Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Arabische Israelis in Jerusalem: Angst und Repression
> Arabische Israelis und jüdische Aktivisten werden vermehrt verhaftet,
> suspendiert und angezeigt. Als Auslöser reicht oft ein Post in sozialen
> Medien.
Bild: Polizeikontrollen von arabischen Israelis in Jerusalem haben seit dem 7. …
Es ist das erste Mal seit dem Terrorangriff der Hamas, dass Mohammed
Idkedik wieder zur Arbeit geht. Idkedik ist israelischer Palästinenser. Als
mit dem [1][Massaker vom 7. Oktober] an mehr als 1.400 israelischen Bürgern
der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas begann, wusste
der 23-Jährige, dass sich alles ändern würde: für ihn, für seine Familie im
Ostjerusalemer Stadtteil Wadi al-Dschos und für seine jüdischen Freunde in
Westjerusalem. „Die Angst und das Misstrauen sind überall zu spüren“,
erzählt Idkedik.
Mohammed Idkedik arbeitet in einer Pizzeria im mehrheitlich jüdisch
bevölkerten Westjerusalem. Fast vier Wochen nach Kriegsbeginn sind viele
Geschäfte und Restaurants dort weiter geschlossen. Dafür gibt es Gründe:
Während des letzten Konflikts zwischen der radikalislamischen Hamas und
Israel [2][im Mai 2021] kam es in Städten, in denen – wie in Jerusalem –
Juden und Muslime zusammenleben, zu heftigen Zusammenstößen, die gar Tote
forderten.
Dieses Mal ist es in Westjerusalem bisher noch vergleichsweise ruhig
geblieben. Dem Aufruf der Hamas, sich dem Kampf gegen Israel anzuschließen,
sind die israelischen Palästinenser, die rund ein Fünftel der Bevölkerung
des Landes ausmachen, nicht gefolgt.
Dennoch haben die brutalen Terrorakte sowie die israelischen Gegenangriffe
auf Gaza gegenseitiges Misstrauen erzeugt. Lokale Medien berichten von
vereinzelten Übergriffen auf arabische Israelis. Demonstrationen in
arabischen Gemeinden Israels wurden teilweise verboten.
Zwar haben sich unter den arabischen Israelis bekannte Stimmen wie der
Knesset-Abgeordnete Ayman Odeh schnell und deutlich gegen den Terror der
Hamas positioniert. Doch es gibt auch viele, die den Terror bisher nicht
verurteilt haben. Mohammed Idkedik wollte deshalb ein Zeichen setzen: Er
traute sich am 18. Oktober mit der arabisch-jüdischen Aktivistengruppe
„Wir stehen zusammen“ auf die Straße, um in Jerusalem Plakate aufzuhängen.
Der Text: „Wir stehen das zusammen durch“ – auf Hebräisch und Arabisch.
Weit kamen er und sein jüdischer Mitstreiter Rimon Lavi nicht. „Nach ein
paar hundert Metern stoppte uns die Polizei und wir mussten die Plakate
abgeben“, erzählt der 79-jährige Lavi. Zudem bekamen sie eine Strafe von
umgerechnet mehr als einhundert Euro. „Sie sagten, wir hätten keine
Genehmigung. Dabei hängt ganz Jerusalem voller Plakate.“
## Verhaftungen, Suspendierungen und Anzeigen
Knapp einen Monat nach dem schlimmsten Terroranschlag in der Geschichte
Israels häufen sich Berichte über Verhaftungen, Suspendierungen und
Anzeigen. Behörden, Arbeitgeber oder Privatpersonen gehen laut der NGO
Adalah vor allem gegen arabische Israelis und Aktivisten vor. Seit dem 7.
Oktober hat die NGO Ermittlungen in 170 Fällen gezählt. Polizeiangaben
zufolge gab es bisher 110 Festnahmen sowie 24 Anklagen. Der überwiegende
Teil steht Adalah zufolge in Verbindung mit Posts in sozialen Medien.
Außerdem hätten Universitäten und andere Bildungseinrichtungen in mehr als
100 Fällen Disziplinarmaßnahmen gegen Studierende erlassen. Adalah-Sprecher
Ari Remez sieht darin eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Die [3][Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu] trägt das harte
Vorgehen mit. Die Polizei hat dabei großen Ermessensspielraum bei der
Einschätzung, was sie als Unterstützung von Terrorismus wertet. Israels
Polizeichef Kobi Shabtai sagte in der ersten Woche des Krieges, jeder, der
ein Bürger Israels sein möchte, sei willkommen. Jeder, der sich mit dem
Gazastreifen identifizieren möchte, solle sich „in die Busse setzen, die
jetzt dorthin fahren“.
