# taz.de -- Kürzungen bei Sozialprojekten: Eine neue Runde im Kürzungspoker | |
> Die Bezirke verhandeln mit dem Senat über die Erfüllung der Sparvorgaben. | |
> Die Finanzierung sozialer Infrastruktur steht auf der Kippe. | |
Bild: Eine Überraschung der schlechten Sorte | |
BERLIN taz | Auch über sechs Wochen nach dem Beschluss des Doppelhaushalts | |
ist die Finanzierung zahlreicher Jugend- und Sozialprojekte weiterhin | |
ungeklärt. Die Bezirke klagen über [1][harte Sparvorgaben, die ihnen nichts | |
anderes übrig ließe, als im Jugend- und Sozialbereich zu kürzen]. Während | |
die Verhandlungen mit dem Senat weiter andauern, wächst die Verunsicherung | |
bei den freien Trägern. | |
Vor allem in den Bezirken Mitte, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und | |
Marzahn-Hellersdorf stehen Kürzungen der Jugend- und Sozialarbeit weiter im | |
Raum, wie eine taz-Umfrage bei den Bezirkämtern ergab. Grund sind die | |
millionenschweren, „Pauschale Minderausgaben“ genannten Sparvorgaben des | |
Landes. Allein in Marzahn-Hellersdorf beträgt das Haushaltsloch 10 | |
Millionen Euro. Davon konnten erst 2 Millionen eingespart werden, berichtet | |
Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke). „Mit dem Rest schwebt eine Drohung | |
über allen, die die weitere Arbeit behindert“, so Witt gegenüber der taz. | |
Konkrete Kürzungen wolle sie trotz der hohen Summe vermeiden und hofft auf | |
Verhandlungen mit dem Senat: „Ich bin überzeugt, dass die Bürgermeisterin | |
hier mit den anderen Bezirken Druck auf die Senatsverwaltung ausübt“, sagt | |
Witt. | |
Ein wesentlicher Streitpunkt sind dabei nicht nur die Sparvorgaben, sondern | |
auch die Handlungsspielräume, diese zu decken. Ein Großteil der | |
Bezirksausgaben sind dabei feste Posten wie etwa Personalausgaben, die | |
nicht gekürzt werden können. Die Sozial- und Jugendarbeit hingegen wird | |
überwiegend aus dem kleinen Anteil frei verfügbarer Mittel finanziert. Die | |
Laufzeit der meisten Projekte ist dabei meist nur auf ein Jahr beschränkt. | |
Strukturell steht der Jugend- und Sozialbereich auf der Kürzungsliste ganz | |
oben. | |
Verschärfend kommt hinzu, dass [2][der Senat den Bezirken die bisher | |
übliche Praxis, Haushaltslöcher mit Mitteln für unbesetzte Stellen im | |
Bezirksamt zu verrechnen, untersagte] – angesichts des Fachkräftemangels | |
bislang eine Summe, mit der die Bezirke fest rechnen konnten. | |
## Bezirke machen Druck | |
Wie sich der Druck auf den Senat erhöhen lässt, zeigte zuletzt Mitte. | |
Überraschend kündigte der Bezirk Anfang Januar an, die Leistungsverträge | |
frei finanzierter Projekte im April auslaufen zu lassen. | |
Die Ankündigung war ein Schock für die freien Träger und deren | |
Beschäftigten. De facto bedeutet die Einstellung der Finanzierung das Ende | |
von 97 Einrichtungen der Sozial-, Bildungs-, und Jugendarbeit. [3][In einem | |
offenen Brief forderten die Träger Senat und Bezirk dazu auf,] die | |
Finanzierung zu sichern, und bezeichneten die Kürzungsabsichten als | |
„unverantwortlich für den sozialen Frieden dieser Stadt“. | |
Zwei Demos, eine Petition und einige Gespräche zwischen Bezirk und Senat | |
später gab Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) auf der | |
Ausschusssitzung am Donnerstag bekannt, den Bezirk finanziell entlasten zu | |
wollen, indem der Senat einen Teil der Mietkosten der Anna-Lindh-Schule | |
übernehmen will. Diese ist wegen Sanierungsarbeit in die ehemalige | |
Air-Berlin-Zentrale ausgewichen, deren Miete von 6 Millionen Euro den | |
Bezirk außergewöhnlich belastet. | |
Auch in Neukölln greift das Bezirksamt zu ungewohnten Mitteln, um die | |
Sparvorgaben zu erfüllen. Ende Dezember kündigte es gegenüber den freien | |
Trägern an, künftig nicht mehr die Betriebskosten bei der Miete übernehmen | |
zu wollen. Ein Schritt, der gerade für Jugendklubs einer drastischen | |
Kürzung gleichkäme. Die Summe würde bei manchen Einrichtungen ein Drittel | |
des Gesamtbudgets ausmachen, erklärt Simone Hermes vom Bezirksjugendring | |
Neukölln. „Das ist nicht mehr aufzufangen, das geht an die | |
Personalstellen.“ | |
Bisher sei völlig unklar, wie die Regelung umgesetzt werden soll – immerhin | |
käme die Betriebskostenabrechnung erst im Folgejahr, während die meisten | |
Leistungsverträge nur jährlich befristet sind. „Wir hängen gerade alle in | |
der Luft“, kritisiert Hermes. Das Bezirksamt ließ eine taz-Anfrage | |
unbeantwortet. | |
Der andauernde Zustand der Unsicherheit in der ohnehin schon prekären | |
Jugend- und Sozialarbeit würde dazu führen, dass viele Kolleg:innen dem | |
Beruf den Rücken kehren „Viele fragen sich, warum arbeite ich in einem | |
Bereich, indem es normal ist, dass man sich im Oktober arbeitslos meldet“, | |
sagt Hermes. | |
28 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
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