Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gaza-Tagebuch: Für die Machthaber sind wir nur Nummern
> Unser Autor in Gaza sehnt sich nach Liebe und Lachen. Doch Israel
> bombardiert – und die Hamas kümmert sich nicht um das Leid der
> Palästinenser.
Bild: Khan Junis, Gaza, 15. Mai: Kinder inspizieren ein zerstörtes durch israe…
Jeden Tag wachen wir mit der Nachricht von einer weiteren Vertreibungswelle
auf – wieder eine Familie, die ihr Haus verloren hat, [1][wieder ein
Krankenhaus, das bombardiert wurde], wieder ein Kind, das verhungert ist.
Keiner weiß mehr, wohin er gehen soll. Die Menschen ziehen von einem Ort
zum anderen, mit kleinen Taschen und schweren Seelen. Die Menschen fragen:
Bis wann? Wann wird diese Hölle enden? Aber es gibt keine Antwort.
Die Krankenhäuser in Gaza funktionieren nicht mehr. Sie sind Gebäude ohne
Kapazität – keine Medikamente, kein ausreichendes Personal. Jeden Tag
greift die Besatzung eine andere medizinische Einrichtung an. Ärzte werden
unter den Trümmern hervorgeholt, anstatt Leben zu retten.
Und niemand unternimmt etwas. Kein Sicherheitsrat, keine internationalen
Organisationen. Nur Erklärungen der Besorgnis, während die Bilder unseres
Todes wie ein langweiliger, endloser Film über die Bildschirme der Welt
flimmern.
[2][Seit über 80 Tagen ist keine Nahrung mehr nach Gaza gelangt.] Mehl ist
ein rares Gut geworden. Selbst Nudeln, einst eine einfache Mahlzeit, sind
jetzt ein Luxus. Wir sind dazu übergegangen, Nudeln über Nacht einzuweichen
und sie mit dem Mehl, das wir noch haben, zu Brot zu verarbeiten.
## Die Worte sind uns ausgegangen
Wir sind keine Köche, die neue Rezepte erfinden – wir sind Überlebende, die
versuchen zu essen. Unsere Kinder verkümmern. Unsere Frauen weinen im
Stillen. Unseren Ältesten sind die Worte ausgegangen.
Es reicht, wir sind erschöpft. Wir haben uns diesen Tod nicht ausgesucht.
Wir haben uns nicht ausgesucht, unter der Besatzung geboren zu werden, und
wir haben nicht darum gebeten, von einer Regierung regiert zu werden, die
nichts für uns empfindet.
Die Besatzung behauptet, ihr Krieg diene dazu, die Hamas aus dem
Gazastreifen zu vertreiben, aber jeder, der genau hinschaut, sieht die
Wahrheit: Israel tötet nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im
Westjordanland – wo die Hamas nicht an der Macht ist. Es handelt sich nicht
um einen Krieg gegen eine Bewegung, sondern gegen die Palästinenser, gegen
unsere Existenz, gegen unsere Menschlichkeit.
Gleichzeitig können wir nicht schweigen, wenn die Hamas zu unserem Schmerz
schweigt. Diejenigen, die Gaza regieren, hören unsere Schreie nicht. Sie
sehen nicht die Leichen auf den Straßen, die Mütter, die alles verloren
haben.
## Wut auf die Hamas
Erst vor zwei Tagen hat uns der Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri mit seiner
Aussage angeekelt, dass „Häuser wieder aufgebaut und Märtyrer reproduziert
werden können“. Welche größere Beleidigung könnte es geben? Was ist das f…
eine Führung, die uns als Nummern betrachtet, genau wie die Besatzung? Wir
wollen nicht, dass solche Leute uns regieren.
Die ganze Welt schaut zu. Sie zählen: [3][wie viele Tote, wie viele
Vertriebene, wie viele Tage unter Belagerung]. Wir sind nichts als
Statistiken, keine Seelen.
Aber wir wollen leben. Wir wollen richtiges Brot essen, ohne zu
improvisieren. Wir wollen durch die Straßen gehen, ohne das Dröhnen der
Kriegsflugzeuge zu zählen. Wir wollen lieben, lachen, bauen und träumen.
Aber jetzt suchen wir nur noch nach einem Ausweg aus diesem Ort, den alle
aufgegeben oder verlassen haben – getötet von der Besatzung, zum Schweigen
gebracht von unserer Regierung, ignoriert von der Welt.
## Schreiben, um nicht in der Stille zu verschwinden
Ich schreibe nicht, um Mitleid zu erregen. Ich schreibe, weil der Wahnsinn
beginnt, uns zu verschlingen. Ich suche nach einer Möglichkeit, mit meiner
Familie auszuwandern, weil wir nicht mehr können. Wir leben alle am Rande
des Abgrunds. Wir wollen hier nicht sterben. Wir wollen nicht so leben. Wir
wollen als menschliche Wesen behandelt werden.
Gaza ist nicht nur ein „Sicherheitsdossier“, wie sie es nennen, und auch
kein Verhandlungsobjekt in endlosen Verhandlungen. Gaza – das sind Häuser,
Gesichter, Geschichten, das Brot, das wir nicht finden können, und das
Lachen, das gestorben ist. Wir schreiben, weil das Schreiben alles ist, was
wir noch haben. Wir schreiben, damit wir nicht in der Stille verschwinden.
Mohammad Jabarin (34) kommt aus Gaza Stadt und musste mehrmals während des
Krieges fliehen.
Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in
den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen
wir Stimmen von vor Ort ein.
21 May 2025
## LINKS
[1] /-Krieg-in-Nahost-/!6088167
[2] /Ueberleben-in-Gaza/!6088787
[3] /Tagebuch-Notizen-aus-Gaza/!6073499
## AUTOREN
Mohammad Jabarin
## TAGS
Kolumne Gaza-Tagebuch
Hamas
Benjamin Netanjahu
Israel
Besatzung
Hunger
Social-Auswahl
Gaza-Krieg
Kolumne Gaza-Tagebuch
Kolumne Gaza-Tagebuch
Kolumne Gaza-Tagebuch
Kolumne Gaza-Tagebuch
## ARTIKEL ZUM THEMA
11-jährige Influencerin in Gaza getötet: Sie war ein Leuchtfeuer der Hoffnung
Yaqeen Hammad war Influencerin und vermittelte Hoffnung im überbordenden
Leid von Gaza. Am vergangenen Freitag wurde die 11-Jährige getötet.
Krise im Gazastreifen: „Ich habe geweint, als der Preis für Instantnudeln st…
Auch unser Autor leidet im Gazastreifen Hunger. Und die Art, wie die Gaza
Humanitarian Foundation nun HIlfsgüter verteilt, empfindet er als
Demütigung.
Gaza-Tagebuch: „Unter den Toten ist auch mein Cousin“
Flucht aus Beit Lahia: Unsere Autorin berichtet vom Verlust des Vaters,
endlosen Bombennächten – und der Suche nach einem letzten Rest Sicherheit.
Überleben in Gaza: „Während ich schreibe, schwirrt mir der Kopf vor Hunger�…
Im Gazastreifen gibt es kaum noch Lebensmittel zu kaufen, Wasser ist ein
Luxusgut geworden. Unser Autor in Gaza versucht, weiter zu überleben.
Gaza-Tagebuch: Wir müssen aus der „Pufferzone“ fliehen
Unser Autor kämpft weiter. Eines ist klar: Seine Familie und er müssen Gaza
verlassen, denn der Tod ist nur einen Augenblick entfernt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.