| # taz.de -- Lungenfachärztin über Long Covid: „Frühe Hilfe ist wichtig“ | |
| > Jördis Frommhold hat Deutschlands erstes Institut zur Beratung von | |
| > Long-Covid-Betroffenen gegründet. Die Versorgung dürfe nicht aufgeschoben | |
| > werden. | |
| Bild: Protest von Betroffenen von Covid-Langzeitfolgen am 19. Januar vor dem Re… | |
| taz: Frau Frommhold, es gibt Menschen, die kämpfen schon seit fast 3 Jahren | |
| mit Long Covid. Wie sieht die Versorgung der Betroffenen inzwischen aus? | |
| Jördis Frommhold: Das ist ein großes Problem. Wir haben hier eine enorme | |
| Anzahl von chronisch kranken Patienten, die nicht nur eine Diagnostik vom | |
| Facharzt brauchen oder Krankschreibungen vom Hausarzt oder irgendeine Reha. | |
| Das sind Menschen, die monatelang krankgeschrieben sind, aber häufig | |
| keinerlei weitere therapeutische Hilfestellung an die Hand bekommen. Wir | |
| können Long Covid noch nicht heilen, aber gerade die frühen Hilfen sind | |
| wichtig. Bevor die Menschen nur noch im Bett liegen können. | |
| Zu Beginn der Pandemie gab es viele Ärzt:innen, die hinter Long Covid vor | |
| allem eine psychische Problematik vermutet haben. Hat sich das gewandelt? | |
| Dieses Lager gibt es leider immer noch. Gerade [1][bei jungen Frauen] | |
| werden selbst schwerwiegende neurologische Symptome häufig abgetan. | |
| Tatsächlich ist das Krankheitsbild zu komplex, um es in nur eine Schublade | |
| zu stecken. Es gibt Patienten, die [2][verstärkt von Erschöpfung betroffen | |
| sind]. Da ist die Ursache wahrscheinlich autoimmunologisch. Dann gibt es | |
| Long-Covid-Patienten, die das größte Problem im Bereich der Atemmechanik | |
| haben. Da sind dann alle Untersuchungen der Lunge und vom Herz unauffällig, | |
| und trotzdem kommen die Leute nicht die Treppe hoch oder haben Schmerzen in | |
| der Brust. | |
| Dann gibt es wiederum Menschen, die vor allem kognitive Einschränkungen | |
| haben. Das könnte ein Gefäßproblem sein. Wir verstehen die Probleme noch | |
| nicht komplett. Aber deshalb zu sagen, das ist alles psychosomatisch – da | |
| machen es sich die Leute echt zu einfach. | |
| Beim Erschöpfungssyndrom ME/CFS ging es den Betroffenen jahrzehntelang so. | |
| Das ist leider eine traurige Wahrheit. Wir wissen schon lange von | |
| postinfektiösen Syndromen, die nicht nur psychosomatisch zu erklären waren: | |
| nach Epstein-Barr-Virus, nach Borreliose, nach der Spanischen Grippe, nach | |
| Influenza. Wobei Symptome auch durch psychosomatische Vorerkrankungen | |
| verstärkt werden können, und es auch kein Wunder ist, wenn sich bei monate- | |
| oder jahrelang allein gelassenen Patienten zusätzlich seelische Probleme | |
| einstellen. | |
| Es gibt vermutlich Hunderttausende Betroffene. Und nun seit 1. Januar Ihr | |
| eines Institut für Long-Covid-Betroffene hier in Rostock. | |
| Der Ansturm war schon vor der offiziellen Eröffnung riesig. Wir betreuen | |
| Patienten aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland, ungefähr | |
| die Hälfte per Videosprechstunde. Wir verstehen uns als eine Art Lotse für | |
| das weitere therapeutische, aber auch sozialmedizinische Vorgehen und | |
| etablieren damit eine neue Form der Versorgung am Beispiel von | |
| Long-Covid-Betroffenen. | |
| Wie kann das therapeutische Vorgehen aussehen? | |
| Es gibt je nach Diagnose die Möglichkeit bestimmter Atemtherapien, | |
