# taz.de -- Sexualisierte Gewalt an der HU Berlin: Das Schweigen der Professoren | |
> Ein Dozent der Humboldt-Universität soll Frauen mit verbaler | |
> sexualisierter Gewalt gequält haben. Als eine der Ansprechpersonen | |
> empfiehlt die Uni einen unter Studierenden umstrittenen Professor. | |
Bild: Ob er sich im Grab umdrehen oder wegschauen würde? Universalgelehrter un… | |
BERLIN taz | Gegen eine Kündigung zu klagen, ist das gute Recht eines jeden | |
Arbeitnehmers in Deutschland. Beruht die Entlassung jedoch auf Vorwürfen | |
sexueller Belästigung junger Frauen über einen Zeitraum von mehr als 20 | |
Jahren, spricht das eher für besondere Dreistigkeit. Geklagt hatte der | |
Dozent Andreas K. vom Institut für Geschichtswissenschaften (IfG) an der | |
Humboldt-Universität zu Berlin (HU), gegen den im August 2023 eine | |
Kündigung ausgesprochen wurde. | |
Anlass hierfür waren Berichte einer Vielzahl von Studierenden, in denen | |
deutlich wurde, wie der Dozent junge Frauen behandelt haben soll: Immer | |
wieder machte er abschätzige, sexualisierende Kommentare, sowohl in | |
Vorlesungen und Seminaren als auch in Einzelgesprächen. Ob sich | |
Studentinnen für ihn ausziehen würden und dass „aussagekräftige | |
Nacktbilder“ die Noten verbessern könnten, soll er gesagt haben. | |
Der Dozent selbst schweigt zu diesen Vorwürfen bis heute. Doch die schiere | |
Menge an sich ähnelnden Berichten über viele Jahrgänge von Studierenden | |
hinweg ist erschlagend. Vor dem Arbeitsgericht Berlin einigten sich K. und | |
die Vertreter der HU Anfang Januar auf einen Vergleich. Die Kündigung | |
erfolgt zum Juni 2024, [1][bis dahin wird der ehemalige Dozent | |
freigestellt.] | |
Die Frage ist nun, wie solche Vorfälle in Zukunft vermieden werden können | |
und bereits Vorgefallenes aufgearbeitet werden kann. Die Kündigung des | |
Dozenten ist zwar ein wichtiger Schritt, doch macht sie allein die Schäden | |
nicht wieder gut, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind. Die | |
Machtstruktur, in der Täter wenig zu befürchten haben und Opfer sich | |
zweimal überlegen, ob sie den nervenaufreibenden Weg an die Öffentlichkeit | |
gehen, muss durchbrochen werden. | |
## Andere Dozierende schweigen bisher | |
Während die Universitätsleitung von einem „gesellschaftlichen Kulturwandel�… | |
spricht, dank dem man heute entschiedener gegen Fehlverhalten vorgehe, | |
sieht sich die Studierendenvertretung hauptsächlich selbst in der | |
Verantwortung, gegen Übergriffe vorzugehen. | |
„Aufarbeitung“ ist ein zentrales Anliegen in der deutschen Geschichte, | |
könnte man meinen. Professor Michael Wildt, mittlerweile emeritiert, hatte | |
an der HU bis 2022 den Lehrstuhl für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert | |
mit Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus inne. Er ist bisher | |
der einzige Mitarbeiter des IfG, der sich öffentlich zu den Geschehnissen | |
äußert. | |
Beschämt und zornig sei er angesichts der jahrelangen sexualisierten | |
Übergriffe am Institut, wie er auf seiner Internetseite schreibt. | |
„Beschämt, weil ich in meiner Zeit als Professor am Institut Teil des | |
Problems und nicht der Lösung war, indem auch ich weggeschaut und | |
geschwiegen habe.“ Auf Nachfragen der taz über die Stellungnahme hinaus | |
wolle Wildt sich nicht äußern. „Da ist jetzt das Institut am Zug, das den | |
Fall transparent aufarbeiten und entsprechende Maßnahmen zum Schutz von | |
Studierenden einleiten muss“, so der Emeritus. | |
Wie das IfG nun auf seiner Internetseite schreibt, sei eine Reihe von | |
Maßnahmen ergriffen worden. Nach einer Vollversammlung zu Beginn des | |
Wintersemesters sei ein institutsinterner Gesprächskreis mit allen | |
Statusgruppen entstanden, der sich regelmäßig treffen soll. Seine Aufgabe | |
sei es, Machtmissbrauch zu thematisieren, die Geschehnisse aufzuarbeiten | |
sowie Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu diskutieren. | |
„Zudem wurde eine Fakultätskommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für | |
die Stärkung von Prävention, Meldung und Sanktionierung von | |
Machtmissbrauch, Diskriminierung, Mobbing sowie sexualisierter Belästigung | |
und Gewalt gegründet“, heißt es weiter. | |
## Ausgerechnet Baberowski als Ansprechperson | |
Außerdem wird auf [2][zahlreiche Stellen an der Universität] verwiesen, die | |
bei Missbrauch und Übergriffen umgehend tätig werden würden. Eine davon ist | |
der geschäftsführende Direktor des IfG Jörg Baberowski. Der Professor für | |
Geschichte Osteuropas ist unter Studierenden äußerst umstritten. 2017 wurde | |
die Kritik laut, er vertrete rechtsradikale Positionen und verharmlose | |
