# taz.de -- Künstler will klagen: „Facebook ist Zwangsarbeit“ | |
> Facebook und Co. haben zu viel Macht, findet der Künstler Jonas Staal: Er | |
> will vor den UN-Menschenrechtsrat ziehen und die Unternehmen | |
> sozialisieren. | |
Bild: Die Kampagne zur Kollektivierung von Facebook sollte im Berliner Theater … | |
taz: Herr Staal, Ihre Kampagne zur Kollektivierung von Facebook wollten Sie | |
[1][eigentlich im Berliner Theater HAU auf dem „Spy on Me #2“-Festival | |
vorstellen]. Das Festival wurde aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt, | |
[2][stattdessen haben Sie die Aktion online gestartet.] Sind Sie damit | |
zufrieden? | |
Jonas Staal: Die kulturelle Maschinerie ist nicht gerade in dem Zustand, in | |
dem wir sie gerne hätten: Wir müssen uns mit Videochats und schlecht | |
aufgenommenen Livestreams behelfen. Unsere Abhängigkeit von kommerziellen | |
sozialen Medien und Kommunikationsmitteln war ohnehin schon stark. Die | |
Pandemie wäre erst recht eine Chance, diese Abhängigkeit zu hinterfragen. | |
Als Teil Ihrer Kampagne wollen Sie Facebook vor dem UN-Menschenrechtsrat | |
verklagen. Wie ist Ihre Argumentation? | |
Das Eigentumsmodell von Facebook verstößt auf eine unverhältnismäßige | |
Weise gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Unsere Klage hat mehrere | |
Unterpunkte: Dass unsere Daten verkauft und von externen Unternehmen | |
verwendet werden, ohne dass wir dafür vergütet werden. Das ist | |
Zwangsarbeit. Oder dass Facebook autoritäre Regimes berät, wie das von | |
Rodrigo Duterte auf den Philippinen. Oder wie Facebook Daten über Menschen | |
sammelt und diese mit Regierungen und Sicherheitsdiensten teilt, was für | |
Aktivist*innen in vielen Ländern lebensbedrohlich ist. Fakt ist: Manche | |
Dinge sind für das Gemeinwohl einfach zu wichtig, um in privater Hand zu | |
sein – wie die Feuerwehr, Abfallbeseitigung oder die Banken nach der | |
Finanzkrise 2008. Facebook gehört dazu. | |
Facebook ist doch aber eine kommerzielle, freiwillige Plattform. Kann man | |
das wirklich Zwangsarbeit nennen? | |
Facebook ist unverzichtbar geworden, das sagt auch Amnesty International: | |
Eine zunehmend prekarisierte Arbeiterschaft braucht das Netzwerk, um | |
kulturelles Kapital aufzubauen, um sich beruflich zu vernetzen, um | |
temporäre Beschäftigungsformen zu suchen, um sich als Individuum, als | |
Produkt zu verkaufen, aber auch, um einfach miteinander zu kommunizieren | |
und zu organisieren. Insofern ist es eine notwendige Bedingung unseres | |
Lebens, aus der Profit geschlagen wird, für die wir aber nicht vergütet | |
werden. Es kann daher als nichts anderes als eine Form der Zwangsarbeit | |
interpretiert werden. | |
Warum haben Sie und ihr Projektpartner, der Anwalt Jan Fermon, den | |
Menschenrechtsrat der UN für Ihre Anklage gewählt? | |
Das Problem bei nationalen Gerichten oder dem Europäischen Gerichtshof ist, | |
dass man im besten Fall nur zusätzliche Maßnahmen zur Kontrolle über | |
Facebook erwirken könnte. Wir wollen aber das Eigentumsmodell von Facebook | |
grundsätzlich infrage stellen. Dafür braucht man das größtmögliche | |
politische Organ, das in der Lage ist, Facebook radikal als Gemeingut zu | |
rekonzeptualisieren. | |
Warum Facebook und nicht Amazon oder Alphabet? | |
Wenn der Launch im HAU wie geplant stattgefunden hätte, hätten wir vor | |
einem Banner gestanden, auf dem zu lesen wäre: „Collectivize Amazon, | |
Alphabet, Apple, Microsoft, Bayer und Co.“ Facebook ist lediglich eine der | |
