# taz.de -- Linkspartei stellt Kandidaten auf: Dehm kämpft um politische Bühne | |
> Am Samstag wählen die Linken in Niedersachsen ihre Landesliste. | |
> Liedermacher Diether Dehm will wieder in den Bundestag einziehen – mit | |
> allen Mitteln. | |
Bild: Diether Dehm will seinen Sitz im Bundestag behalten. Doch die Unterstütz… | |
BERLIN taz | Im Bundestagsbüro des Linken-Abgeordneten Diether Dehm sind | |
lauter Freunde versammelt: kleine Porträts von Marx und Engels, ein Foto, | |
auf dem er neben Rudi Dutschke steht, eine Kopie der Titelseite des Playboy | |
mit Katarina Witt. Jenseits des Büros aber lauern die Feinde – das | |
Großkapital, die AfD und die rosa-grünlich angehauchten Medien. Und auch | |
Teile der eigenen Partei. | |
Dehms Mobilisierungsmechanik funktioniere über Feindbilder, erzählen | |
Genoss:innen aus seinem niedersächsischen Landesverband, mit denen die | |
taz gesprochen hat. Wer ihn unterstütze, werde belohnt, wer sich vorwage, | |
hart angegangen. „Das ist reine Machtpolitik.“ | |
Diether Dehm will wieder in den Bundestag. Er bewirbt sich für den | |
aussichtsreichen 4. Listenplatz auf der Landesliste seines | |
niedersächsischen Landesverbands. Auf Platz 1 kandidiert Amira Mohamed Ali, | |
deren Wahl zur Fraktionsvorsitzenden 2019 er sehr unterstützt habe, wie er | |
der taz sagt. Es wäre Dehms fünfte Legislaturperiode im Bundestag, seit | |
2005 ist er Abgeordneter. Doch es könnte knapp werden für Dehm. Er hat zwei | |
Gegenkandidaten, den 29-jährigen Mizgin Ciftci, einen Gesamtschullehrer und | |
Verdi-Gewerkschaftssekretär, und den 36-jährigen Stephan Marquardt, einen | |
Energieelektroniker, der für die IG Metall arbeitet. Sie rechnen sich beide | |
gute Chancen aus. Am Samstag wählen die niedersächsischen Delegierten die | |
Landesliste. | |
Dehm nennt gute Gründe, die für ihn sprechen: Er sei erfahren, auch im | |
Wahlkampf. Er war es, [1][der als Landesvorsitzender] die niedersächsische | |
Partei 2008 erstmals in den Landtag geführt hat. Und er habe in der | |
Bundestagsfraktion ein Alleinstellungsmerkmal. „Ich bin der Einzige in der | |
Fraktion, der als Unternehmer bei Unternehmern einen guten Namen hat und | |
als Künstler bei Künstlerinnen“ – Pause. „Sie merken, wie ich eben schon | |
gegendert habe – vorher Unternehmer, jetzt Künstlerin.“ | |
Der Musikproduzent und Liedermacher ist zudem ein treuer Unterstützer Sahra | |
Wagenknechts, einer von wenigen in der Fraktion, die sie noch öffentlich | |
verteidigen. „Wenn auch nicht in jeder Wortwahl.“ [2][Wagenknechts | |
aktuelles Buch „Die Selbstgerechten“] halten viele Linke für eine | |
Abrechnung mit der eigenen Partei. Dehm aber findet: „Sie hat dort | |
prinzipiell recht, wo sie sagt, dass der werktätige Alltagsverstand unser | |
Referenzmodell sein muss. Wenn wir den ans Nirwana der Nichtwähler | |
verlieren oder gar der AfD überlassen, dann werden wir zu schwach, um auch | |
Flüchtlingen, Transmenschen oder sonstigen Minderheiten wirkmächtig | |
beizustehen, was ich will.“ | |
Gelesen hat er das Buch aber noch nicht. Er schlägt die Beine übereinander. | |
„Wissen Sie, ich habe noch relativ viel Engels, Hegel, Dostojewski zu | |
lesen, und sogar noch ein früheres Buch von Sahra Wagenknecht auf dem | |
Lesestapel.“ | |
