# taz.de -- Journalismus und Terror: Die schwierigsten Gespräche | |
> Angehörige von Israelis, die Geiseln der Hamas sind, werben in Berlin um | |
> Unterstützung. Sie als Journalistin zu begleiten, wirft viele Fragen auf. | |
Bild: Alon Nimrodi (r.), Vater der Geisel Tamir Nimrodi, und seine Partnerin Ya… | |
Als ich vor einer Woche ein Hotel in Berlin betrete, weiß ich nicht recht, | |
was mich erwartet. Ich will den Angehörigen einer israelischen Geisel | |
treffen, Alon Nimrodi, der seinen Sohn Tamir seit über 100 Tagen vermisst. | |
Tamir ist Soldat, er wurde am [1][7. Oktober von palästinensischen | |
Terroristen der Hamas] von seiner Militärbasis verschleppt. Seitdem fehlt | |
jede Spur von ihm. Nimrodi, der Vater, ist Teil einer israelischen Gruppe | |
von Angehörigen, die sich auf den Weg nach Berlin gemacht haben, um unter | |
deutschen Politikern Aufmerksamkeit für ihre entführten Liebsten zu | |
schaffen. Einzelne von ihnen besitzen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. | |
Menschen, deren jüdische Vorfahren einst von Nationalsozialisten | |
ausgebürgert worden waren, müssen nun also nach Deutschland reisen und | |
[2][die Regierung hier] um Hilfe bitten. Ich begleite Nimrodi mehrere Tage. | |
Der Text soll später in der taz erscheinen. | |
Über drei Monate sind vergangen seit dem schwarzen Schabbat, wie der 7. | |
Oktober mittlerweile auch genannt wird. Über drei Monate – und nichts ist | |
einfacher geworden. Ich versuche das Unbegreifliche zu begreifen. Auch | |
durch meine Arbeit. Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel habe ich | |
immer wieder mit Angehörigen der Geiseln gesprochen. In meiner Laufbahn als | |
Journalistin waren das die bislang schwierigsten Gespräche. | |
Wenn wir uns als Journalist:innen mit Krisen und Kriegen, mit emotional | |
herausfordernden Ereignissen beschäftigen, Menschen treffen, die gerade | |
größtes Leid erleben, ist das nie einfach. Wir wollen den Betroffenen nahe | |
kommen, um die Realität unmittelbar darzustellen. Wir können die Menschen | |
aber nicht von ihrem Leid befreien. Aufmerksamkeit dafür schaffen, ja, | |
vielleicht etwas anstoßen, zu Veränderung beitragen. Aber wir sind | |
Journalisten, keine Helden. | |
## Was bringt die eigene Arbeit? | |
Als ich also vor einer Woche das Hotel nach drei Stunden verlasse, mich in | |
den Bus setze, auf dem Weg zu einer Verabredung, bricht es aus mir heraus. | |
Ich blicke aus dem Fenster in die Dunkelheit und weine, aus Verzweiflung. | |
Während manche noch immer dabei sind, das, was am 7. Oktober geschah, zu | |
verfälschen, davon wegzulenken oder es hinzunehmen, es zu einer bloßen | |
Erinnerung werden zu lassen, weigere ich mich, es ihnen gleichzutun. Ja, | |
auch weil ich mich als Journalistin verpflichtet fühle, dieses | |
Menschheitsverbrechen anzuprangern, dagegen zu protestieren, die | |
Betroffenen nicht im Stich zu lassen. Ich bin keine Heldin, will auch keine | |
sein. | |
Als der Kibbuz Be’eri Mitte der Woche den Tod von Itay Svirsky und Yossi | |
Sharabi bekannt gibt, breche ich in meiner Wohnung in Tränen aus. Svirskys | |
Cousinen kämpften gerade noch in Berlin für seine Freilassung. Die Hamas | |
hatte ein Propagandavideo veröffentlicht, worin es die Leichen der beiden | |
Männer zeigte. Angesichts solchen Grauens verzweifle ich hin und wieder; in | |
mir kriecht dann die Frage hoch: Was bringt das Engagement, die eigene | |
Arbeit? | |
## Momente des Mitgefühls schaffen | |
Terror provoziert bewusst auch dieses Gefühl: Ohnmacht. Aus ihr | |
herauszufinden ist schwer, aber notwendig. Ein großer Teil dieser meiner | |
journalistischen Arbeit ist, so finde ich, wenigstens Momente des | |
Mitgefühls zu schaffen. [3][Zeichen der Solidarität] in Zeiten, in denen | |
Israelis, Juden in aller Welt, Hass und Relativierung erleben. Es geht um | |
Menschlichkeit, die Tamir, der verschleppte Soldat, wie auch die anderen | |
Geiseln durch die Hamas nicht erfährt, die wir ihnen aber entgegenbringen | |
können – und ihren Angehörigen. | |
Nach vier Tagen sitzen Alon Nimrodi und ich uns ein letztes Mal gegenüber, | |
ich halte die Tränen zurück, sehe dann, wie Nimrodi selbst längst weint. | |
Ich denke: Kann ich jetzt weinen? Ist das angebracht? Und sage: Ich höre | |
jetzt auf, sonst weine ich noch. Nimrodi antwortet, sanft lächelnd: Wenn | |
ich weine, kannst du ruhig auch weinen. Wir verabschieden uns und umarmen | |
uns lange. | |
19 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=EW0Atcdy38g | |
[2] /Krieg-im-Nahen-Osten/!5972165 | |
[3] /Nach-Randale-auf-Pro-Palaestina-Demos/!5963941 | |
## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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