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# taz.de -- Krise im Gazastreifen: „Ich habe geweint, als der Preis für Inst…
> Auch unser Autor leidet im Gazastreifen Hunger. Und die Art, wie die Gaza
> Humanitarian Foundation nun HIlfsgüter verteilt, empfindet er als
> Demütigung.
Bild: Viele Menschen in Gaza haben Hunger – auch die Kinder, mit denen der Au…
Vor einigen Monaten arbeitete ich als Coach für literarisches Erzählen mit
einer Gruppe von Kindern in der Stadt Chan Junis. Wir trafen uns zweimal
pro Woche, um gemeinsam das Geschichtenerzählen zu lernen. Jede Sitzung
hatte ein eigenes Thema, das wir gemeinsam besprachen, bevor sich die
Kinder ans Schreiben ihrer eigenen Geschichten dazu machten. An einem Tag
wollten wir über Essen schreiben. Doch die Kinder senkten ihre Blicke. Ihre
Mienen sprachen Bände: „Du hast eine Wunde aufgerissen. Darüber können wir
nicht sprechen.“ Die Kinder glaubten, ich könne mir alles kaufen, was ich
wollte, weil ich einen Job hatte. Doch ich verstand ihr Gefühl sofort. Ich
erzählte ihnen, dass wir alle dasselbe erleben: Auch meine Familie und ich
hatten Hunger gelitten, tagelang nichts zu essen gehabt. Wir alle teilen
denselben Schmerz – die israelische Besatzung tut uns das an.
Also beschlossen wir, über [1][den Hunger] zu schreiben. Ich gab jedem Kind
einen Stift und ein Blatt Papier – aber keines von ihnen wusste, wo es
beginnen sollte. Also schrieb ich meine eigenen Gedanken und Gefühle auf,
las sie ihnen vor. Ich werde nie vergessen, wie ein Kind, Raghed, mich
ansah, nachdem ich meine Geschichte vorgelesen hatte. Sie sagte: „Ich habe
geweint, als der Preis für Instantnudeln auf eineinhalb Dollar gestiegen
war.“
Die Geschichte, die ich ihnen vorgelesen hatte, spielt Jahre vor diesem
aktuellen Krieg, in einem der vielen vorangegangenen Konflikte: Unser
Kühlschrank enthielt damals nichts als eine einzige Kartoffel – für acht
Personen in unserem Haus, das wir nicht verlassen konnten. Ich erinnere
mich noch lebhaft an diesen Moment, er spielt sich immer wieder in meinem
Kopf ab.
Heute ist der Hunger schlimmer denn je. Mehr als 80 Tagen gelangten keine
Lebensmittel mehr nach Gaza. Die Welt sieht zu, wie hier palästinensische
Kinder verhungern. Viele sind akut bedroht – und niemand unternimmt etwas.
## Ergebnis von Hunger, Gewalt, Demütigung
Am 27. April 2025 begann die US-amerikanische Organisation Gaza
Humanitarian Foundation in Tal as-Sultan, [2][einem Viertel von Rafah], mit
der Verteilung von Hilfsgütern. So hatte es die israelische Besatzungsmacht
in Zusammenarbeit mit den USA geplant. Die Menschen legen lange Wege
zurück, um dieses „Lebensmittelcamp“ zu erreichen. Es ist von
US-amerikanischen Sicherheitskräften umzingelt. Im Inneren werden die
Menschen durch enge Korridore getrieben, Lebensmittelpakete werden nur nach
Ausweis- und Sicherheitskontrollen ausgegeben.
Das gesamte System demütigt die Menschen. Es kontrolliert unsere
Nahrungsaufnahme, reguliert, wie viele Kalorien wir zu uns nehmen dürfen.
Und was wir bekommen, reicht nicht aus, um unsere erschöpften Körper zu
stärken. Die Besatzungsmacht will uns kontrollieren und schwächen. Sie will
uns in Lagern isolieren – und dann gewaltsam aus dem Gazastreifen
vertreiben.
Ein Freund berichtete mir, dass Soldaten Menschen festgenommen hätten, die
gekommen waren, um ihre Lebensmittelpakete abzuholen. Sie hätten sie
verhört und versucht, Informationen über Dritte zu erhalten. Und was dann
im Verteilungszentrum in Tal as-Sultan geschah, ist bemerkenswert: Die
Menschen stürmten das Zentrum, nahmen einfach Hilfsgüter mit. Dieser
Ausbruch von Aggression ist das Ergebnis von Hunger, Gewalt, Demütigung.
Doch auch an [3][die Regierung in Gaza] haben wir eine Botschaft: Sie
müssen jetzt handeln, um die Pläne der israelischen Besatzungsmacht zu
stoppen, noch mehr Land zu beschlagnahmen und uns zu vertreiben. Es gibt
noch eine letzte Chance, die Menschen zu schützen – und es ist die Einzige:
Verlasst den Gazastreifen. Überlasst ihn einer arabischen Instanz, die
dafür sorgen kann, dass wir unsere Heimat nicht verlieren. Denn wenn wir
Palästinenserinnen und Palästinenser vertrieben werden, ist auch das Land
selbst verloren.
Mohammad Jabarin (34) kommt aus Gaza-Stadt und musste mehrmals während des
Kriegs fliehen.
Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in
den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen
wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der
taz.
29 May 2025
## LINKS
[1] /Blockade-in-Gaza/!6081454
[2] /Israelische-Offensive-auf-Rafah/!6006095
[3] /Anti-Hamas-Proteste/!6075028
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