| # taz.de -- Linken-Anfrage zu Umgang mit Papierlosen: Erst Handy knacken, dann … | |
| > Hamburgs Ausländerbehörde durchsucht die Handys geduldeter Menschen ohne | |
| > Ausweispapiere, um Abschiebungen zu erleichtern. Die Linke hat dazu | |
| > Fragen. | |
| Bild: Das Handy ist ein Speicherort für fast alles im Leben: Geflüchteter in … | |
| Hamburg taz | Um die Staatsangehörigkeit geduldeter Menschen ohne | |
| Ausweispapiere festzustellen, durchsucht die Hamburger Ausländerbehörde | |
| deren Handys. Bislang hat sich der Senat zurückhaltend bei Nachfragen zu | |
| diesem Vorgehen gezeigt. Die Bürgerschaftsfraktion der Linken stellt | |
| deshalb Anfang kommender Woche eine neue parlamentarische Anfrage. In der | |
| vergangenen Woche hatte sich auch das Rechercheportal [1][netzpolitik.org] | |
| mit dem Thema beschäftigt. | |
| Grundsätzlich verpflichtet das Aufenthaltsgesetz Ausländer:innen ohne | |
| Papiere, der Ausländerbehörde [2][bei der Feststellung ihrer | |
| Staatsangehörigkeit zu helfen]. Dafür müssen sie Dokumente einreichen und | |
| mit ihrem Herkunftsstaat in Kontakt treten. Ausreisepflichtige Menschen | |
| müssen zusätzlich ihre privaten Datenträger, also etwa Handys und Computer, | |
| abgeben, wenn die Identitätsfeststellung davor nicht möglich war. | |
| Die gesammelten Informationen dienen dann als Indizien für die | |
| Ausländerbehörde, um ein mutmaßliches Herkunftsland zu bestimmen. Dorthin | |
| wendet sich die Behörde dann mit „Bitte um Prüfung, ob über diese Person | |
| Informationen vorliegen“. So erklärt es Matthias Krumm, Sprecher des | |
| Hamburger Amtes für Migration. Ob die Staatsangehörigkeit einer Person | |
| festgestellt werden kann, steht und fällt mit der Bereitschaft des | |
| Herkunftslandes, die Papiere auszustellen. | |
| Die Kritik am Vorgehen der Behörde bezieht sich vor allem auf die | |
| Privatheit der Handyinhalte. „Das ist, als würde man in ein Schlafzimmer | |
| reinschauen“, meint der Bürgerschaftsabgeordnete der Linken, Metin Kaya, | |
| der im März bereits eine Anfrage zum Thema gestellt hat. Der Eingriff kann | |
| also die Privat- und Intimsphäre der Betroffenen berühren und damit das, | |
| was Jurist:innen den „Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ nennen. | |
| In diesen darf der Staat laut Bundesverfassungsgericht keinen Einblick | |
| nehmen. | |
| Daher muss auch bei der Kontrolle der Handys dieser Bereich ausgespart | |
| werden. Um die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs zu garantieren, sind im | |
| Aufenthaltsgesetz Hürden eingebaut: Handys dürfen nur dann untersucht | |
| werden, wenn es für die Feststellung der Identität der Betroffenen | |
| „erforderlich“ ist. | |
| Davor müssen mildere Mittel angewandt werden. Dazu gehört, dass die | |
| betroffenen Ausländer:innen sich bei ihrem Herkunftsland um Papiere | |
| bemühen oder an „Sammelinterviews mit Vertretern des mutmaßlichen | |
| Herkunftslandes“ teilnehmen, erklärt Krumm. | |
| Ob die milderen Mittel ausgeschöpft wurden, liegt im Ermessensspielraum der | |
| zuständigen Sachbearbeiter:innen. Das sorgt für Bedenken beim Hamburger | |
| [3][Datenschutz]. „Grundsätzlich besteht stets die Gefahr, dass eine solche | |
| Maßnahme nicht als Ultima Ratio angewandt wird, sondern in der Praxis zur | |
| Standardmaßnahme wird“, sagt Alina Schömig, die Sprecherin des | |
| Datenschutzbeauftragten. | |
| Im strafrechtlichen Kontext muss eine Handy-Durchsuchung richterlich | |
