# taz.de -- Lithium in Lateinamerika: Alle wollen es, alle brauchen es | |
> Der Geologe Micha Zauner sucht in Argentinien nach Lithium für die | |
> deutsche Industrie. Er will es nachhaltiger abbauen als andere. Geht das | |
> überhaupt? | |
Bild: 30 Kilometer von Micha Zauners Lithium-Bohrproben entfernt haben die Vicu… | |
El Peñón Micha Zauner holpert mit seinem silberfarbenen Geländewagen durch | |
die Geröllwüste im Nordwesten Argentiniens. Rosa, gelb, schneeweiß, rostrot | |
– die Hügel und Berge rechts und links der Piste leuchten bunt, sie stecken | |
voller seltener Mineralien. Zauner kneift die Augen in der Sonne zusammen, | |
schaut aus den Autofenstern in alle Richtungen, ist auf der Suche. Auf der | |
Suche nach seinen Kollegen, die irgendwo hier eine Probebohrung machen | |
sollen. Und letzten Endes auf der Suche nach Lithium für die deutsche | |
Industrie. | |
Das „weiße Gold“ ist zentral für eine Energiewende, wie Europas Green Deal | |
sie vorsieht. Um Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern, etwa in | |
Elektroautos, braucht man große Batterien. Und für solche Akkus braucht man | |
viel Lithium. Alle wollen und brauchen es, doch das Leichtmetall ist auf | |
der Erde ganz und gar nicht gleichmäßig verteilt. Mehr als die Hälfte aller | |
bekannten Vorkommen liegen hier oben in den Anden, rund um das | |
Dreiländereck von Argentinien, Chile und Bolivien. | |
Micha Zauner, Sonnenbrille, grünes T-Shirt, khakifarbene Outdoorhose, ist | |
Geologe und Vorstand des Lithium-Start-ups „Deutsche E-Metalle AG“, kurz | |
DEM AG. Noch sei Europas Industrie von China abhängig, sagt der 38-Jährige, | |
und von kanadischen und australischen Lithium-Firmen. Doch das soll sich | |
ändern. „Die deutsche Politik hat sich Lateinamerika zugewandt“, sagt | |
Zauner und freut sich. Doch das argentinische Lithium, das er für deutsche | |
Investoren und Abnehmer sichern will, muss er erst mal finden. Und dann | |
sind da noch Anwohner:innen, die große Bedenken haben. | |
Ganze Herden von Vicuñas, die kleinen Alpaka-Verwandten, schauen Zauners | |
staubigem Auto nach. Dann senken sie ihre Köpfe wieder in dürre Büsche und | |
Sträucher. Regen fällt hier auf über 3.500 Metern nur wenig. Die Luft ist | |
dünn, Wasser extrem kostbar. | |
Links neben der Piste taucht ein grüner Fleck auf, mageres Gras um einen | |
gelb-weißen Teich, eine Holzhütte. „Die gehört einem Viehzüchter“, sagt | |
Zauner. „Mit dem müssen wir uns auch abstimmen.“ Dass die DEM AG die | |
Explorationsrechte für 70.000 Hektar in der Gegend um die Ortschaft El | |
Peñón gekauft hat, macht einigen Menschen dort Sorgen. Wo die Lithiumsole | |
aus dem Boden gesogen wird, könnte Grundwasser nachfließen, sich mit Salzen | |
vermischen und giftig werden für Tier und Mensch. Seit Jahren kämpfen | |
Indigene am nördlich von hier gelegenen Salzsee Hombre Muerto dagegen, dass | |
ihnen Bergbauunternehmen das Wasser abgraben. BMW zum Beispiel bezieht sein | |
Lithium von dort. | |
Micha Zauner will es besser machen. Sollte er bei seinen Probebohrungen auf | |
konzentrierte Vorkommen stoßen und sollte er genügend Investoren für sein | |
Vorhaben finden, will er die Direct Lithium Extraction (DLE) nutzen. Diese | |
Methode soll weniger Wasser verbrauchen als das herkömmliche | |
Verdunstungsverfahren in großen Becken. Für die Menschen vor Ort könne sich | |
eine Investition seiner Firma sogar lohnen, sagt Zauner. Am nächsten Morgen | |
will er bei einer Beteiligungsveranstaltung die Anwohnenden überzeugen. | |
Doch zuerst muss er noch die Probebohrung finden. | |
## Mileis Politik macht Zauner Hoffnung | |
Nach einer Viertelstunde werden die Bohrmaschinen in einer Senke rechts der | |
Piste sichtbar. Bohrmeister Patrico Luppi und zwei Mitarbeiter fahren | |
gerade schon den blauen Bohrturm in die Senkrechte. 15 Zentimeter | |
