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# taz.de -- Gaza-Tagebuch: Wir müssen aus der „Pufferzone“ fliehen
> Unser Autor kämpft weiter. Eines ist klar: Seine Familie und er müssen
> Gaza verlassen, denn der Tod ist nur einen Augenblick entfernt.
Bild: Palästinenser unterwegs in Gaza Stadt während eines Staubsturms am 30.A…
Gaza taz | [1][Tage voller Tod]. Das Dröhnen der Granaten. Die Drohnen der
Flugzeuge. Wir hätten nie gedacht, dass wir unser Haus nach dem
Waffenstillstand wieder verlassen müssten. Als wir zurückkehrten und unser
Haus nur teilweise beschädigt vorfanden, freuten wir uns; wenigstens bot es
uns etwas Schutz vor der Kälte und der sengenden Hitze, der wir zuvor in
den Zelten ausgesetzt waren. Doch die Hoffnung, von nun an vor Kälte und
Hitze geschützt zu sein, zerplatzte: Die Besatzung gab einen neuen
Evakuierungsbefehl für den den Stadtteil Al-Shujaiya von Gaza-Stadt
bekannt.
Al-Shujaiya ist jetzt [2][Teil des Gebiets], das Israel zur „militärische
Pufferzone“ erklärt hat. Das Gebiet hat sich in den letzten Wochen in
seiner Größe verdoppelt.
Alle bekamen es mit der Angst zu tun und sammelten ein, was sie mit bloßen
Händen tragen konnten. Der Transport war fast unmöglich – wegen des
Treibstoffmangels, der Dieselknappheit und der fehlenden Gasflaschen fuhren
keine Fahrzeuge. Ich schickte meinen Bruder los, um zwei Kilo Benzin für
unser Auto zu kaufen, damit wir weiterfahren konnten. Fünfzehn Minuten
später kam mein Bruder Amir mit den Gasflaschen zurück; er sagte mir, er
habe fünfundfünfzig Dollar pro Kilo bezahlt.
[3][Eine Zeitlang standen wir auf der Straße und wussten nicht, wohin wir
gehen sollten]. Ich hatte mein Handy bei unserem Nachbarn aufgeladen und er
war auf den Markt gegangen, also wartete ich auf ihn, nachdem ich den
Evakuierungsbefehl gehört hatte. Plötzlich stand die Straße Kopf: Eine
Rakete schlug in der Nähe unseres Hauses ein.
Zuerst dachten wir, unser Haus sei wieder getroffen worden, denn wir
konnten durch den aufgewirbelten Staub nichts sehen. Ich versuchte, durch
den Staub zu unserem Haus zu kommen, weil meine Schwestern allein dort
waren, aber es gelang mir nicht – und so wartete ich in der Nähe.
Kurze Zeit später betraten wir wieder das Haus und fanden meine Schwestern
körperlich unversehrt vor, doch der Schrecken stand ihnen ins Gesicht
geschrieben. Shimaa sagte zitternd: „Ich habe die Flammen der Rakete
gesehen, als sie das Nachbarhaus traf. Wir haben die Lebensmittel und
Kleidung, die wir tragen können, in Kisten gepackt.“
## In Gaza lebt man mit dem Tod
Ich trat wieder auf die Straße. Der Sohn unseres Nachbar drückte mir seinen
Neffen in die Hand. Dessen kleiner Körper war über und über mit Staub
bedeckt. „Rette ihn, Esam“, sagte sein Onkel. Ich stürzte auf die Straße
und begann zu laufen; ich musste eine halbe Stunde zu Fuß zurücklegen, um
das Krankenhaus zu erreichen. Es gab keine Krankenwagen oder Autos, um die
Verwundeten zu transportieren. Meine Gedanken schweiften ab – nicht, weil
ich den Weg zum Krankenhaus nicht kannte, sondern weil meine Familie noch
im Haus war und wir das Haus sofort verlassen mussten, aber das Kind in
meinen Armen blutete.
Ich fühlte mich gefangen zwischen dem drohenden Tod meiner Familie – denn
die Armee würde nicht lange nach dem Evakuierungsbefehl warten – und dem
blutenden Kind. Es war, als würde ich in die Dunkelheit laufen,
unausgeglichen und taumelnd. Unterwegs sah mich ein Mann aus der Gasse,
nahm das Kind und trug es ins Krankenhaus. Ich kehrte nach Hause zurück, um
unsere Vorbereitungen zu beenden.
Wir luden all unsere Habseligkeiten auf den Dachgepäckträger und in den
Kofferraum, ließen den Motor an und fuhren los. Wir mussten erst einmal
Al-Shujaiya verlassen und dann entscheiden, wohin wir fahren wollten. Als
wir das Viertel hinter uns gelassen hatten, rief meine Tante an: „Kommt zu
uns.“ Sie wohnt in Tal al-Hawa, ebenfalls ein Stadtteil von Gaza-Stadt.
Ich denke an nichts anderes, als darüber, wie ich mit meiner Familie dieses
Inferno überleben kann. Wir müssen Gaza verlassen, auf jeden Fall. Denn
hier leben wir jeden Augenblick mit dem Tod.
Esam Hani Hajjaj (28) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und
Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er
innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen.
Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in
den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen
wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der
taz.
2 May 2025
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## AUTOREN
Esam Hajjaj
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