Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lage in Afghanistan verschärft sich: Kurz vor dem Kollaps
> Die USA haben offenbar einen weiteren Anschlag in Kabul verhindert.
> Derweil spitzt sich die wirtschaftliche Lage zu, vielen Afghanen droht
> Armut und Hunger.
Bild: Ziel tausender Menschen: das US-Evakuierungskontrollzentrum auf dem Kabul…
Berlin taz | Wenige Tage vor ihrem endgültigen Rückzug haben die
US-Streitkräfte am Sonntag nach Angaben aus US-Regierungskreisen erneut
einen Militärschlag durchgeführt und damit offenbar einen weiteren
Selbstmordanschlag am Flughafen von Kabul vereitelt. Kurz zuvor hatte der
Kabuler Polizeichef gemeldet, dass eine Rakete in einem Viertel in der Nähe
des Flughafens eingeschlagen sei. Mindestens ein Kind sei getötet worden.
Unterdessen bereiteten die letzten US-Soldaten ihren für Dienstag geplanten
Abzug vor. Alle anderen Länder haben ihre Evakuierungsflüge beendet.
US-Offizielle sagten, sie hätten nur noch 1.000 Menschen zu evakuieren. Das
würde bedeuten, dass viele Menschen, die vor den Toren und auf dem
Flughafengelände ausharren, zurückbleiben könnten. Zudem wurde bekannt,
dass US-Militärs in Kabul arbeitende Journalist:innen – darunter
deutsche – gegen ihren Willen ausgeflogen hätten.
Die Zahl der Opfer des Anschlags vom Donnerstag war auf über 170 Tote und
weitere 150 Verletzte angestiegen. Das melden unabhängige afghanische
Medien, von denen noch einige arbeiten. Das Weiße Haus korrigierte
ursprüngliche Informationen über einen Doppelanschlag; es habe nur eine
Detonation gegeben. Die USA meldeten, dass ein Planer und ein führendes
Mitglied des afghanischen Ablegers des „Islamischen Staates“ (IS), der sich
zu dem Anschlag bekannt hatte, mit einem Drohnenschlag getötet worden
seien.
Afghanische Medien berichteten aus der ostafghanischen Stadt Dschalalabad,
dass in einem Haus drei Mitglieder einer Familie – Mann, Frau und Kind –
von einer Drohne getötet worden seien. In Kabul meldeten die Taliban die
Verhaftung mehrerer IS-Agenten, darunter drei angebliche Angehörige des
Geheimdienstes der Ghani-Regierung. In der Tat hatten sich zahlreiche
IS-Angehörige nach ihrer Niederlage gegen die Taliban 2019 und 2020 in
Ostafghanistan der Regierung ergeben. Einige sollen daraufhin gegen die
Taliban kooperiert haben.
In der Hauptstadt bleiben derweil trotz gegenteiliger Ankündigung der
Taliban Banken und Geldbasare in Kabul geschlossen. [1][Mehrere Einwohner
berichten der taz], dass sie Einrichtungsgegenstände verkaufen müssen, um
überhaupt an Bargeld zu kommen. Die afghanische Zentralbank parkt die
meisten ihrer Reserven im Ausland, um Korruption einzudämmen, und ist
deshalb von regelmäßigen US-Dollarlieferungen abhängig. Angesichts der
Talibanoffensive stoppte die Regierung in Washington bereits Mitte August
die letzte Lieferung und [2][fror Guthaben der afghanischen Regierung] ein.
## Sicherheitszone in Kabul?
Vor rund einer Woche warnten zwei frühere hochrangige UN-Offizielle vor
einer „sich entwickelnden profunden Wirtschaftskrise“ in Afghanistan. Laut
Mark Bowden und Martin Barber habe die Bankenschließung zu einem „Kollaps“
der einheimischen Währung, „Mangel an Nahrungsmitteln und Brennstoffen,
Preissteigerungen, der Unterbrechung des Handels und der Gehaltszahlungen“
geführt.
