# taz.de -- Letzter Besuch in Israel: Schalom, Angela Merkel | |
> Die Kanzlerin hat das Image Deutschlands in Israel entscheidend | |
> aufpoliert. Den Friedensprozess konnte sie keinen Schritt vorantreiben. | |
Bild: Auf ihrer achten und letzten Israel-Reise trifft Angela Merkel Regierungs… | |
Deutschlands Ansehen in Israel steigt – Israels in Deutschland sinkt. Das | |
ist schon [1][seit Jahren der Trend]. Zwar können die vermehrt auftretenden | |
antisemitischen Übergriffe, Anti-Israel-Demonstrationen und der Abschied | |
von Angela Merkel diesen Trend erstmals stagnieren lassen – allerdings auf | |
hohem Niveau. Insgesamt genießt das Land, in dem einst Adolf Hitler | |
regierte, im Judenstaat von heute ein so hohes Ansehen, wie man es sich vor | |
der Jahrtausendwende nicht hätte erträumen können. | |
Kaum eine internationale Politgröße ist so willkommen in Jerusalem wie | |
Angela Merkel. Dabei stand es nie besonders gut um die persönlichen | |
Beziehungen zwischen der Kanzlerin und ihrem über 13 lange Jahre | |
regierenden israelischen Amtskollegen. Merkel gab sich wenig Mühe, ihren | |
[2][Unmut über Benjamin Netanjahus Siedlungspolitik] zu verbergen. Er | |
wiederum scheiterte daran, sie zu schärferen Bedingungen für einen | |
Iran-Deal zu bewegen. | |
„Wir einigen uns darauf, dass wir uns nicht einig sind“, resümierte Merkel | |
einst deutlich frustriert die von ihr selbst – noch zur Zeit von | |
Ex-Regierungschef Ehud Olmert – auf den Weg gebrachten jährlichen | |
Regierungskonsultationen Deutschlands und Israels. Viel hat die mächtigste | |
Frau Europas in Israel nicht ausgerichtet. Es sind Highlights, wie ihre | |
[3][Rede vor der Knesset] im März 2008 anlässlich Israels sechzigstem | |
Geburtstag, die in Erinnerung bleiben; sie definierte die historische | |
Verantwortung für die Sicherheit Israels als Teil der deutschen | |
Staatsräson. | |
Es ist Merkels [4][„Wir schaffen das“] und das Offenhalten deutscher | |
Grenzen für Flüchtende, die die breite israelische Bevölkerung aufhorchen | |
und allmählich an ein anderes Deutschland glauben ließ. Ihre klare Absage | |
an Netanjahu, der sich mit seiner wilden These vom [5][Jerusalemer Mufti, | |
der Hitler zum millionenfachen Mord an Juden angestiftet habe], bei der | |
Kanzlerin einschmeicheln wollte, stieß ebenso vielfach auf Zustimmung. | |
Dieses dunkle Geschichtskapitel, so die kühle Botschaft aus dem | |
Kanzlerinnenamt, müsse Deutschland schon allein verantworten. Das steigende | |
Ansehen Deutschlands ist indes nicht nur Merkel zuzuschreiben. So lockte | |
das coole [6][Berlin, wo das Leben noch erschwinglich] ist, Tausende | |
Israelis zum Umzug ins Land der Täter. Und die Magdeburger Boyband Tokio | |
Hotel ließ mit der schrillen Begrüßung durch ihre Fans 2007 auf dem | |
Flughafen Ben Gurion Assoziationen an die Beatles aufkommen. | |
## Run aufs Goethe-Institut | |
Noch Monate später konnte sich das Goethe-Institut vor Anfragen nach | |
Deutschkursen kaum retten. Entscheidend dafür, dass Israels Bevölkerung | |
Deutschland gegenüber aufgeschlossener geworden ist, dürfte die wachsende | |
zeitliche Entfernung zum Holocaust sein. Genau das, die zunehmende | |
emotionale Distanz, ist umgekehrt ein zentraler Grund für die Bevölkerung | |
in Deutschland, Israel heute kritischer zu beurteilen. | |
Ob auch der neue Bundestag – wie 2019 geschehen – die israelfeindliche | |
BDS-Bewegung mit Antisemitismus gleichsetzen würde, ist fraglich. Mit der | |
fortdauernden Besatzung, dem Siedlungsbau und Menschenrechtsverletzungen | |
