| # taz.de -- Lokale Desinformation: Ein Kampf auch um die Köpfe | |
| > In Berlin gab es mehrere Falschmeldungen mit Bezug zum Nahostkonflikt. | |
| > Sie verbreiten sich so leicht, weil sie auf entsprechende Vorurteile | |
| > treffen. | |
| Bild: Wenn es um Desinformation geht, haben auch die Plattformen große Verantw… | |
| Josef Holnburger vom Cemas – Center für Monitoring, Analyse und Strategie | |
| beobachtet Desinformation und Falschmeldungen und wie sie sich verbreiten. | |
| Auch aktuell stellen sie eine Gefahr dar, sagt er. | |
| taz: Herr Holnburger, wie entstehen Falschmeldungen? | |
| Josef Holnburger: Meistens bringen Personen Falschmeldungen bewusst in | |
| Umlauf, und sie wollen damit eine gewisse Agenda bedienen, etwa | |
| antisemitische Ressentiments bestärken. Wir stellen auch fest, dass es oft | |
| dieselben Personen sind, die Falschmeldungen in Umlauf bringen. | |
| Wie verbreiten sich Falschmeldungen? | |
| Um das zu verstehen, hilft das Konzept der Blue Lies: Das sind Lügen, die | |
| man ausspricht, weil man denkt, dass ein vermeintlich guter Zweck eine Lüge | |
| rechtfertigen würde. Deshalb fühlen sich die Urheber auch oft nicht | |
| ertappt, wenn man sie entlarvt. Sie finden es gerechtfertigt, weil die | |
| Falschmeldung aus ihrer Sicht „an sich“ schon stimmt. | |
| Wie kann man sich selbst davor schützen, Desinformation zu verbreiten? | |
| Da hilft es, die eigenen vorhandenen Stereotype kritisch zu hinterfragen. | |
| Sodass man nicht darauf hereinfällt, weil da eine Geschichte eigene | |
| Vermutungen bestätigt. Zurzeit sehen wir extrem viele KI-generierte Bilder | |
| von Kindern und Babys, die bedienen das antisemitische Stereotyp von Juden | |
| als Kindermördern. | |
| Verschärft das den Diskurs? | |
| Wir sehen: Das bleibt nicht im Netz. Falschmeldungen moralisieren teils | |
| sehr stark, besonders wenn es um Kinder geht. Und das bedeutet, dass dann | |
| auch mehr zugelassen werden kann im Sprechen dagegen. Und das macht etwas | |
| mit Menschen: Mit Corona hat sich in Ostdeutschland die Impfbereitschaft | |
| deutlich verringert, sie war vorher immer deutlich höher als in | |
| Westdeutschland. Jahrzehntelange Einstellungen werden innerhalb von drei | |
| Jahren gedreht. | |
| Warum verfangen Falschmeldungen im Lokalen, wie nun die über eine | |
| entlassene Schulleiterin oder einen sogenanten Gewissenstest (siehe unten)? | |
| Ist es da nicht sogar leichter, sie zu überprüfen? | |
| Bei lokalen Desinformation spielt die Angst um Freunde und Familie stark | |
| mit hinein, durch die emotionale Verbundenheit ist der Anreiz, etwas zu | |
| tun, noch größer. Das ist also noch aufgeladener, je drastischer | |
| Falschmeldungen sind, umso mehr steigt der Handlungsdrang. | |
| Was braucht es, um Falschmeldungen einzufangen und zu widerlegen? | |
| Es hilft, wenn Menschen über Stereotype hinwegsehen, und wenn man die | |
| Emotionen erstmal rausnimmt. Es hilft auch, wenn Personen aus dem nahen | |
| Umfeld widersprechen. Man kann Faktencheckern folgen und Meldungen damit | |
| überprüfen. Aber auch die Plattformen selbst haben eine Verantwortung: Bei | |
| X (vormals Twitter) verbreiten sich Falschmeldungen derzeit besonders | |
| schnell. Eigentlich müssten alle Plattformen ihre Contentmoderation | |
| aufstocken. Und es ist wichtig, dass Polizei und Staatsanwaltschaft vor | |
| allem bei lokalen Desinformationen schnell reagieren und dementieren. | |
| Die folgenden Falschmeldungen über Vorkommnisse in Berlin waren zuletzt im | |
| Umlauf – und obwohl sie relativ schnell von offizieller Seite dementiert | |
| wurden, kursierten sie weiter. | |
| Die Schulleiterin An der Kreuzberger Refik-Veseli-Schule sei angeblich die | |
| Schulleiterin entlassen worden, weil sie gesagt haben soll, sie könne das | |
| Verbot von Palästinensertüchern an Schulen nicht mittragen. Ein Artikel in | |
| der Jungen Welt vom 19. Oktober, überschrieben mit „Striktes Tuchverbot“, | |
| hatte diesen Zusammenhang suggeriert. Im Text selbst klang es vage und | |
| raunend, die Autorin hatte auf eine E-Mail an die Eltern verwiesen, aus der | |
| sie aber nicht direkt zitierte. Die Bildungsverwaltung dementierte dies | |
| direkt: „Im Artikel über die Refik-Veseli-Schule sind wesentliche | |
| Falschmeldungen enthalten, auf die die Redaktion der Jungen Welt bereits | |
| hingewiesen wurde“, teilte die Senatsverwaltung für Bildung auf Anfrage der | |
| taz mit. Die Schulleiterin selbst habe bestätigt, dass die Aussagen, die | |
| sie laut Junge Welt bezüglich der angeblichen Verbote von Symbolen getätigt | |
| haben soll, frei erfunden seien. „Es hat auch keinen Kontakt zwischen der | |