vielen Fronten, wenn es darum geht, „Corporate Infrastruktur“ zu | |
reklamieren und als Gemeingut anzuerkennen. | |
Wollen Sie den Kapitalismus abschaffen? | |
Genau das. Es hat noch nie so viele Sozialist*innen gegeben wie in Zeiten | |
des Coronavirus: Plötzlich will jede*r universelle Gesundheitsversorgung, | |
gut bezahlte Pflegekräfte, das bedingungslose Grundeinkommen. Gerade in | |
diesen Krisenmomenten berufen wir uns als Gesellschaft auf das hohe Ideal | |
der Solidarität. Uns ist es aber hier wichtig zu betonen: Wir wollen | |
Facebook nicht verstaatlichen, was ja die Idee eines real existierenden | |
Staatssozialismus hervorruft. Wir wollen Facebook kollektivieren. Wir | |
wollen es vergesellschaften, damit es den Nutzer*innen gehört. Wir wollen | |
soziale Medien sozialisieren. | |
Nach Corona wird die globale Wirtschaft vermutlich sehr anders aussehen. | |
Welche Rolle wird Big Data spielen? | |
Eine zunehmend bedrohliche Rolle. Die Krise ist schon ein großer Moment für | |
Pharmariesen und die Überwachungsindustrie gewesen. Dieser Ausnahmezustand | |
hat es ermöglicht, dass die Gesundheit und Bewegung von Menschen auf | |
beispiellose Weise überwacht werden. Nach der Pandemie werden diese Daten | |
in einigen Staaten wahrscheinlich weitergesammelt – und das könnte für | |
manche Menschen lebensbedrohlich sein. Daher brauchen wir mehr denn je neue | |
gemeinschaftliche Regierungsformen. | |
Die Krise als Chance? | |
Diese Pandemie ist noch relativ kontrollierbar im Vergleich zu künftigen | |
Katastrophen. Die Klimakrise wird riesige Ernteausfälle und die Flucht von | |
Millionen von Menschen verursachen. Wenn wir in der aktuellen Krise nicht | |
fähig sind, auf eine solidarische Weise zu agieren, dann stellen Sie sich | |
mal vor, wie es bei der nächsten aussehen wird. Daher müssen wir neu | |
überlegen, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen. Das könnte jetzt eine | |
Chance sein, die Luftfahrtindustrie zu vergesellschaften oder unsere | |
Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden. Wir sind mit einem | |
System konfrontiert, das als bestes aller möglichen Systeme präsentiert | |
wird. Doch es ist so unglaublich fragil. | |
Sie sind Künstler, kein Anwalt, und wollten Ihre Kampagne nicht an einer | |
Uni oder bei einer Denkfabrik vorstellen, sondern in einem Theater. | |
Wir haben uns den Launch als ein alternatives Volkstribunal vorgestellt. | |
Für mich ist das Theater ein Ort der Imagination, der kollektiven | |
Kreativität, wo wir versuchen, unsere Einbildungskraft zu beeinflussen, zu | |
inspirieren, zu agitieren. Die eine Seite der Kampagne ist sehr konkret: | |
Wir werden unsere Klage beim Gericht einreichen. Diese Seite basiert auf | |
kritischer Auseinandersetzung und Argumentation. Aber die andere Seite | |
beschäftigt sich mit der Zukunft. Diese Zukunft wird erst möglich, wenn wir | |
sie uns vorstellen können. Für eine emanzipatorische Politik ist das | |
allerdings immer schwieriger geworden. Wir haben uns an Niederlagen und ans | |
Scheitern gewöhnt. Die Kunst aber kann sich vorstellen, dass wir gewinnen. | |
Sie hilft uns, unsere Fantasien zu befreien und darüber nachzudenken, was | |
für eine Welt wir durch diesen kollektiven Sieg bauen könnten. | |
10 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hebbel-am-ufer.de/spy-on-me-2/ | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=RRa6KbQXMj0 | |
## AUTOREN | |
Nicholas Potter | |
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