# taz.de -- Mechanismen des Antisemitismus: Ideologie, Hass, Ignoranz | |
> Zwei Monate nach dem Terroranschlag der Hamas ist die Frage noch immer | |
> unbeantwortet: Wie soll man mit den Leugnern und Verharmlosern | |
> zusammenleben? | |
Bild: Dokument des Terrors: Ein zerstörtes Haus im Kibbuzz Beeri nach dem 7. O… | |
Als ich diese Kolumne schreibe, ist der Terror, der am 7. Oktober über | |
Israel kam, exakt zwei Monate her. Zwei Monate, die sich anfühlen wie ein | |
langer Tag, ein Albtraum, den man nie träumen wollte, aus dem es kein | |
Erwachen gibt. | |
Mir gehen die Worte aus, also wiederhole ich seit dem 7. Oktober immer | |
wieder dasselbe. Aus einem Gefühl heraus, dass nicht begriffen werden will, | |
was ich sage, was ich anprangere. | |
Seit dem 7. Oktober gibt es viele Betroffene, es gibt Opfer. Aber angeblich | |
keine Antisemiten. Jedenfalls denkt ein nicht unerheblicher Teil der | |
Menschheit so. Die Tatsache, dass Terroristen der Hamas [1][getötet, | |
gefoltert und vergewaltig]t haben; der Fakt, dass 1.200 Zivilisten | |
ermordet, 240 Menschen verschleppt (und zum Teil wieder freigelassen) | |
wurden, wird von der arabischen Welt zu Teilen verschleiert, angezweifelt | |
oder gar gefeiert. Und [2][nicht nur von ihr]. | |
Das Massaker vom 7. Oktober wurde von seinen Tätern so gut digital | |
dokumentiert wie wohl wenige Verbrechen zuvor. Die Terroristen filmten ihre | |
Taten mit Bodycams. Sie posteten Videos und Fotos auf Telegram und anderen | |
Plattformen. Sie streamten ihre Taten über die Telefone ihrer Opfer. | |
## Antisemitische Stereotype | |
Es war nicht genug, dass sich vor zwei Monaten der pure Hass, die | |
Brutalität der Hamas-Terroristen gegen Israelis richtete, auch sind | |
Jüdinnen und Juden weltweit einer neuen Welle des Judenhasses ausgesetzt. | |
Der Hass der Terrorverharmloser und -befürworter richtet sich ebenfalls | |
gegen diejenigen, die Opfer der Hamas wurden, und gegen alle anderen Juden. | |
[3][Wer das nicht versteht – oder nicht wahrhaben will –,] hat die | |
Mechanismen von Antisemitismus nicht verstanden. Erst die Abwehr | |
ermöglicht, die antisemitischen Vernichtungstaten zu leugnen und weiter | |
antisemitische Stereotype zu reproduzieren. | |
Heute rufen die Terror-Fans „Zionisten sind die Täter“ und meinen damit | |
Juden, und ich muss unweigerlich an Jean Améry denken, wie er nach den | |
Demonstrationen in Deutschland, die 1967 in Folge des Sechstagekriegs | |
stattfanden, kommentierte: „Man darf rufen: ‚Schlagt die Zionisten tot, | |
macht den Nahen Osten rot!‘ – und kann verschweigen oder sogar empört die | |
Insinuation zurückweisen, dass in diesem Kampfruf ein anderer, nur allzu | |
bekannter mitschwinge: das ganz eindeutige ‚Juda verrecke‘ der Nazis.“ | |
Manche Dinge ändern sich wohl nie. | |
Wenn Terroristen das schlimmste Massaker an Juden, gerechnet an der Zahl | |
der Ermordeten, seit der Shoa verüben, heißt es: Widerstand! [4][Und | |
vergiss mal nicht den Kontext, in dem das passiert ist!] Selbst schuld, | |
wenn man neben einem Freiluftgefängnis feiert! | |
Wenn Überlebende und Ermittler [5][von brutalsten (Massen-)Vergewaltigungen | |
durch die Terroristen an Mädchen und Frauen berichten], vernimmt man von | |
vielen: Schweigen. | |
Wenn israelische Geiseln im Gegenzug für palästinensische Gefangene | |
freigelassen werden, heißt es: Schaut, wie gut sich die Hamas um die | |
Geiseln gekümmert hat, die haben ihnen sogar beigebracht, ihr Essen | |
untereinander zu teilen, das nennt man arabische Gastfreundschaft. Und | |
schau mal, wie entspannt die Geiseln in die Kamera lächeln und winken. | |
Dass Geiseln in der Anwesenheit ihrer Täter in einer Zwangssituation sind | |
und alles tun würden, um freigelassen zu werden, dass sie [6][in Geiselhaft | |
hungern mussten] und sie das wenige Essen untereinander teilten, dass den | |
Geiseln, wie Ärzte berichten, [7][Beruhigungsmittel verabreicht wurden, | |
damit sie bei ihrer Freilassung „entspannt“ wirkten], wird negiert, | |
aggressiv niedergebrüllt. Hinter solchen Verharmlosungen und | |
Relativierungen kann nur eines stecken: Ideologie, Hass und Ignoranz. | |
Zwei Monate Schmerz und Trauer, und ich werde die Frage nicht los, wie man | |
mit Menschen, die sich für Realitätsverweigerung entscheiden, weiter in | |
dieser Welt zusammenleben soll. Eine Antwort darauf habe ich nicht. | |
10 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=EW0Atcdy38g | |
[2] /Free-Palestine-from-German-Guilt/!5967918 | |
[3] /Palaestinenserinnen-in-Deutschland/!5972938 | |
[4] https://www.lrb.co.uk/the-paper/v45/n20/judith-butler/the-compass-of-mourni… | |
[5] /Gewalt-an-Frauen/!5972451 | |
[6] https://edition.cnn.com/2023/12/01/middleeast/israeli-hostages-released-acc… | |
[7] https://www.timesofisrael.com/health-ministry-says-hamas-drugged-released-h… | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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