Durchmesser hat das Bohrrohr, immer wieder werden 3-Meter-Stücke | |
angeschraubt, bis die Lithiumsole erreicht ist, die Micha Zauner in 500 | |
Metern Tiefe vermutet. | |
Drei solcher Testbohrungen will Micha Zauner machen, bis zu zehn könnte es | |
brauchen, um fündig zu werden. 500.000 Dollar zahle er für eine davon. Mehr | |
als 10 Millionen Dollar seien schon ins Projekt geflossen, bis zu 50 | |
Millionen müsse er in den kommenden Jahren investieren. Würde er fündig, | |
bräuchte die DEM AG eine halbe Milliarde Dollar, um eine Anlage zu | |
errichten. Dafür muss Zauner noch kräftig um Investitionen werben, bei | |
Einzelanlegern, bei den deutschen Autobauern. Doch Volkswagen steigt gerade | |
bei einer kanadischen Lithiumfirma ein, und sonst halten sich die | |
Autokonzerne momentan eher zurück. | |
Dabei versucht Argentiniens [1][anarchokapitalistischer Präsident Javier | |
Milei] alles, um ausländische Investoren ins Land zu locken. Umweltauflagen | |
sollen fallen, so sieht es sein „Rigi“-Gesetz vor. 30 Jahre lang sollen | |
große ausländische Firmen von Steuern befreit werden. Allein durch den | |
Bergbausektor sollen 25 Milliarden ins Land fließen. | |
Zauner setzt seine Hoffnung auf Mileis Anreize: „Dass die Devisen- und | |
Zollbeschränkungen wegfallen, ist enorm wichtig für uns.“ Doch, so sagen es | |
selbst liberale Ökonomen: Javier Mileis impulsive Kettensägenpolitik könnte | |
deutsche Investor:innen abschrecken, denn die wollen vor allem | |
Stabilität. Und viele im von Wirtschaftskrisen gebeutelten Argentinien | |
fragen sich: Was haben wir eigentlich von Investitionen, wenn die | |
Unternehmen keine Steuern zahlen? | |
Micha Zauner hat Argentinien nach der Schule kennengelernt, in einem | |
freiwilligen sozialen Jahr. Anschließend hat der Baden-Württemberger an der | |
Bergakademie im sächsischen Freiberg Geologie studiert und an der TU | |
Clausthal promoviert. In Australien, Brasilien und Kanada hat er | |
Bergbauprojekte begleitet, bevor er in das DEM-Start-up einstieg. Die | |
Energiewende sei ihm wichtig, sagt Zauner, er stehe den Grünen nahe. 2023 | |
war es SPD-Kanzler Olaf Scholz, der Zauner auf seiner [2][Rohstoff-Reise | |
durch Lateinamerika] mitgenommen hat. | |
„Der Offtake soll zu 100 Prozent nach Deutschland gehen“, sagt Zauner. Der | |
gesamte Ertrag, 20 bis 30 Tausend Tonnen Lithium sollen das jährlich sein. | |
Doch sein Projekt solle auch Argentinien zugutekommen. Die Verarbeitung von | |
Sole bis Karbonat soll idealerweise im Land stattfinden. Den Ausbau von | |
Straßen und Schulen in der Region könne sein Projekt voranbringen, für | |
besseres Internet sorgen. | |
Der Bergbau ist in Argentinien auf Provinzebene reguliert, noch setzen die | |
Provinzgouverneure der Kettensäge von Präsident Milei Grenzen. Noch muss | |
Micha Zauner hier also Auflagen einhalten, auch wenn der Bergbauminister | |
der Provinz Catamarca seinem Projekt gewogen ist. Mit der noch | |
obligatorischen Studie zur Umweltverträglichkeit des Projekts hat Zauner | |
die Beratungsfirma Grupo Territorio beauftragt. Im April 2024 bekam er | |
Rückmeldung aus der Provinzhauptstadt San Fernando: In 25 Punkten musste er | |
nachbessern. Einen Monat brauchte Zauner, um die Liste abzuarbeiten, im | |
August bekam er die Genehmigung für die erste Testbohrung. Auch deren | |
Ergebnisse muss er der Provinzregierung vorlegen. | |
Die will auch, dass die lokale Bevölkerung informiert und beteiligt wird, | |
und so hat die Grupo Territorio an einem Vormittag im November 2024 den | |
Gemeindesaal von El Peñón reserviert. Micha Zauner hat bei der Wirtin des | |
Ortes ein Buffet bestellt. | |
Um 10 Uhr morgens steht ein Aufsteller mit dem Logo der DEM AG vorn im | |
Raum. „Wir sichern den Zugang zu strategischen Rohstoffen“ steht darauf. | |
Auf Deutsch allerdings. Bohrmeister Patricio Luppi ist gekommen und seine | |