Essenzielle Dienstleistungen wie das Bildungs- und Gesundheitssystem
könnten „kollabieren“. Dazu komme die seit mehreren Jahren herrschende
Dürre, wegen der ein Drittel der Bevölkerung schon vorher an „akutem
Nahrungsmangel“ gelitten habe. Sie forderten die internationale
Gemeinschaft auf, sich „hinter der UNO zu versammeln, um sich mit der neuen
Administration in Kabul einzulassen“ und „humanitäre Hilfe zu
mobilisieren“.
Der frühere deutsche Diplomat Hans-Jakob Schindler, bis 2018 Koordinator
des UNO-Beobachterteams für al-Qaida, die Taliban und den „Islamischen
Staat“ (IS) beim UN-Sicherheitsrat, sagte gegenüber dem US-Sender NBC, der
Wirtschaftskollaps könne in „Wochen oder ein paar Monaten“ bevorstehen.
Frankreich und Großbritannien wollten bei einer Dringlichkeitssitzung des
Weltsicherheitsrates an diesem Montag die Schaffung einer
„UN-Sicherheitszone“ in Kabul vorschlagen, um künftige humanitäre
Operationen zu schützen.
Über die künftige Rolle der Frauen sagte Talibansprecher Mudschahed der New
York Times, dass Frauen „langfristig zur Schule, ins Büro, in die
Universität und in Krankenhäuser“ gehen könnten, ohne männliche Begleitun…
Laut der BBC haben die Taliban aber die Koedukation an Universitäten
aufgehoben; Dozenten dürfen nicht mehr Studentinnen unterrichten. Die
Talibanführung forderte am Sonntag medizinisches weibliches Personal auf,
zur Arbeit zu kommen.
Einen Tag vorher hieß es, es sei für sie vorerst sicherer, zu Hause zu
bleiben, da „unsere Kämpfer noch nicht sehr gut ausgebildet seien und
Frauen misshandeln könnten“. Wie Videos in sozialen Medien zeigen, wurden
auch junge Männer in westlicher Kleidung misshandelt. Ob Frauen auch der
neuen Regierung angehören würden, müsse die Talibanführung entscheiden, so
der Sprecher.
29 Aug 2021
## LINKS
[1] /Rettung-aus-Afghanistan/!5794135
[2] /Entwicklungsoekonom-ueber-Taliban/!5791693
## AUTOREN
Thomas Ruttig
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Taliban
Infrastruktur
Unterernährung
Kabul
GNS
Schwerpunkt Afghanistan
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
Schwerpunkt Afghanistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Abzugsdesaster in Afghanistan: Erschütterndes Desinteresse
Biden? Gescheitert. Der IS? Da. Das Abzugsdesaster in Afghanistan scheint
simple Erklärungen zu liefern. Dabei ist eine Debatte über komplizierte
Fragen nötig.
Solidarität mit Menschen in Afghanistan: Aus Schmerz wird Mut
Wie Menschen in Hamburg darum kämpfen, dass den Festsitzenden in
Afghanistan geholfen wird – der Ehefrau, dem Bruder und den Unbekannten.
Evakuierung aus Afghanistan: Letzter Aufruf am Flughafen Kabul
Die private „Luftbrücke Kabul“ wirft dem Auswärtigen Amt vor, die Rettung
von Afghanen „aktiv blockiert“ zu haben. Das Haus von Minister Maas
widerspricht.
Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Nur wenige Ortskräfte ausgeflogen
Einem Medienbericht zufolge sind von insgesamt 4.500 Ortskräften nur knapp
mehr als 100 ausgeflogen worden. Maas wirbt in Afghanistans Nachbarstaaten
um Hilfe.
Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Regierungschefs rücken zusammen
Laut Pentagon wurden zwei „hochrangige“ IS-Mitglieder beim
US-Drohnenangriff getötet. Merkel und Johnson wollen eine humanitäre Krise
in Afghanistan verhindern. Der Überblick.
Untersuchungsausschuss zu Afghanistan: Das Desaster aufarbeiten
Grüne, FDP und Linke wollen den Bundeswehreinsatz aufklären. Ein
U-Ausschuss nach der Wahl ist fast sicher, der genaue Auftrag ist strittig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.