Wagenknecht teilt in ihrem aktuellen Buch nicht gerade zimperlich gegen | |
jene aus, die für die Rechte dieser Minderheiten kämpfen. In ihren Augen | |
sind das „Lifestyle-Linke“. Aus der [3][Linkspartei sparten viele nicht mit | |
Kritik]. Was dahintersteckt, ist für Dehm sonnenklar: „Die Bewegungslinke | |
steht hinter vielen unfairen Attacken auf Sahra und gegen viele meiner | |
Freunde in Nordhrein-Westfalen.“ Im Dehm’schen Freund-Feind-Schema stehen | |
die Bewegungslinken eindeutig auf Seiten der Feinde. | |
## Feinde: Bewegungslinke, Medien, BND | |
Die Bewegungslinke ist ein junger Zusammenschluss innerhalb der | |
Linkspartei, in dem sich ab 2017 zunächst jene zusammenfanden, die wenig | |
von Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung und ihrer Kritik an wirtschaftlicher | |
Einwanderung hielten. Nun ist die strömungsübergreifende Bewegung zu einem | |
Machtfaktor in der Partei geworden – alle von ihr unterstützten | |
Kandidat:innen, von orthodoxen Linken bis zu Pragmatiker:innen, wurden beim | |
Parteitag in den Parteivorstand gewählt und besetzen dort die Hälfte der | |
Sitze. | |
Das „Mobbing“ gegen die populäre Wagenknecht werde aber auch von anderen | |
Parteien und den Medien vorangetrieben, sagt Dehm. Welche Gründe die haben? | |
Weil Wagenknecht eine von ganz wenigen Politiker:innen sei, die | |
wirtschaftliche Zusammenhänge verständlich erklären können, so Dehm. Und im | |
Ranking des Focus ist sie die drittbeliebteste Politikerin Deutschlands – | |
„Weit vor Baerbock und Laschet. Das nicht zu nutzen und den Einflüsterern | |
der Medien zu glauben, die uns sagen, macht eure Wagenknecht kaputt, damit | |
ihr für SPD und Grüne wählbar seid, wäre fatal.“ | |
In Dehms Welt arbeiten feindselig gesinnte Medien im Verbund mit dem | |
Bundesnachrichtendienst daran, die Linke vom Gedanken der demokratischen | |
Umwälzung abzuhalten. | |
Die Gefahr ist akut: Die Linke steht in Umfragen bei sieben Prozent und | |
muss um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Dass Wagenknecht nun | |
nordrhein-westfälische Spitzenkandidatin ist, macht es nicht besser. Sie | |
polarisiert. Genauso wie Dehm. | |
## Ein gespaltener Landesverband | |
„Unser Landesverband ist sehr zerstritten“, sagt Dehms Mitbewerber Stephan | |
Marquardt. Die Lagerkämpfe schadeten der Partei: „Selbst wenn Leute gute | |
Ideen haben, werden sie nicht unterstützt, wenn sie zum anderen Lager | |
gehören.“ Und viel habe sich an der Polarisierung um Dehm festgemacht. „Es | |
gibt Leute, die können gut mit Diether arbeiten, und andere, die können es | |
nicht. Das sind zwei harte Fronten.“ Er selbst habe viele gute Aktionen mit | |
beiden Lagern gemacht. | |
Vor seiner Kandidatur habe er mit Dehm und Ciftci gesprochen. „Wir wollen | |
einen Wahlkampf führen, nach dem wir uns noch in die Augen gucken können“, | |
sagt Marquardt. | |
Mizgin Ciftci möchte sich öffentlich zu Dehm nicht äußern. Schließlich | |
trete er nicht gegen Dehm an, sondern für Inhalte: Er kämpfe gegen Armut | |
genauso wie gegen Rassismus und Sexismus, sagt Ciftci, der in einem | |
sozialen Brennpunkt aufwuchs und an dem Hanau nicht spurlos vorbeigegangen | |
sei. „Zwei Wochen vor den Anschlägen habe ich selbst mit Freunden meinen | |