beiden Mitarbeiter, Leute von der Gemeindeverwaltung, von der Grupo | |
Territorio und von der Minenorganisation Catamarca. Und eine Handvoll der | |
600 Bewohner:innen von El Peñón. Bei der Beteiligungsveranstaltung im | |
März hätte es größeres Interesse gegeben, sagt Zauner. Ist ein | |
Mittwochvormittag für arbeitende Menschen vielleicht nicht ideal? Die | |
Chefin der Beratungsfirma widerspricht: Am Abend müssten sich die | |
Dorfbewohner:innen um ihre Tiere kümmern. | |
Nachdem sie das Buffet aufgebaut hat, bittet Micha Zauner auch die Wirtin, | |
sich auf einen der Plastikstühle zu setzen. Dann steht einer der Bürger auf | |
und sagt: „Tengo miedo“ – „Ich habe Angst“. „Wir wollen hier keine … | |
mit dem Wasser wie am Hombre Muerto“, sagt der Mann mit Namen Diego Salva. | |
Dann will er wissen, wo genau sich die Bohrstellen befinden. Zauner zeigt | |
sie ihm auf einer Karte. Darauf seien die volkstümlichen Namen der Orte | |
verzeichnet, betont die Beraterin von Grupo Territorio. Ein bis zwei | |
Hilfskräfte könnten bei der Erkundung des Geländes Arbeit finden, sagt sie. | |
„Was ist mit den Flamingos?“, fragt Diego Salva, der sein Geld mit | |
Tourist:innen verdient, die in die spektakuläre Wüstenlandschaft kommen. | |
Die Gutachterin beschwichtigt den Mann, redet seine Sorgen klein: Die rosa | |
Vögel könnten nach den Bohrungen zurückkehren, überhaupt gehe es ja erst | |
mal nur um die Erforschung des Gebietes und noch nicht um den konkreten | |
Abbau. Salva ist der einzige im Gemeindezentrum, der gegen den Lithiumabbau | |
argumentiert. Zauner, die Grupo Territorio, alle andere hier reden auf ihn | |
ein. | |
Auch Micha Zauners Argument, dass sein Projekt die Infrastruktur in der | |
Region voranbringen könnte, überzeugt Salva nicht ganz. „Stellen Sie sich | |
vor, jemand kommt in ihr Dorf in Deutschland und will dort das Grundwasser | |
abpumpen“, sagt er nach der Veranstaltung vor dem Gemeindezentrum, „Der | |
Lithiumabbau braucht viel Wasser.“ | |
Doch warum gibt es hier in El Peñón keinen großen Protest wie im Norden am | |
Hombre Muerto? „Die Leute hier sind bescheiden, sie reden nicht viel“, sagt | |
Diego Salva. | |
## Zwischen Finden und Fördern vergehen viele Jahre | |
Anruf bei Micha Zauner im März dieses Jahres. Bei der Bohrung im November | |
hätte er kein Lithium gefunden, sagt er. Dafür Frischwasser. „Vom | |
Fundraising-Punkt ist das nicht so toll“, aber für die Lithiumverarbeitung | |
brauche man ja auch Wasser. Bei einer zweiten Bohrung sei er tatsächlich | |
auf das weiße Gold gestoßen. Zu einer dritten Probebohrung will Micha | |
Zauner bald die interessierten Bürger von El Peñon mitnehmen. Und einige | |
Investoren aus Deutschland. | |
„Wir hätten uns eine Beteiligung der Grünen in der neuen Regierung | |
gewünscht“, sagt Zauner über die politischen Veränderungen nach der | |
Bundestagswahl. Aber vielleicht sei der Einfluss der Partei in der | |
Opposition sogar größer als vorher. „Unser Wunsch ist, dass von den | |
Klimageldern etwas in die Rohstoffförderung geht.“ Gemeint sind die 100 | |
Milliarden Euro Sondervermögen, die im Rahmen der Aussetzung der | |
Schuldenbremse im Bundestag beschlossen wurden. | |
17 Jahre liegen durchschnittlich zwischen der Auffindung und der Förderung | |
von Lithium. Micha Zauner will, dass es bei seinem Projekt schneller geht. | |
Obwohl die Nachfrage nach E-Autos zuletzt eingebrochen ist, rechnet er fest | |
mit dem langfristigen Bedarf. Lithium sei schließlich auch für die | |
Rüstungsproduktion wichtig. Bis zum Ende des Jahrzehnts will er in | |
Argentinien mit der Direct Lithium Extraction beginnen. Welche Folgen die | |
langfristig auf das Grundwasser rund um El Peñón hat, das gibt Micha Zauner | |
zu, kann auch er, der Geologe, nicht sagen. | |
30 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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