beispielsweise Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Nach einem Urteil am | |
Landgericht Köln dürfen Studierende ihn zwar „rechtsradikal“ nennen, ande… | |
strittige Äußerungen einer Studierendenvertretung über ihn blieben jedoch | |
verboten. Ein anderes Verfahren aus dem Jahr 2020 gegen Baberowski, in dem | |
ihm Körperverletzung vorgeworfen wurde, endete ohne Urteil. Für Studierende | |
ist dennoch fragwürdig, ob die HU hier eine passende Ansprechperson für | |
ihre Beschwerden ausgewählt hat. | |
Der Referent:innenrat, die studentische Vertretung an der HU und ein | |
Äquivalent zum AStA, kritisiert mangelnde Selbstreflexion derjenigen, die | |
lange über die Vorwürfe Bescheid wussten: „Wir vermissen jegliche Schuld- | |
und Verantwortungseingeständnisse der zuständigen Stellen, die in den | |
vergangenen Jahren Studierende in dem allgemeinen Klima des | |
Machtmissbrauchs und des Schweigens darüber alleingelassen haben. Jede | |
Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch und strukturellen Hierarchien an der | |
Universität muss unbedingt mit einem Eingeständnis über die in der | |
Vergangenheit nicht übernommene Verantwortung einhergehen“, teilt | |
Referentin Hanna schriftlich mit. | |
Machtmissbrauch sei aber nicht nur ein personelles, sondern ein | |
strukturelles Problem, das langfristig nur durch ein Ändern von | |
universitären Strukturen und Machtverhältnissen angegangen werden könne. | |
„Wir sehen noch nicht, dass das IfG dies bisher sinnvoll angeht“, so die | |
Referatssprecherin. | |
## Anlaufstellen hilflos | |
Der aktuelle Fall lässt vermuten, dass bestehende Anlaufstellen machtlos | |
waren, obwohl sie seit Jahren von den Vorwürfen gegen den Dozenten wussten. | |
Die zentrale Frauenbeauftragte der HU, Ursula Fuhrich-Grubert, und die | |
damalige dezentrale Frauenbeauftragte am IfG, Professorin Birgit Aschmann, | |
erklärten gegenüber der taz, sie seien den „Beschwerden über das | |
Fehlverhalten des ehemaligen Dozenten der HU als Frauen- und | |
Gleichstellungsbeauftragte konsequent nachgegangen“. | |
Der Dozent sei daraufhin mehrfach wegen verbaler sexualisierter Übergriffe | |
sanktioniert worden, habe sein Verhalten aber nicht geändert. | |
Fuhrich-Grubert schreibt, K. sei im August 2023 gekündigt worden, nachdem | |
er sich der Auflage widersetzt hatte, keine [3][Gespräche unter vier Augen | |
mit Studentinnen] zu führen. | |
Tatsache ist jedoch, dass erst die Presseberichte ab Juli 2023 den Stein | |
ins Rollen brachten, der schlussendlich zur Kündigung führte. Mindestens | |
zweimal beschäftigte sich die Universitätsleitung – 2014 unter Präsident | |
Jan-Hendrik Olbertz und 2022 unter Präsidentin Julia von Blumenthal – mit | |
dem Fall, ohne dass es nennenswerte arbeitsrechtliche Konsequenzen gab. Auf | |
die Frage an Aschmann, wie sie auf die Forderung ihres Kollegen Wildt | |
reagiere, der von den Professor:innen eine transparente Aufarbeitung | |
fordert, gab es keine Antwort. | |
## Alleingelassen statt beschützt | |
Wenn die Frauenbeauftragten „alle Möglichkeiten unseres Mandates zum Schutz | |
der Betroffenen genutzt“ haben, wie Fuhrich-Grubert schreibt, aber sich | |
dennoch mehr als 20 Jahre lang eine beträchtliche Zahl an Frauen | |
angesammelt hat, die sich nicht geschützt, sondern alleingelassen gefühlt | |
haben, sind diese Möglichkeiten nicht ausreichend gewesen. | |
Die Frauenbeauftragte weist darauf hin, dass die Humboldt-Universität die | |
etablierten Prozesse und Maßnahmen bei Fehlverhalten weiter ausbauen werde. | |
„Sie wird Meldewege und Prozesse künftig proaktiver kommunizieren, mit dem | |
Antidiskriminierungs- und Diversitätsbüro eine neue Beratungsstelle | |
einrichten und mehr Aufklärung und Weiterbildung betreiben“, erklärt | |
Fuhrich-Grubert. | |
Nach dem aktuellen Fall seien dem RefRat weitere Fälle von | |
machtmissbräuchlichen Dozierenden bekannt geworden. Mit diesen Fällen | |
verantwortungsvoll umzugehen, Studierende möglichst gut zu beraten und | |
entschieden zu vertreten, werde für die Studierendenvertreter die | |
wichtigste Aufgabe in den kommenden Monaten sein. | |
Eine langfristige Lösung sei dies jedoch nicht: „Wir im RefRat machen | |
parteiische Peer-to-Peer-Beratung und sehen dies nach wie vor als unseren | |
Aufgabenbereich an. Es kann aber nicht sein, dass es konstante Aufgabe der | |
Studierendenschaft bleibt, Studis vor übergriffigen Dozierenden zu | |
schützen“, so Referentin Hanna. Sie und ihre Kolleg:innen hoffen, dass | |
die universitären Stellen den vielbeschworenen Kulturwandel nun Praxis | |
werden lassen. | |
24 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Huck | |
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