Geburtstag in einer Shisha-Bar gefeiert.“ Ciftci kommt aus einer | |
Arbeiterfamilie, jener Klientel also, von der Wagenknecht und Dehm meinen, | |
dass die Linke sie stärker vertreten soll. Dehm spricht von Mizgin Ciftci | |
aber nur im Zusammenhang mit der Bewegungslinken. | |
Ciftci ist einer von zwölf Mitgliedern im bundesweiten Koordinierungskreis | |
der Bewegungslinken. Doch in Niedersachsen ist sie auf Landesebene nicht | |
einmal organisiert und Ciftci betont, er trete nicht als Kandidat einer | |
Strömung an. Mehr möchte er dazu nicht sagen. | |
## Mit juristischen Mitteln gegen Kritik | |
Gegen vermeintliche Feinde zieht Diether Dehm auch vor Gericht. Das musste | |
etwa die ehemalige Parteivorständin Rosemarie Hein erfahren, die sich 2011 | |
in einer Mail an einige Genoss:innen über Dehm beschwerte. Dehm erfuhr | |
davon und erwirkte eine [4][einstweilige Verfügung] gegen Hein. | |
Auch Genoss:innen aus Dehms Landesverband, mit denen die taz gesprochen | |
hat, beschweren sich wortreich über Dehm, wollen aber ihre Namen nicht | |
nennen: Es erfordere Mut, gegen Dehm anzutreten. | |
Dehm bestreitet indes, Leute einzuschüchtern. „Ich habe nie Leute | |
fertiggemacht, weil sie anders gedacht haben als ich.“ Dennoch haben einige | |
seiner Genoss:innen ja offenbar Angst vor ihm, wie erklärt er sich das? | |
„Die so was behaupten, wissen, dass das nur Gerüchte sind. Niemand musste | |
je Angst vor mir haben. Ich baue auf antikapitalistische Argumente“, | |
erklärt er. | |
## „Dreiste Lügen“ und Jobs | |
Antikapitalistische Argumente, die in der Vergangenheit auch so lauteten: | |
In Konkurrenz um einen Listenplatz für die Bundestagswahl habe Dehm | |
wiederholt bei Parteimitgliedern darauf verwiesen, dass seine Mitbewerberin | |
faul sei, berichtet eine damalige Delegierte. Man müsse nur donnerstags die | |
Plenardebatte auf Phoenix schauen, um festzustellen, dass diese nie | |
anwesend sei. Er habe jedoch nicht erwähnt, dass zeitgleich ein | |
Untersuchungsausschuss tagte, in dem die Mitbewerberin Mitglied war. „Für | |
die Parteimitglieder gab es also keinen Anlass, an der Darstellung Dehms zu | |
zweifeln. Da wurde mit so viel dreisten Lügen gearbeitet“, erzählt sie am | |
Telefon. Auch sie will anonym bleiben, würde das in einer juristischen | |
Auseinandersetzung aber bestätigen. | |
„Nie im Leben!“, entgegnet Dehm auf Nachfrage. Er wurde damals für den | |
Listenplatz gewählt. Und dann einstimmig zum Sprecher der niedersächsischen | |
Landesgruppe. | |
Unterstützer:innen gewinnt Dehm auch mit materiellen Argumenten. Eine | |
Genossin berichtet, wie sie überlegte, sich für einen einflussreichen | |
Posten im Landesvorstand zu bewerben. Sie sei damals arbeitslos gewesen. Da | |
habe Dehm, der Landesvorsitzender war, angerufen: Er biete ihr einen | |
befristeten Job bei sich als Mitarbeiterin an. Am Ende des Gesprächs | |
empfahl er ihr noch, nicht für diesen Vorstandsposten zu kandidieren. Für | |
einen anderen aber würde er sie unterstützen. | |
Sie akzeptierte. „Es war dreckig, aber ich brauchte das Geld“, berichtet | |
die Genossin. In den Monaten, die sie für Dehm arbeitete, habe sie nicht | |
mal einen eigenen E-Mail-Account gehabt und eigentlich auch nicht gewusst, | |
was sie für ihr Geld wirklich machen sollte. „Das war vollkommen | |
