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# taz.de -- Lebensmittelrettung auf dem Feld: Mit unschönem Lauch geht's auch
> Der Kölner Laden „The Good Food“ verkauft, was anderswo aussortiert wird
> oder bei der Ernte liegenbleibt. Unterwegs mit den
> Lebensmittelretterinnen.
Bild: Erfolgreiche Nachernte: Nicole Klaski, Alica Humm und Leonie Groß auf de…
Köln taz | Im Nieselregen stapfen drei Frauen über ein abgeerntetes
Porreefeld. Es dauert nicht lange, bis eine von ihnen mit ihren dicken
Wanderschuhen im matschigen Boden steckenbleibt. Nicole Klaski hält das
lachend mit ihrem Smartphone fest. Die 37-Jährige ist die Gründerin von The
Good Food, einem Laden mit zwei Filialen in Köln, in denen ausschließlich
gerettete Lebensmittel verkauft werden: abgelaufener Brotaufstrich,
Backwaren vom Vortag, [1][krummes Gemüse] und Obst mit Druckstellen. Alles
Nahrung, die in einem normalen Supermarkt keinen Platz finden würde.
Alica Humm und Leonie Groß, die beiden anderen Frauen auf dem Feld, sind
zwei von über achtzig ehrenamtlichen Helfer*innen, die sich bei The Good
Food engagieren. Sie stehen im Laden hinter der Verkaufstheke, fahren mit
einem Lastenfahrrad Ware vom Lager ins Geschäft oder klappern auf den
sogenannten Bauerntouren die Umgebung von Köln ab, dreimal in der Woche.
Hier sammeln sie ungeerntete oder beschädigte Lebensmittel ein, die nicht
mehr an Supermärkte geliefert werden können.
Um acht beginnt ihr Arbeitstag. Manchmal müssen nur fertig gepackte Kisten
in den Wagen verladen werden. Bei der Nachernte aber kann es anstrengender
werden. An diesem nasskalten Dienstag Anfang März haben sich Humm und Groß
bereits um Möhren gekümmert und mit den Messern, die sie auf den
Bauerntouren immer bei sich haben, das leicht angeschimmelte Grün
abgeschnitten.
Danach geht es, wie jeden Dienstag, weiter auf den Lammertzhof nach Kaarst.
Biolandwirt Heinrich Hannen gibt einen Überblick, was ansteht, dann geht es
mit einem Transporter zum Porreefeld, das am Vortag mit Maschinen
abgeerntet wurde. Doch manche Stangen saßen zu fest im Boden, andere sind
zu klein für die Maschine. Normalerweise bleiben sie einfach auf dem Feld
und verrotten.
## Zu krumm, zu klein, zu angefault?
Suchen müssen Alica Humm, Leonie Groß und Nicole Klaski den Lauch nicht
lange: Überall ragen vereinzelt Stangen aus der Erde. Sie sind gar nicht so
leicht aus dem matschigen Boden zu kriegen. Dazu kommen kleine Haufen
Lauch, die bei der maschinellen Ernte schon aussortiert wurden: zu krumm,
zu klein, zu angefault. Klaski greift nach dem Messer, hockt sich hin,
zieht ein paar dunkelgrüne Außenblätter ab und bringt so eine knackige
Stange Lauch zum Vorschein. Kaum vorstellbar, dass sie nicht gegessen
werden soll.
Klaski selbst hätte nicht gedacht, dass sie einmal für über achtzig
Ehrenamtliche und zwei Ladengeschäfte verantwortlich sein würde. Sie hat
Jura studiert und einen Master in Human Rights gemacht. Mit einer NGO ging
sie 2012 für einige Zeit nach Nepal und erlebte dort in der Hauptstadt
Kathmandu, wie es ist, mitunter ohne fließendes Wasser und Strom zu leben.
Für Nicole Klaski eine Art Erweckungserlebnis: „Da fiel mir auf, wie
selbstverständlich wir in Deutschland Ressourcen verwenden und auch
verschwenden“, sagt sie.
Zurück in Deutschland wurde sie ehrenamtlich für [2][den Verein
foodsharing] aktiv, und arbeitete dort zusammen mit Supermärkten daran,
dass abgelaufene Lebensmittel nicht in der Mülltonne landeten. Ende 2015
hat Klaski die Idee, noch einen Schritt weiter zu gehen: von den Märkten zu
den Erzeugern. Schon damals hatte Heinrich Hannen auf seinem Hof drei
Nacherntetage veranstaltet, an denen er Leute auf seine schon abgeernteten
Felder ließ.