| ergotherapeutische und verhaltenstherapeutische Ansätze, medikamentöse | |
| Behandlung. Auch experimentelle Therapien kommen infrage. Aber wenn es dann | |
| bei den Patienten vor Ort gar nicht die Strukturen gibt oder sie monatelang | |
| auf Termine warten, ist das ein Problem. Wir werden jetzt auch noch eine | |
| Psychologin und einen Physiotherapeuten einstellen und mit Teletherapie | |
| arbeiten. Außerdem planen wir weitere Institute an anderen Standorten. | |
| Bezahlt Sie [3][die Bundesregierung]? Die hat schließlich im | |
| Koalitionsvertrag eine flächendeckende Versorgung der | |
| Long-Covid-Betroffenen versprochen. | |
| Nein. Wir haben mit Eigenmitteln begonnen und eine Anschubfinanzierung vom | |
| Land Mecklenburg-Vorpommern erhalten. Der Bund setzt auf | |
| Schwerpunktambulanzen für Long-Covid-Betroffene, aber nach allem, was ich | |
| weiß, sind die hauptsächlich für die Diagnostik zuständig, und Betroffene | |
| müssen oft monatelang auf Termine warten. | |
| Klar muss ich bei Schmerzen in der Brust ausschließen, dass nicht demnächst | |
| der Herzinfarkt kommt. Diagnostik ist wichtig. Aber wenn dann nichts | |
| Organisches gefunden wird, kann man die Menschen nicht einfach nach Hause | |
| schicken und alleine lassen. | |
| Bezahlt die Krankenkasse die Patientensprechstunden bei Ihnen? | |
| Bisher nicht. Wir hoffen, dass sich das noch in diesem Quartal ändert und | |
| wir unser Angebot in die Regelversorgung kriegen. Im Moment kostet eine | |
| Erstberatung 60 bis 80 Euro. | |
| Die meisten Therapien sind auch kostenpflichtig. | |
| Das ist richtig und liegt daran, dass das alles off-label genutzt wird. Im | |
| Grunde ist es ja nachvollziehbar, dass die Krankenkassen keine Therapien | |
| bezahlen, die für das Krankheitsbild noch nicht ausreichend erprobt sind. | |
| Aber wir können es uns auch nicht leisten, dass für die Betroffenen noch | |
| mal anderthalb Jahre verstreichen. | |
| Manche geben aus Verzweiflung bis zu 15.000 Euro für Verfahren wie | |
| Blutwäsche aus. Private Anbieter verdienen daran und nur Betroffene mit | |
| Geld können sich die Behandlungen leisten. Ist das nicht eine krasse Form | |
| von Klassenmedizin? | |
| Das ist ein Riesenproblem, das muss man so sagen. Unser Ansatz ist es, | |
| genau zu schauen, für wen welche Therapie sinnvoll ist, und dann mit dem | |
| geringsten Aufwand zu beginnen. Wer sich in der Versorgung von | |
| Long-Covid-Betroffenen auskennt, weiß, welche symptomorientierten | |
| Therapieoptionen auch kostensparend genutzt werden können. | |
| Jemand mit Problemen in der Atemmechanik braucht keine Blutwäsche. Bei | |
| jemandem mit Fatigue, der schon alles andere ausgeschöpft hat, kann das | |
| Verfahren unter Abwägung der Risiken Ultima Ratio sein. Wir geben den | |
| Patient:innen Empfehlungen an die Hausärzte zur Weiterbehandlung mit, | |
| damit nicht noch weitere Kosten entstehen. | |
| Und die setzen das dann um? | |
| Viele ja, leider nicht alle. Aber die Betroffenen müssen dauerhaft betreut | |
| werden. | |
| Viele Menschen mit Long Covid standen vorher mitten im Berufsleben. Wenn es | |
| im Moment keine Heilung gibt, was bedeutet das für die Arbeitswelt? | |
| Die Menschen wollen ihr Leben zurück und gehen gleich wieder 100 Prozent in | |
| den Job. Dahinter steckt der Leistungsdruck unserer Gesellschaft, aber | |
| natürlich auch die Sorge um die eigene finanzielle Existenz. Und dann wird | |
