# taz.de -- Lützerath und die Grünen: Nicht genug Moral übrig | |
> Beim Thema Waffen haben die Grünen eine atemberaubende Wende hingelegt. | |
> Bei der Braunkohle beharren sie stur auf Kompromissen – trotz Klimakrise. | |
Bild: Aktivist in Lützerath bei der Räumung | |
Inzwischen sind ja alle für den Klimaschutz – selbst der Kanzler, die Bosse | |
der Energiekonzerne und die Autoindustrie. Nur eben nicht gerade jetzt. | |
Aber nicht an jenem konkreten Beispiel. Und man müsse ja auch die | |
Sachzwänge sehen. Immer ist gerade dann doch etwas anderes vordringlicher | |
als der Klimaschutz. Mal müsse man, wie im Fall der [1][Gasfelder im | |
Senegal], die Geopolitik und die hegemoniale Afrikastrategie Chinas | |
mitbedenken. Mal binde der Kohlekompromiss mit den Konzernen einem die | |
Hände. | |
Gab es nicht einmal eine Partei, die für den entschiedenen Kampf gegen die | |
Klimakrise gewählt wurde? Bei der Verteidigung der Ukraine mit | |
militärischer Ausstattung haben die Grünen [2][eine atemberaubende | |
Entwicklung hingelegt]. Schon früh und gegen jede politische Linie hat der | |
heutige Vizekanzler und damalige Grünen-Chef Robert Habeck | |
Waffenlieferungen für das Land gefordert. Mit der Moral auf ihrer Seite | |
erklären sie noch jede Patrone und jeden Panzer, demnächst wohl auch die | |
Lieferung des deutschen Kampfpanzers Leopard 2 zur notwendigen | |
Unterstützung. | |
In Lützerath dagegen verweisen die Grünen auf Kompromisse mit den Bossen | |
der Energiekonzerne, auf Koalitionszwänge und die sächsische Braunkohle. | |
Für den Kampf gegen die Klimakrise ist bei den Grünen offenbar nicht genug | |
Moral übrig geblieben. Hier diktieren Pragmatismus und Sachzwänge die | |
Politik. Wenn uns die vergangenen drei Jahre Coronapandemie und Krieg etwas | |
gelehrt haben, dann aber doch, dass undenkbar und unmachbar Erscheinendes | |
in einer akuten Krise denkbar und machbar wird. | |
Wieso wird die Klimakrise immer noch nicht als akute Krise begriffen, in | |
der einmal Entschiedenes auch revidiert werden kann? Wenn es bei einem | |
Thema eine Zeitenwende geben müsste, dann doch bei der Klimakrise. Denn | |
was ist das [3][Pariser Klimaabkommen] wert, wenn so weiter fleißig und | |
ohne Scham fossiler Brennstoff aus dem Boden geholt wird und die | |
CO2-Emissionen an die kritische Grenze getrieben werden? | |
## Es gibt viele Lützeraths | |
In Lützerath verdichten sich die Widersprüche grüner Klimapolitik. | |
Entsprechend groß sind Enttäuschung, Wut und Eskalationspotenzial. Eine | |
Rechtfertigung für Militanz gegen Polizist.innen bei der Räumung ist dies | |
selbstverständlich nicht. Aber vielleicht sollte man die Perspektive | |
zumindest auch einmal umdrehen: Es ist die Polizei, die die Interessen von | |
RWE mit Gewalt, mit dem staatlichen Gewaltmonopol im Rücken, durchsetzt. | |
In Lützerath wird nicht die finale Schlacht um das 1,5-Grad-Ziel gekämpft. | |
Durchaus zu Recht verweisen die Grünen darauf, dass mit den Kohlegebieten | |
in Ostdeutschland der nächste politische Konflikt wartet. Das wissen auch | |
all jene, die jetzt das, was vom Dorf noch geblieben ist, verzweifelt | |
verteidigen. Doch an 10, 50, 100 Lützeraths entscheidet sich das Schicksal | |
der Menschheit. Irgendwann summieren sich die vielen Lützeraths zu 2,8 Grad | |
oder mehr. Deshalb stehen die Menschen dort und verteidigen ihre eigene und | |
unsere Zukunft. | |
11 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Junge | |
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