# taz.de -- Marokko schlägt Portugal 1:0: Zeigen, was möglich ist | |
> Erstmals steht ein afrikanisches Team in einem WM-Halbfinale. In Afrika | |
> und Europa wird auf den Straßen gejubelt. Nun geht es gegen Frankreich. | |
Bild: Marokkos Trainer Walid Regragui auf den Schultern seiner „Atlas-Löwen�… | |
Die Chance seines Lebens. Die Revanche. Das Auge des Tigers. Der Kampf des | |
Jahrhunderts. Die ersten vier Teile der „Rocky“-Reihe tragen diese Zusätze. | |
Und es erscheint nur logisch, wenn der marokkanische Trainer Walid Regragui | |
im Underdogboxer Rocky Balboa, der sich im grauen Philadelphia mit | |
unbändigem Willen und dem unerschütterlichen Glauben an sich selbst ins | |
Scheinwerferlicht fightet, eine Identifikationsfigur erkennt. „Wir sind wie | |
Rocky“, sagte er nach dem Einzug der „Atlas-Löwen“ ins Halbfinale dieser | |
WM. „Wir haben gezeigt, was mit Leidenschaft und Hingabe alles möglich | |
ist.“ [1][Die Nordafrikaner] stehen als erstes Team aus diesem Kontinent in | |
der Vorschlussrunde des größten Sportevents der Welt. Das ist eine | |
Sensation, ein Wunder ist es nicht – worauf auch Regragui großen Wert | |
legte. | |
Nein, von einem Mirakel könne man nach dem 1:0 gegen die hoch favorisierten | |
Portugiesen nicht sprechen, denn seine Mannschaft, die der 47-Jährige erst | |
seit drei Monaten führt, hat in diesem Turnier kein Tor eines Gegners | |
zugelassen. Das eine, das die Kanadier für sich verbuchten, war ein | |
Eigentor der Marokkaner. Sie haben Belgien, Nummer zwei der | |
Fifa-Weltrangliste, besiegt, Kanada sowieso und gegen Kroatien sprang ein | |
0:0 heraus. Wie sich jetzt herausstellt, dominierte die Nummer 22 der | |
Weltrangliste mit ihrem ausgefeilten Defensivkonzept die schwerste | |
WM-Vorrundengruppe. Im Achtelfinale [2][zermürbten sie die Spanier], die | |
nach 1.100 Pässen passen mussten. | |
Portugal, das erneut ohne Cristiano Ronaldo in der Startformation | |
angetreten war, bespielte den Abwehrriegel nach fast allen Regeln der | |
Fußballkunst, versuchte verstärkt, die Außenspieler einzubinden, schlug | |
lange Pässe, spielte kurze, hohe, flache. Bruno Fernandes ackerte wie ein | |
lusitanischer Gaul, stemmte sich mit jeder Faser seines Körpers gegen die | |
Niederlage. | |
Allein: Marokko blieb stabil. Und dies zu sehen, war ebenso faszinierend | |
wie verblüffend. Denn vor diesem Turnier hatte niemand Marokko auf dem | |
Zettel. Selbst die Fußballrechenkünstler von Opta sahen die Chance, dass | |
sich Marokko gegen Portugal durchsetzt bei unter 30 Prozent | |
(Weltmeisterchance: 2,6 Prozent). Aber das Team von Walid Regragui spielt | |
nicht nur gegen die KI von Computermodellen, sondern tritt auch die | |
Konventionen des Ballsports in die Tonne. | |
## Verteidigungsbollwerk der Marokkaner | |
Normalerweise finden Weltklasseteams mit Spielern wie Pedri, Hazard oder | |
Fernandes Lösungen gegen Abwehrriegel, die sich in 4-4-2-Formation oder in | |
der Variante 4-1-4-1 aufstellen. Irgendwann, nach einer Geduldsübung, tut | |
sich eine Lücke auf, die zum Tor führt. Dass dies im Verteidigungsbollwerk | |
der Marokkaner nicht passiert, und dass Keeper Yassine Bounou die wenigen | |
Bälle mit der Abgezocktheit eines Altmeisters pariert, erinnert schon ein | |
wenig an die Unerschütterlichkeit eines Rocky Balboa, dessen Leitmotiv gut | |
in der Kabine der Marokkaner hängen könnte: „Es geht nicht darum, wie hart | |
du schlägst, sondern wie hart du einstecken und trotzdem weitermachen | |
kannst.“ | |
Diese frappierende Zu-null-Serie hat den Marokkanern den Glauben gegeben, | |
nun alles erreichen zu können. Sie haben sich in die Rolle des ultimativen | |
Gegnerschrecks gespielt, der bisweilen sogar vorm Tor des Gegners mit einem | |
Haken zum Kinn zuschlägt: Angreifer Youssef En-Nesyri vom FC Sevilla | |
verwertete eine Flanke mit dem Kopf und sprang dabei Messungen zufolge 2,75 | |
Meter hoch, was den katarischen Hochsprungweltmeister Mutaz Essa Barshim | |
beeindruckt haben dürfte. | |
Südkorea schaffte im Jahr 2002 den Einzug ins WM-Halbfinale, auch das war | |
eine kleine Sensation. Aber ungleich höher ist die Leistung von Marokko | |
heute einzuschätzen, denn das Championat findet erstmals auf arabischem | |
Boden statt. Marokko sieht sich als Vertreter der arabischen Welt, deren | |
Auswahlkicker aus Saudi-Arabien, Katar und Tunesien zum Teil weit hinter | |
den Erwartungen zurückgeblieben waren. | |
Und so ist es die Elf Marokkos, die das Gefüge des Weltfußballs | |
durcheinanderwirbelt – mit dem altmodischen Konzept des Teamfußballs, der | |
verschworenen Gruppe, die einem Trainer ergeben ist. Es ist egal, ob 17 | |
Spieler nicht in der Heimat geboren sind, ob sie in der Mohamed VI Football | |
Academy ihre Ausbildung erhalten haben oder in der Jugendabteilung eines | |
niederländischen Klubs, Walid Regragui, in Frankreich geboren, hat das Team | |
zusammengeführt. | |
„Wir zeigen der nachfolgenden Generation, was alles möglich ist für einen | |
Marokkaner“, sagte Regragui. „Wir haben verändert, wie man in Marokko | |
denkt“, ergänzte Keeper Bounou. Nach dem Spiel führte En-Nesyri ein | |
Tänzchen mit seiner Mutter auf, Spieler trugen die palästinensische Flagge | |
und eine, auf der Katar und Marokko vereint war. Der Erfolg der Kicker | |
entfachte einen Jubelsturm nicht nur in Rabat oder Fès, auch in | |
europäischen Metropolen war wieder die Hölle los. „Wir sind das Team, das | |
zeigt, dass man gewinnen kann, auch wenn man weniger Talent hat, weniger | |
Qualität, weniger Geld als die anderen.“ Wenn man nur „dieses Verlangen, | |
den Glauben, die Hingabe“ zeige, dann sei eben alles möglich, sagte Rocky | |
Balboa, äh, Walid Regragui. | |
11 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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