Idkedik erzählt, Freunde hätten in Polizeikontrollen ihre Handys entsperren
müssen. Einem sei das Telefon zerstört worden, als er sich weigerte. Die
Polizei suche gezielt in Chats nach aus ihrer Sicht problematischen
Aussagen. Dabei geht es längst nicht nur um so eindeutig unverhohlene
Unterstützung für den Hamas-Angriff, wie ihn die bekannte
palästinensisch-israelische Schauspielerin Maisa Abd Elhadi geäußert hat.
In einem öffentlichen Post schrieb sie zu einem Bulldozer der Hamas, der am
7. Oktober den Grenzzaun zu Gaza einriss: „Let’s go Berlin style“. Abd
Elhadi wurde festgenommen und angeklagt. Israels Innenminister Mosche Arbel
will sogar prüfen lassen, ob ihr die Staatsbürgerschaft entzogen werden
kann.
## Ein „Like“ kann ausreichen
Betroffen von Verhaftungen sind aber auch viele, die sich weniger eindeutig
äußerten. In Tiberias, am Westufer des Sees Genezareth, wurde eine
israelisch-arabische Lehrerin suspendiert, weil sie einen Beitrag der
populären Instagram-Seite „Eye on Palestine“ gelikt hatte, die Ereignisse
in Gaza und im Westjordanland dokumentiert. In Nazareth nahm die Polizei
die bekannte palästinensisch-israelische Sängerin Dalal Abu Amneh fest.
Sie hatte am 7. Oktober auf Arabisch den Satz „Es gibt keinen Sieger außer
Gott“ mit ihren rund 350.000 Followern geteilt. Laut ihrer Anwältin sei der
Post von ihrem PR-Büro veröffentlicht worden. Abu Amneh befinde sich nun an
einem geheimen Ort, weil sie Todesdrohungen erhalten habe. In Haifa
verbrachte ein palästinensischer Automechaniker vier Tage in
Polizeigewahrsam, nachdem er zu den israelischen Bombardierungen in Gaza
gepostet hatte: „Wir werden unser Volk weiter unterstützen, trotz deren
Politik.“
Ari Remez von Adalah kritisiert: „Jeder Ausdruck von Solidarität mit
[4][palästinensischen Opfern], von Opposition zum Krieg in Gaza oder von
Kriegsverbrechen wird als Unterstützung terroristischer Vereinigungen
gewertet.“
Auf Nachfrage teilt die israelische Polizei mit, sie halte das Grundrecht
der Meinungsfreiheit aufrecht. Es sei jedoch „notwendig, gegen jene
vorzugehen, die dieses Recht ausnutzen, um zu Gewalt aufzurufen“, sagte ein
Sprecher. Festnahmen habe es nur wegen Aufrufen zu Gewalt gegeben oder bei
„erheblicher Bedrohung der Stabilität der öffentlichen Ordnung“.
## „Wir werden dich finden“
Wie schwierig diese Abwägung allerdings sein kann, zeigt die Geschichte von
Jasmin Suleiman. Die taz hat ihren Namen aus Sicherheitsgründen geändert.
Wenige Tage nach ihrer Freilassung sitzt die palästinensische Mitarbeiterin
einer Universität in einem Café im Osten Jerusalems. Am 7. Oktober hatte
sie gegen Abend, als in den Nachrichten bereits von hunderten durch die
Hamas ermordeten Kindern, Frauen und Männern die Rede war, auf Facebook
geschrieben: „Ich fühle mich wie in einem Traum.“ Daneben postete sie
Herzen in den palästinensischen Nationalfarben.
Tage später wurde ihr Post von anderen Nutzern entdeckt und verbreitet.
„Mein Telefon hörte nicht mehr auf zu klingeln“, erzählt die 32-Jährige …
Anwesenheit ihres Anwalts Nabil Izhiman in Jerusalem. Sie habe hunderte
Nachrichten, E-Mails und Anrufe bekommen. „Wir werden dich vergewaltigen,
wir werden dich finden“, lauteten einige der Nachrichten. Schließlich
schrieb Jasmin Suleiman einen weiteren Post, in dem sie beschwor, sich mit
ihrem Traum-Post nicht auf „die tragischen Ereignisse am 7. Oktober“,
sondern auf ein „intimes, persönliches Ereignis“ in ihrem Leben bezogen zu
haben.
