| # taz.de -- Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus: „Kein Vertrauen in die Kirc… | |
| > Aufarbeitung sei ein grundlegendes Recht von Betroffenen, sagt die | |
| > Missbrauchsbeauftragte. Von der Evangelischen Kirche fordert sie schnelle | |
| > Maßnahmen. | |
| Bild: Fordert mehr Einsatz für Betroffene: Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus | |
| taz: Frau Claus, nach jahrelangem Wegducken hat die EKD nun eine [1][Studie | |
| zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche vorgestellt.] Das | |
| Studienteam spricht von der „Spitze der Spitze des Eisbergs“. | |
| Kerstin Claus: Die Einordnungen, die die Wissenschaftlerinnen heute | |
| vorgenommen haben, sind ja sehr eindeutig. Sexuelle Gewalt ist auch in der | |
| evangelischen Kirche vielfältig verübt worden, durch Pfarrer genauso wie | |
| durch pädagogisch tätige ehrenamtliche Kräfte und viele weitere. In diesem | |
| Sinne kann ich diesen Ausdruck der Spitze der Spitze des Eisbergs | |
| verstehen, wenn die Disziplinarakten die einzige Grundlage sind die | |
| systematisch ausgewertet wurde. Ich gehe sehr davon aus, dass gerade über | |
| diese Studie sich weitere Betroffene melden werden. | |
| Die Studie bezieht sich nicht nur auf die Kirchen, sondern auch explizit | |
| auf kirchliche Einrichtungen wie die Diakonie. Sehen Sie auch Bedarf in der | |
| Katholischen Kirche in solchen Einrichtungen Nachforschungen anzustellen? | |
| Ich sehe den Bedarf, [2][überall dort nachzuforschen], wo Kinder und | |
| Jugendliche sich in ihrem Alltag – sei es Schule, sei es Jugendhilfe, | |
| Einrichtungen der Caritas oder der Diakonie, aber auch in ihrer Freizeit, | |
| im Sport oder bei anderen Angeboten – aufhalten und aufgehalten haben. Das | |
| Spannende für mich heute war auch, dass deutlich gesagt wurde: Täter waren | |
| vielfach mehrfach Täter, und nur wenn die ersten Meldungen ernst genommen | |
| werden und dann auch nachgeforscht wird, kann tatsächlich auch präventiv | |
| reagiert werden. | |
| Im Vergleich zur EKD setzt sich die katholische Kirche seit Jahren mit der | |
| Thematik auseinander, jetzt erst die evangelische Kirche. Wie erklären Sie | |
| sich das? | |
| Es gab heute dieses geflügelte Wort von „Wir sind die bessere Kirche“ als | |
| eine Haltung, die den Wissenschaftlerinnen entgegen geschlagen ist. Eine | |
| solche Haltung verursacht haufenweise blinde Flecken, weil nicht sein kann, | |
| was nicht sein darf. Aus dieser Haltung heraus entsteht ein Narrativ, dass | |
| man sagt: [3][Naja, das sind Einzelfälle, und das sind einzelne Täter.] | |
| Dahinter konnte sich die Kirche sehr lange sehr gut verstecken. Die Studie | |
| hat jetzt gezeigt: Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gibt es | |
| auch in der evangelischen Kirche nicht nur in Einzelfällen. Auch hier gibt | |
| es Machtstrukturen und Abhängigkeiten sowie Vertrauensverhältnisse, die | |
| massiv ausgenutzt werden. | |
| Welche Konsequenzen müssen aus der Studie folgen? | |
| Unmittelbar muss all das getan werden, was nicht getan wurde. Es müssen | |
| Personalakten ausgewertet werden, es muss die Frage gestellt werden, wer | |
| verantwortlich war oder immer noch ist. Es braucht unabhängige Strukturen, | |
| an die sich Betroffene wenden können, und es braucht, bezogen auf die Frage | |
| der Entschädigungszahlungen, [4][ein ähnliches System wie in der | |
| katholischen Kirche]. Dafür braucht es Transparenz und klare Kriterien. | |
| Im November ist die EKD-Synode. Welchen Fahrplan erwarten Sie bis dahin? | |
| Man kann den Betroffenen, und auch den Gemeinden, die in vielen Teilen | |
| jetzt erschüttert sein werden, nicht zuzumuten, jetzt nichts zu tun. Es | |
| wundert mich, dass heute noch nicht klar war, was jetzt getan wird. Wohin | |
| werden jetzt eigentlich Betroffene verwiesen, die sich melden? Wie klären | |
| wir das mit der Anerkennung, den Leistungen? Dazu muss man sämtliche | |
| kirchliche Verantwortungsträger zusammentrommeln, die hier sehr schnell | |
| eine Lösung finden müssen. Und das muss alles transparent sein, denn wenn | |
| ich die Diskurse nicht sichtbar mache, wenn ich sie im Hinterzimmer oder in | |
| einem Beteiligungsforum debattiere, wird sich nichts ändern. | |
| Eine Betroffene forderte bei der Vorstellung der Studie die Stärkung ihres | |
| Amtes, anstatt die Aufarbeitung in der Kirche zu belassen. Wie sehen Sie | |
| sich in der Pflicht? | |
| Da wird ja sichtbar, dass Betroffene kein Vertrauen mehr in die Kirche | |
| haben, dass sie die Aufarbeitung aus eigener Kraft hinbekommt. Die | |
| Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt, | |
| Aufarbeitung zu stärken und gesetzlich zu verankern. Ich sehe das | |
| tatsächlich als Notwendigkeit an. Es muss klar sein, dass Aufarbeitung ein | |
| grundlegendes Recht von Betroffenen ist und dass die individuelle Position | |
| von Betroffenen in solchen Prozessen gestärkt wird. Dieses Gesetz ist in | |
| Arbeit und in der Ressortabstimmung. Dazu gehört auch die [5][strukturelle | |
| gesetzliche Verankerung des Amtes der Missbrauchsbeauftragten], aber auch | |
| der Aufarbeitungskommission. Wichtig ist auch, dass Kirche kirchenrechtlich | |
| festlegt, dass Betroffene ein Recht auf Aufarbeitung haben. Der Bund kann | |
| hier die Position von Betroffenen stärken. | |
| Dafür werden Sie Geld und Personal brauchen. | |
| Wenn wir Betroffene stärken wollen, dann wird das nicht kostenlos möglich | |
| sein. Wir werden als Gesellschaft aushandeln müssen: Was braucht es für | |
| Ressourcen, wenn wir Kinder und Jugendliche heute besser schützen wollen? | |
| In der momentanen Haushaltslage ist diese Debatte schwierig. Aber ich | |
| möchte, dass es darüber eine parlamentarische Debatte und eine öffentliche | |
| Debatte gibt. | |
| 26 Jan 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tanja Tricarico | |
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