setzt Jerusalem das unter Merkel geltende unbedingte Zu-Israel-Stehen | |
Deutschlands aufs Spiel. Die kommende Regierung sollte in der Nahostpolitik | |
stärker als in den Merkel-Jahren die Mehrheitsmeinung hierzulande | |
widerspiegeln. | |
Sie sollte sich stärker für die Rechte der Palästinenser einsetzen, als es | |
2012 der Fall war. Damals enthielt sich Deutschland, als die | |
UN-Vollversammlung für eine diplomatische Aufwertung der Palästinenser | |
votierte. Israels bisherige Sonderrolle in der deutschen Außenpolitik ließ | |
konstruktive Ansätze ins Leere laufen, wobei die irrige Annahme weit | |
verbreitet ist, allein die USA könnten den Friedensprozess vorantreiben. | |
Dabei begann der Friedensprozess einst mit der Osloer Prinzipienerklärung | |
in Europa. | |
Mit Joe Biden im Weißen Haus werden sich die USA weiter von ihrer | |
Vermittlerrolle verabschieden. Nicht zuletzt wird Biden vermeiden, die | |
Errungenschaften seines Vorgängers auch nur zu erwähnen. Donald Trump ist | |
der Normalisierungsprozess zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten | |
zu verdanken. Aber Trump ist nicht mehr im Amt und genauso wenig Netanjahu. | |
Die neue Regierung orientiert sich auch innerhalb Europas um. | |
Vorbei ist der Flirt Israels unter Netanjahu, der sich gut verstand mit den | |
populistischen Regierungen in Warschau, Budapest und Prag. Kaum vier Wochen | |
im Amt, reiste Israels Außenminister Jair Lapid stattdessen nach Brüssel, | |
„um ein neues Kapitel“ aufzuschlagen. Mit internationaler Unterstützung, | |
auch seitens arabischer Staaten, will er im Gazastreifen für einen | |
wirtschaftlichen Wiederaufbau sorgen, vorausgesetzt, die Hamas bleibt | |
friedlich. | |
Die islamistischen Machthaber im Gazastreifen [7][reagierten reflexartig | |
mit Ablehnung], und auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im | |
Westjordanland, die, ginge es nach Außenminister Lapid, die | |
wirtschaftlichen Projekte beaufsichtigen müsste, zeigte sich skeptisch. | |
Deutschland ist [8][einer der größten Geber] in den palästinensischen | |
Gebieten, knüpft die finanzielle Unterstützung aber an keinerlei | |
Bedingungen. | |
Das Geld fließt auch in Gehälter von mehreren zigtausenden | |
palästinensischen PA-Beamten im Gazastreifen, die [9][seit der | |
Machtübernahme der Hamas 2007] dort nicht mehr arbeiten dürfen. | |
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas regiert autoritär und setzt lange | |
überfällige Wahlen aus. Hier könnte das Auswärtige Amt ansetzen. Umgekehrt | |
kann es nicht angehen, dass Israel Palästinenser im Westjordanland | |
vertreibt, dort Menschenrechte verletzt und israelische | |
Menschenrechtsorganisationen behindert. | |
Auch wenn die Zweistaatenlösung und ein Frieden im Nahen Osten aktuell | |
utopisch erscheinen – eine Verbesserung der Lebensumstände und der | |
Menschenrechtslage in den palästinensischen Gebieten ist machbar. | |
10 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/Graue… | |
[2] /Merkel-sagt-Jerusalem-Reise-ab/!5380849 | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=MPuSqJ9jDe8 | |
[4] /Kommentar-Neue-Willkommenskultur/!5226893 | |
[5] https://www.dw.com/de/netanjahu-mufti-von-jerusalem-dr%C3%A4ngte-hitler-zum… | |
[6] /Was-sagt-uns-das/!5031538 | |
[7] https://www.timesofisrael.com/liveblog_entry/pa-hamas-slam-lapids-plan-for-… | |
[8] https://www.bmz.de/de/laender/palaestinensische-gebiete | |
[9] /Palaestina/!5199100 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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