„Meine Motivation ist es, gute und viele Lebensmittel anzubauen. Es tut mir
schon weh, wenn welche liegen bleiben“, sagt Hannen. Viele der liegen
gebliebenen Lebensmittel, könnte er selbst nicht verkaufen. Besonders dann
nicht, wenn eine Ernte gut ausgefallen sei: Je größer der Ernteertrag,
desto niedriger der Preis und desto penibler müsse aussortiert werden. „Der
Handel verlangt das dann“, sagt Hannen.
## Jede Woche gibt es was zu retten
Klaski und Hannen einigten sich darauf, dass es solche Nacherntetage
regelmäßiger geben soll. Seitdem fährt Klaski jede Woche zu ihm auf den
Hof, denn es gibt immer Lebensmittel zu retten: Gurken im Frühjahr,
Romanesco im Sommer, Rote Beete im Herbst, Rosenkohl im Winter. Die
nachgeernteten Lebensmittel verkaufte Nicole Klaski anfangs in einem Kölner
Hostel, um sich die Unkosten für die nächste Tour zu finanzieren.
Doch zeigten die Leute so viel Interesse an den knubbeligen Kartoffeln und
zweibeinigen Möhren, dass Klaski 2017 das Ehrenamt zum Beruf machte und den
Laden The Good Food eröffnete. „Wir haben den Geist der Zeit getroffen und
viel Unterstützung erlebt“, sagt Klaski.
Im Jahr 2020 kam ein zweiter Laden hinzu. Mittlerweile verdient sie
genügend Geld, um sich selbst und zwei weitere feste Mitarbeiterinnen zu
bezahlen. Der Rest der Einnahmen wird in die beiden Geschäfte, die Logistik
und den Mietwagen investiert.
Der Einsatz der vielen Ehrenamtlichen zeigt aber: Ein komplett rentables
Geschäftsmodell hat The Good Food nicht, und soll es auch nicht haben:
„Letztlich sind die Arbeitsstellen auf etwas aufgebaut, was wir abschaffen
und vermeiden wollen“, sagt Klaski. Sie meint: auf Verschwendung. „Wir
wollen es uns da nicht zu gemütlich machen und einen Markt dafür schaffen.“
## Kartoffeln mit kleinen Macken
Nach der Arbeit auf dem Feld warten auf die drei Frauen auf dem Lammertzhof
noch drei große Holzkisten voller Kartoffeln. Einige von ihnen wurden von
Käferlarven angefressen, in ihnen könnte ein Pilz wachsen, die müssen
aussortiert werden. Dagegen lassen sich die Kartoffeln, die lediglich ein
paar grüne oder angefaulte Stellen haben, immer noch gut verarbeiten.
„Die Teile kann man wegschälen oder abschneiden. Nur, niemand will diese
Arbeit heute noch machen“, sagt Landwirt Hannen. Und auch die industrielle
Verarbeitung dieser Kartoffeln sei bisher nahezu unmöglich: Die Maschinen
können sich nicht auf jede grüne Stelle einstellen, jedenfalls noch nicht.
Während Alica Humm und Leonie Groß die Kartoffeln sortieren, läuft Nicole
Klaski umher und nimmt alles mit ihrem Handy auf. Die Fotos und Videos
veröffentlicht sie [3][auf ihrem Instagram-Kanal]. „Das ist eine gute
Gelegenheit, um sich mit Menschen auszutauschen und die Botschaft
weiterzutragen“, sagt Klaski. „Wir haben ja schon fast einen
Bildungsauftrag.“
Als die drei Frauen den Lammertzhof schließlich nach etwa drei Stunden
Arbeit verlassen, haben sie acht volle Gemüsekisten im Transporter. Doch
eine Menge guter Lebensmittel bleibt trotzdem auf dem Hof liegen – es ist
einfach mehr da, als sie schaffen.
18 Apr 2020
## LINKS
[1] /Nonkonforme-Lebensmittel/!5057103
[2] /Neuerungen-beim-Foodsharing/!5381299
[3] https://www.instagram.com/thegoodfoodmarkt/
## AUTOREN
Denise Klein
## TAGS
Lebensmittel
Foodsharing
Schwerpunkt Bio-Landwirtschaft
Obst
Verschwendung
Lebensmittel
Lebensmittelverschwendung
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