne Coronavirus-Fall durch
die Krise gekommen.
Die täglichen Telefonkonferenzen der Zentrale in Mulfingen mit dem Rest der
EBM-Papst-Welt haben sich inzwischen verändert. Längst ist das Virus in
Europa angekommen. Die Zahlen steigen beängstigend schnell. In den
Telefoncalls geht es längst nicht mehr nur um Lieferketten. China-Chef
Thomas Nürnberger wird zum Berater der anderen Standorte in Quarantäne- und
Hygienefragen. Man solle die Abteilungen möglichst voneinander isolieren,
rät er. Auch in der Kantine solle lieber abteilungsweise gegessen werden.
Längst sind alle Dienstreisen der Mitarbeiter gestoppt. Auch in der
Zentrale in Mulfingen gibt es jetzt keine Konferenzen mehr, in denen mehr
als zehn Leute um einen Tisch saßen. Das regelmäßige Meeting mit dem Werk
im Nachbarort wird über den Computer absolviert. Die Vorbereitungen für
Homeoffice laufen auf Hochtouren. Mit all diesen in China erprobten
Maßnahmen konnte die Produktion auch im Werk in der Lombardei
aufrechterhalten werden, selbst als sich die Region zum ersten
Corona-Brennpunkt in Europa entwickelte. Auch in Italien hat EBM-Papst
bisher keine Krankheitsfälle zu vermelden.
Jetzt Mitte März scheint China das schlimmste überstanden zu haben. Thomas
Nürnberger in Schanghai blickt mit Erstaunen auf die Entwicklungen in
Europa, in der sich zu wiederholen scheint, was China fürs Erste
überstanden haben könnte. „In der Anfangsphase des Ausbruchs haben wir
Masken aus Deutschland geliefert bekommen. Jetzt versuchen wir umgekehrt
Masken aus China nach Deutschland zu schicken“, sagt er.
Am Montag veröffentlichte das Statistikamt in Peking die verheerenden
Wirtschaftszahlen für das erste Quartal 2020: Um über 20,5 Prozent ist der
Umsatz im Einzelhandel eingebrochen, bei Anlageinvestitionen sind es fast
25 Prozent. Das bisherige Wirtschaftswachstum in China wurde vom Virus fürs
Erste vernichtet. Die noch am optimistischsten stimmende Zahl: Die
Industrieproduktion ist mit einem Rückgang von 13,5 Prozent vergleichsweise
gut weggekommen.
Im Vergleich zu anderen Branchen – etwa der Autoindustrie – ist EBM-Papst
bisher glimpflich durch die Krise gekommen. Es kam nur zu einer etwa
zehntägigen Betriebsunterbrechung in China, Lieferverzögerungen von über
einer Woche blieben die Ausnahme. Bei Raumlüftern etwa ist die Anfrage gar
durch die Krise gestiegen. „Wir haben im Februar mehr Umsatz gemacht, als
es unser vor einem Jahr erstellter Plan vorsieht“, sagt Nürnberger. Als
Krisengewinner möchte er sich jedoch nicht bezeichnen.
## Die Produktion nicht gedrosselt
Heute in Krisenwoche zehn seit dem Ausbruch in Wuhan kann Hannig vermelden,
dass EBM-Papst die Produktion bisher noch nicht drosseln musste. Rückstände
während der Werksschließungen in China konnten wieder aufgeholt werden.
Kluge Lagerhaltung hilft weiterhin Lieferengpässe zu überbrücken. Aber über
das Betriebsergebnis für 2020 will der Unternehmenssprecher, jetzt wo der
Höhepunkt der Krise in Europa und den USA noch bevorsteht, nicht
spekulieren. Es gehe darum, den Betrieb überhaupt am Laufen zu halten.
Jetzt hofft Hannig erst einmal, dass die beiden in Mulfingen positiv
getesteten Mitarbeiter bald wieder gesund sind. Sie standen immerhin schon
vor ihrer Erkrankung wegen Kontakten zu Österreich-Urlaubern unter
Quarantäne. Das zeigt: Die Maßnahmen greifen, jedenfalls bisher. Auch in
China sei die Gefahr noch nicht vorüber, sagt Thomas Nürnberger in
Schanghai: „Wirklichen Normalbetrieb werden wir eigentlich erst wieder
haben, wenn ein Impfstoff da ist“.
19 Mar 2020
## AUTOREN
Benno Stieber
Fabian Kretschmer
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