| angeordnet werden. Dass der sogenannte „Richtervorbehalt“ bei der | |
| Durchsuchung zwecks Identitätsfeststellung nicht erforderlich ist, findet | |
| Schömig „bedauerlich“. Ein richterlicher Beschluss stelle sicher, „dass … | |
| gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen“. | |
| Das Amt für Migration verfügt nicht über die technischen Möglichkeiten zur | |
| Auswertung der Handydaten, deshalb bekommt es laut Senat Unterstützung vom | |
| LKA und dem Hauptzollamt. Konkret bedeutet das: Die Handys werden an das | |
| LKA geschickt, wenn die Handybesitzer:innen die Zugangsdaten nicht | |
| preisgeben. Das LKA verfügt über Software, um die Handys zugänglich zu | |
| machen. Per Kurier werden die Daten dann auf einem USB-Stick in die | |
| Ausländerbehörde transportiert. | |
| Eine Person „mit Befähigung zum Richteramt“ sichtet dann die Inhalte auf | |
| den Handys und sammelt die Indizien, die auf den Herkunftsstaat schließen | |
| lassen. „Zu diesen Informationen gehören beispielsweise Kontakte zu | |
| Verwandten, Telefonnummern ins Ausland, Bilder/Kopien von offiziellen | |
| Dokumenten oder Fotos, die anhand von Sehenswürdigkeiten/ortsprägende | |
| Gebäude auf das vermutete Herkunftsland schließen lassen“, schreibt der | |
| Sprecher des Amtes für Migration auf taz-Anfrage. | |
| Hamburg ist nicht das einzige Bundesland, in dem die Ausländerbehörde | |
| Unterstützung vom LKA bekommt. In Berlin wurden zwischen 2018 und 2021 | |
| insgesamt 64 private Datenträger durchsucht. [4][Nur sechs davon haben zur | |
| Feststellung der Identität geführt.] Das geht aus der Antwort des Berliner | |
| Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Berlin hat nun | |
| angekündigt, das Verfahren einzustellen. Der hohe Aufwand stünde in keinem | |
| Verhältnis zum Erfolg der Maßnahmen, heißt es im Jahresbericht der Berliner | |
| Datenschutzbeauftragten. | |
| Wie das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen in Hamburg ist, weiß dort | |
| niemand. Das Amt für Migration, zu dem die Ausländerbehörden gehören, führt | |
| keine Statistiken zu dem Thema. Es weiß also weder, wie oft Handys | |
| ausreisepflichtiger Menschen durchsucht werden, noch, wie oft das zur | |
| Feststellung ihrer Identität führt. Unbekannt ist auch, wie oft die dadurch | |
| erlangten Indizien den Angaben der Betroffenen widersprechen oder sie | |
| bestätigen. | |
| Auch die Antwort des Senats auf die Linken-Anfrage vom März dieses Jahres | |
| ist wenig aussagekräftig: „Einer öffentlich zugänglichen Beantwortung der | |
| Frage stehen überwiegende Belange des Staatswohls entgegen“, heißt es | |
| häufig. So steht das Staatswohl im Weg, wenn es darum geht, wie das LKA die | |
| Handys aufsperrt, welche Daten es speichert und wie die Daten geschützt | |
| werden. Diese Verschwiegenheit stört Kaya besonders: „Ob die Daten nur zur | |
| Identifikation verwendet oder auch zu anderen Zwecken gespeichert werden, | |
| ist völlig unklar.“ | |
| Nicht nur die Linke, auch der Datenschutzbeauftragte wird das Thema weiter | |
| verfolgen: Das Büro will die „Datenverarbeitungsvorgänge bei der | |
| verantwortlichen Stelle überprüfen“, kündigt seine Sprecherin an. | |
| 26 May 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://netzpolitik.org/ | |
| [2] /Identitaetsnachweis-fuer-Gefluechtete/!5570688 | |
| [3] /Datenschutz/!t5007513 | |
| [4] /Ueberwachung-von-Gefluechteten/!5861686 | |
| ## AUTOREN | |
| Mona Rouhandeh | |
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