| das so ein Ping-Pong-Spiel zwischen Überlastung und wieder zur Arbeit | |
| gehen, bei dem sich die Erschöpfung immer weiter verfestigt. Im schlimmsten | |
| Fall sind die Leute irgendwann dauerhaft arbeits- oder erwerbsunfähig, | |
| bettlägerig oder im Rollstuhl. | |
| Was hilft da? | |
| Hier muss eigentlich sofort eine Beratung stattfinden, und zwar nicht nur | |
| der Betroffenen. Die Wiedereingliederung von Long-Covid-Patienten ist eine | |
| Aufgabe für den ganzen arbeitsmedizinischen Bereich. Der hat ja bisher ein | |
| Schattendasein geführt. Häufig wissen die Betroffenen selbst, was für sie | |
| geht, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt. Es gibt Menschen, die können | |
| erst einmal nur zwei Stunden am Tag arbeiten, müssen sich alle zwei Stunden | |
| für eine halbe Stunde hinlegen, brauchen mehr Home Office oder alle zwei | |
| Tage einen Tag frei. Die klassische Wiedereingliederung können wir | |
| vergessen. | |
| Und das sollen die Arbeitgeber:innen mitmachen? | |
| Wir hatten neulich eine Veranstaltung mit der Industrie- und Handelskammer, | |
| natürlich kommen da Vorbehalte. „Meine Leute müssen 100 Prozent leisten, | |
| wenn sie wieder im Job sind“, heißt es da zum Teil von Arbeitgebern. Aber | |
| ganz ehrlich, was wollen sie denn machen angesichts des Fachkräftemangels? | |
| Wir können es uns nicht leisten, dass die Long-Covid- und | |
| ME/CFS-Betroffenen, die noch arbeiten könnten, alle erwerbsunfähig werden. | |
| Also müssen wir ihnen ein Arbeitsumfeld geben, das für sie funktioniert. | |
| 19 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Umgang-mit-Langzeitfolgen-von-Covid-19/!5890390 | |
| [2] /Umgang-mit-Krankheiten/!5887497 | |
| [3] /Corona-Politik/!5888534 | |
| ## AUTOREN | |
| Manuela Heim | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Long Covid | |
| Klinik | |
| Lunge | |
| Ärztinnen | |
| Karl Lauterbach | |
| GNS | |
| IG | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Bundesministerium für Gesundheit | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Gender | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Medikament gegen Long-Covid: Klinische Studie für BC007 startet | |
| Das Medikament BC007 der Firma Berlin Cures könnte gegen Long-Covid helfen. | |
| Ende Juni soll eine Phase-2-Studie beginnen, um die Wirksamkeit zu testen. | |
| Ampelkoalition zögert bei Long Covid: Kurzsichtig bei Langzeitfolgen | |
| Laut Schätzung leidet jeder zehnte einst Corona-Infizierte an Long Covid. | |
| Der Forschungsbedarf ist groß. Doch die Regierung agiert allenfalls | |
| halbherzig. | |
| Long-Covid-Erkrankte protestieren: „Wir brauchen mehr Forschung“ | |
| Mit 400 Feldbetten vor dem Reichstag machen Betroffene auf Long Covid | |
| aufmerksam. Sie fordern Unterstützung für Forschung und Versorgung. | |
| Long Covid bei Kindern: Das Kind muss an die frische Luft | |
| Als die Tochter unserer Autorin an Long Covid erkrankt, beginnt für die | |
| Familie eine schwere Zeit. Wie aus dem „Wurm“ wieder Olivia wurde. | |
| Umgang mit Langzeitfolgen von Covid-19: Blind für Genderfragen | |
| Die Medizin hat zwar ihren genderspezifischen Blick geschärft. Doch in der | |
| Forschung hat sich zu wenig getan. Jüngstes Beispiel: Fatigue nach Corona. | |
| Corona-Politik: Long, long Covid | |
| Die Infizierung mit dem Virus erhöht das Risiko weiterer schwerer | |
| Erkrankungen. Für eine Entwarnung ist es deshalb noch viel zu früh. |