Ihr Telefon klingelte trotzdem weiter. Dutzende Menschen hätten sie bei der
Polizei angezeigt. Schließlich seien Beamte zum Haus ihrer Familie in
Ostjerusalem gekommen. Auf Fotos zeigt Suleiman die zerstörte Einrichtung
der Wohnung, kaputtgeschlagene Möbel, Löcher in den Wänden. Sie selbst
musste für drei Tage ins Gefängnis, wurde verhört und schließlich wieder
freigelassen. Übertrieben, findet Suleimans Anwalt: „Eine Vorladung hätte
gereicht.“ Izhiman und mehrere palästinensische Kollegen vertreten noch
mehrere ähnliche Fälle. Sie pochen auf den Schutz der Redefreiheit, auch in
Kriegszeiten.
Kann er das Vorgehen der Behörden nachvollziehen, angesichts der
problematischen Äußerungen seiner Mandantin zu einem Zeitpunkt, als das
schreckliche Ausmaß der Hamas-Massaker längst ersichtlich war? „Was sie
veröffentlicht hat, rechtfertigt diese Maßnahmen nicht“, sagt Izhiman. So
deplatziert ihr Post zu diesem Zeitpunkt gewesen sein möge, er beziehe sich
mit keinem Wort auf die Ereignisse am 7. Oktober. Auch für sie müsse
gelten: „Im Zweifel für den Angeklagten“. Mit einer Anklage rechnet er
nicht.
## Wütender Mob droht nach Trauergebet
Dass nicht nur palästinensische Israelis wegen ihrer Äußerungen in
Schwierigkeiten geraten können, musste der linke jüdisch-orthodoxe
Journalist Israel Frey erleben. Er hatte in Tel Aviv ein Trauergebet sowohl
für die Opfer der Hamas als auch für die in Gaza getöteten Frauen und
Kinder gesprochen. „Kein Kind sollte den Preis für die Taten von Fanatikern
bezahlen müssen“, sagte Frey in dem Trauergebet unter anderem. Vor seiner
Wohnung in der ultraorthodoxen Nachbarstadt Bnei Brak versammelte sich
daraufhin ein wütender Mob. Die Demonstranten riefen „Verräter“ und warfen
Feuerwerkskörper. Er musste seine Wohnung unter Polizeischutz verlassen.
Wenige Tage später meldete er sich mit einer Videobotschaft von einem
unbekannten Ort, an dem er sich aus Angst um sein Leben versteckt hielt.
Darin erhob er schwere Vorwürfe gegen rechte Gruppen und kritisierte die
Festnahme von „fast einhundert Palästinenserinnen und Palästinensern wegen
Hetze“ für Posts auf Instagram und Facebook.
Für Alon-Lee Green, den Co-Direktor von „Wir stehen zusammen“, sind Fälle
wie der von Frey nur ein Beispiel für die Einschüchterung von Israelis, die
sich gegen die Politik der Regierung oder in Solidarität mit Palästinensern
äußern. „Wir bekommen täglich hunderte Anrufe von Menschen, die etwa von
ihrer Arbeit suspendiert wurden. Einige Dutzend von ihnen haben tatsächlich
Unterstützung für die Hamas ausgedrückt. Die große Mehrheit aber hat
lediglich das Ende des Krieges oder Rücksicht auf die Kinder im
Gazastreifen gefordert.“
Israel brauche seine arabischen Mitbürger, als Ärzte, Psychologen, an
Universitäten. Auch sie seien Teil der Gesellschaft und hätten durch die
Angriffe der Hamas ein Trauma erlitten. Die Mehrheit von ihnen zu
kriminalisieren, sei gefährlich und könne neue Fronten und Gewalt innerhalb
Israels schüren.
1 Nov 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Nahost-Konflikt/!t5007999
[2] /Weltweite-Reaktionen-auf-Nahostkonflikt/!5767594
[3] /Moshe-Zimmermann-ueber-den-Nahost-Krieg/!5966884
[4] /Aktuelle-Lage-im-Gazastreifen/!5970338
## AUTOREN
Felix Wellisch
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Ost-Jerusalem
Palästinenser
Repression
Social Media
GNS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Desinformation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Beschwerden über Berichte der BBC: Wortwahl, Quellen, Social Media
Tausende sind mit der Berichterstattung der BBC zum Nahostkonflikt
unzufrieden. Auch im Sender gibt es Protest, ja sogar Kündigungen.
Moshe Zimmermann über den Nahost-Krieg: „Eine Regierung von Fanatikern“
Deutschlands lasche Haltung helfe aktuell nicht weiter, sagt der Historiker
Moshe Zimmermann. Er fordert vom Westen auch Kritik am Kabinett Netanjahu.
Lokale Desinformation: Ein Kampf auch um die Köpfe
In Berlin gab es mehrere Falschmeldungen mit Bezug zum Nahostkonflikt. Sie
verbreiten sich so leicht, weil sie auf entsprechende Vorurteile treffen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.