| Schulleiterin und der Jungen Welt gegeben“, schrieb die Sprecherin. | |
| Abgesehen davon fordert der Senat gar kein Verbot von Palästinensertüchern | |
| an Schulen, sondern weist lediglich darauf hin, [1][unter welchen | |
| Bedingungen ein solches Verbot] möglich wäre. Die Schule selbst hatte – | |
| unabhängig davon – auf ihrer Webseite [2][ein Statement zu ihrem Umgang mit | |
| dem Nahost-Konflikt] veröffentlicht. Die Schule wolle Austausch ermöglichen | |
| und auch „Ventile für Emotionen und Sorgen schaffen“. Zum „Prozess der | |
| Begleitung“ gehöre auch, „auf diejenigen Symbole zu verzichten, die als | |
| antisemitisch gewertet werden müssen“, heißt es dort. Der Text der Jungen | |
| Welt ist inzwischen [3][online nicht mehr abrufbar]. | |
| Der Fragebogen Auch die Galilei-Grundschule in Kreuzberg wehrte sich gegen | |
| eine kursierende Falschmeldung. An der Schule seien angeblich über einen | |
| Fragebogen die Einstellungen von Schüler*innen zur Hamas abgefragt | |
| worden. „Das ist eine Falschmeldung“, sagte ein Sprecher der | |
| Bildungsverwaltung der dpa. „Die Lehrkräfte der Schule haben ein solches | |
| Arbeitspapier nicht im Unterricht verwendet. Es würde auch nicht den | |
| Standards der Schule entsprechen.“ Auch die Schule selbst widersprach der | |
| Meldung auf ihrer Homepage. „Dieses sog. Arbeitsblatt stammt nicht aus dem | |
| Unterricht an der Galilei-Grundschule. Die Schule prüft derzeit eine | |
| Anzeige gegen die ursprünglichen Urheber dieser Behauptung wegen der | |
| Verbreitung von Unwahrheiten“, heißt es dort. Der Ursprung des Bildes sei | |
| unklar. „Eines unserer wichtigsten Erziehungsziele ist das der gewaltlosen | |
| Konfliktlösung in der Schule und im Alltag“, [4][schrieb die Schulleitung]. | |
| Ein Foto des angeblichen Gesinnungstests hatte sogar Ferat Kocak (Linke), | |
| Mitglied des Abgeordnetenhaus, auf der Social-Media-Plattform X (vormals | |
| Twitter) weiterverbreitet. Nach Hinweisen löschte er den Post umgehend und | |
| entschuldigte sich. | |
| Der Polizeieinsatz Auch die Polizei musste gegen eine Falschmeldung | |
| vorgehen, diese kursierte im Zusammenhang mit den verbotenen | |
| pro-palästinensischen Demos auf der Sonnenallee in Neukölln und wurde in | |
| verschiedenen Social-Media-Kanälen verbreitet. Es hieß, dass dort ein | |
| 13-jähriger Junge ums Leben gekommen sei. „Das ist ein #Fake“, schrieb die | |
| Polizei auf X. Polizist*innen hätten Tatverdächtige festgenommen, es | |
| hätte Widerstände gegeben und „Ja, zum Brechen des Widerstandes mussten sie | |
| körperliche Gewalt anwenden“, schrieb die Polizei. Dabei sei es auch zu | |
| Verletzungen gekommen. Aber: „Niemand ist deshalb gestern verstorben“. Wir | |
| wissen, dass momentan viele Menschen emotionalisiert sind. Aber #FakeNews | |
| sind gefährlich – und führen im schlimmsten Fall zu Gewalt“, schrieb die | |
| Polizei. | |
| 31 Oct 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Nahost-Konflikt-an-Schulen/!5963448 | |
| [2] https://www.refik-veseli-schule.eu/cms/_rubric/detail.php/aktuelles/1529 | |
| [3] https://www.jungewelt.de/comment.php?articleId=461359 | |
| [4] https://galilei-grundschule.de/aktuelles/pressemitteilung/ | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| ## TAGS | |
| Desinformation | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Social Media | |
| Fake News | |
| Berlin | |
| Schule | |
| IG | |
| Robert Habeck | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
| Mark Zuckerberg | |
| Twitter / X | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hamas-Angriff auf Israel: Viel Lob für Habeck-Video | |
| Der Vizekanzler erklärt in einem Video Israels Sicherheit als deutsche | |
| „Staatsräson“ und verurteilt Antisemitismus – von links, rechts, von | |
| Muslimen. | |
| Arabische Israelis in Jerusalem: Angst und Repression | |
| Arabische Israelis und jüdische Aktivisten werden vermehrt verhaftet, | |
| suspendiert und angezeigt. Als Auslöser reicht oft ein Post in sozialen | |
| Medien. | |
| Propalästinensische Demos in Berlin: Immer wenn es nicht regnet | |
| Seit Tagen eskalieren die „Free Palestine“-Demos in Neukölln. Es kursieren | |
| Fake News über einen getöteten Demonstranten. | |
| Fake News zu Nahostkonflikt auf Facebook: EU-Kommission verwarnt Zuckerberg | |
| Auf Meta sollen Fake News über Israel verbreitet worden sein. Nach Musks X | |
| hat die EU-Kommission nun auch den Facebook-Mutterkonzern verwarnt. | |
| Bundesregierung soll „X“ verlassen: Ataman fordert Exodus von „X“ | |
| Die Bundesregierung nutzt „X“ weiterhin als Plattform. Die | |
| Antidiskriminierungsstelle des Bundes verlässt die Online-Plattform nun. |