intransparent, selbst für mich.“ | |
## Wer arbeitet alles für Dehm? | |
In der Partei erzählt man, dass Dehm immer wieder Menschen mit kleinen Jobs | |
und Versprechungen an sich binde. Im vergangenen Jahr habe er angeboten, | |
das Büro des Kreisverbandes Göttingen mitzufinanzieren. Als das bekannt | |
wurde, gab es Streit. Schließlich legten die Nutzer:innen des Hauses, | |
das sich die Linke mit anderen Initiativen teilt, dem Kreisverband nahe, | |
von dem Vorhaben abzusehen. „Überall, wo Diether sein Geld hintut, versucht | |
er politischen Einfluss zu organisieren“, meint ein Linker aus Göttingen. | |
Vier der 24 Hannoveraner Delegierten, die am Samstag über die Liste | |
abstimmen, arbeiten offiziell für Dehm. Dehm habe als Abgeordneter im | |
Bundestag immer ungewöhnlich viele Mitarbeiter:innen beschäftigt, | |
erzählt eine ehemalige Linken-Abgeordnete. Von den aktuell 22.795 Euro, die | |
jedeR Abgeordnete monatlich zur Bezahlung von Mitarbeiter:innen zur | |
Verfügung stehen, ließen sich etwa acht Stellen – in Voll- oder Teilzeit – | |
einrichten. Dehm aber habe immer deutlich mehr Leute beschäftigt, viele | |
befristet. | |
Den Bitten des Landesvorstandes, all seine Mitarbeiter:innen zu | |
benennen, damit man Ansprechpartner:innen in Berlin und im Land habe, | |
sei er nie nachgekommen. „Das war nie transparent.“ Dehm führt auf | |
Nachfrage Datenschutzgründe an. | |
## Liste mit 18 Namen | |
Er bestreitet, dass er mehr Mitarbeiter:innen als andere Abgeordnete | |
bei sich beschäftige. Lediglich fünf bis sechs Menschen seien für ihn in | |
Niedersachsen tätig. Zu Beginn des Jahres kursierte in der Linksfraktion | |
ein Screenshot mit einer Mitarbeiter:innen-Liste, die Dehm versehentlich | |
auf einer Videokonferenz von seinem Schreibtisch einblendete. Der | |
Screenshot liegt der taz vor. | |
Auf der Liste stehen 18 Namen. Dehm drohte per Mail jedem, der das Foto | |
veröffentliche, mit Klage. Aus Datenschutzgründen, wie er gegenüber der taz | |
erklärt: „Das war nur ein reiner Entwurf, auf dem auch noch Leute standen, | |
die sich beworben haben oder früher mal bei mir gearbeitet hatten, aber | |
längst ausgeschieden waren.“ | |
Ihn fasst das an. Er steht auf. „Meine politische Meinung brauche ich nicht | |
mit Geld durchsetzen“, sagt er und geht auf und ab. „Sicher nisten sich in | |
Parlamenten schlimme, mafiöse Verhaltensstrukturen ein. Aber so was ist mir | |
fremd.“ Es sei so ungerecht, so etwas zu behaupten, schließlich sei er es | |
doch, der in der zerstrittenen Bundestagsfraktion immer wieder für | |
Kompromisse gesorgt habe. Die gemeinsame Erklärung zu 70 Jahre Israel etwa | |
stamme aus seiner Feder. | |
Diether Dehm bleibt stehen. Schaut auf Marx und Engels und Dutschke und | |
Witt. Er hat sich dieses Büro nach seinen Vorstellungen eingerichtet. Er | |
will es behalten. Mit allen Mitteln. | |
21 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Linke-in-Niedersachsen/!5452484 | |
[2] /Neues-Buch-von-Sahra-Wagenknecht/!5764480 | |
[3] /Wirbel-um-Wagenknechts-neues-Buch/!5759235 | |
[4] https://www.diether-dehm.de/positionen/577-vereinbarung-zwischen-rosemarie-… | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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