Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kriminalstatistik der Polizei: Es geht um soziale Ursachen
> Die neue Kriminalstatistik nutzt nicht nur die AfD für Parolen gegen
> „Multikulti“. Dabei zeigt ein genauerer Blick, dass ein Zusammenhang
> haltlos ist.
Bild: Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden – ein Viertel von…
Die Reflexe sprangen sofort wieder an. Wie bestellt ätzte die AfD über
„importierte Kriminalität“ und „Multikultiwahn“. Vertreter der Union
erklärten „illegale Migration“ zum „Sicherheitsrisiko“, forderten
Abschiebungen, Grenzkontrollen und, mal wieder, eine Obergrenze. Auch Teile
der FDP stimmten ein. Polizeigewerkschafter forderten mehr Personal und
Befugnisse. Alles erwartbar, alles routiniert. Es ist ein alljährliches
Schauspiel, sobald die polizeiliche Kriminalstatistik präsentiert wird. Ein
zumeist folgenloses.
Dabei [1][geben die Zahlen durchaus Grund zum Tätigwerden]. Nur eben nicht
so wie derzeit diskutiert. Gut 5.940.000 Straftaten zählte die deutsche
Polizei im vergangenen Jahr, ein Plus von 5,5 Prozent und der höchste Wert
seit 2017. Die meisten davon waren Diebstähle (ein Drittel), es folgten
Betrug (12 Prozent) und Körperverletzungen (10 Prozent). Gewaltdelikte
stiegen um gut 8 Prozent, Raubtaten um 17 Prozent, Messerangriffe um knapp
10 Prozent. Gerade Kinder und Jugendliche verübten mehr Straftaten. Und
eben auch Menschen, die in der Statistik als „Nichtdeutsche“ gezählt
werden.
Beruhigend ist das nicht, Grund für Panik aber auch nicht. Die Gesamtzahl
der Delikte lag jahrelang, von 1993 bis 2016, fast durchweg höher. Und auch
die Straftaten der „Nichtdeutschen“ gingen nach 2016 mehrere Jahre zunächst
zurück. Alles wird immer schlimmer? Nein. Und das BKA stellte sich schon
darauf ein, dass es nach dem Ende der Corona-Einschränkungen wieder mehr
Tatgelegenheiten und damit mehr Delikte geben würde.
Zudem wächst in Deutschland die Bevölkerung und mit ihr die Zahl der
Straftaten. Mehr „nichtdeutsche“ Bewohner*innen führen dann auch zu
mehr Delikten aus dieser Gruppe – setzt man dies ins Verhältnis, nivelliert
sich der Anstieg. Und gerade Geflüchtete weisen mehrere Risikofaktoren auf:
Sie sind oft jung und männlich, bringen eigene Gewalterfahrungen mit, leben
in beengten Unterkünften und in sozial angespannter Lage. Es sind Faktoren,
die im Übrigen bei allen eine Anfälligkeit für Kriminalität erhöhen.
[2][Den Vorwurf der kulturellen Prägung] stützt die Kriminologie nicht:
Nicht die Nationalität ist entscheidend, sondern die soziale Lage, lautet
dort der Befund.
Und es bleibt dabei, dass die Kriminalstatistik nur die Straftaten zählt,
die der Polizei auch bekannt wurden – und damit nicht die Kriminalität an
sich. Offen bleibt das zumeist große Dunkelfeld und die Frage, ob sich
Zahlen nur deshalb erhöhen, weil die Polizei oder
Schwerpunktstaatsanwaltschaften bei einem Delikt genauer hinschauen.
Genauso bleibt es dabei, dass die Kategorie der „Nichtdeutschen“, die jetzt
zu Aufregung führt, von der Polizei denkbar divers befüllt wird: mit
Geflüchteten, Touristen oder langjährigen Einwohner*innen ohne deutschen
Pass; und mit Straftaten wie „unerlaubter Einreise“, die nur
„Nichtdeutsche“ begehen können – die zudem auch noch öfter angezeigt und
von der Polizei kontrolliert werden. Verallgemeinern lässt sich so also
nicht. Hier könnte die Debatte bereits enden. Tut sie aber nicht – denn zu
sehr sind die Zahlen eine vermeintliche Steilvorlage für diejenigen, die
Migration schon immer ablehnen.
## Fokus auf Intensivtäter
Ganz abtun sollte die Debatte aber auch die gesellschaftliche Linke nicht.
Jede Straftat hinterlässt Opfer, die darunter leiden – ein Viertel von
ihnen ist übrigens „nichtdeutsch“. Natürlich gehört jede Straftat verfol…
egal wer sie beging. Ein Fokus auf Intensivtäter wäre sinnvoll – egal woher
sie kommen. Gerade Gewalt von Jugendlichen kann die kommende Generation
prägen; hier sollte nichts einreißen. Zudem zeigen Dunkelfeldstudien und
Opferbefragungen, dass auch dort eine Zunahme an Straftaten berichtet wird.
Eine bloße Schimäre ist die Kriminalstatistik also nicht.
Als Antwort nun [3][auf Abschiebung] und Obergrenze zu setzen wird nicht
funktionieren, schon praktisch nicht. Viele der Tatverdächtigen leben seit
Langem in diesem Land oder schon immer und werden dies auch weiterhin. Auch
wenn es mehr kostet: Angesetzt werden muss nicht beim Pass, sondern bei den
sozialen Ursachen.
Es braucht Teilhabe, Perspektiven, Bildung, Hilfen für Menschen in Notlagen
– für alle. Deutlich gestärkt werden müssen Projekte, die in die Schulen
gehen, in die Geflüchtetenunterkünfte, in die sozialen Brennpunkte. Dort
muss klargemacht werden, welche Folgen Gewalt hat – für die Täter, aber
auch für die Opfer. Umso fataler, wie zuletzt über das Bürgergeld oder
Kinderarmut diskutiert wurde, über Kürzungen bei der Migrationsberatung
oder psychosozialen Zentren für Geflüchtete. Wer hier spart, wird Probleme
nicht lösen, sondern nur verschärfen – und keine Zahl in der
Kriminalstatistik verbessern.
12 Apr 2024
## LINKS
[1] /Polizeistatistik-fuer-das-Jahr-2023/!6002976
[2] /Debatte-um-die-Silvesternacht/!5903528
[3] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/abschiebung-hunderte-inten…
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Kriminalstatistik
Migration
Straftat
Abschiebung
Geflüchtete Frauen
Messer
Messer
Podcast „Bundestalk“
Kriminalstatistik
antimuslimischer Rassismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Deutsche Asylpolitik: Die Hölle der anderen
Deutschland erschafft sich seine eigenen Täter. Denn nicht der Migrant ist
pervers, sondern die Situation, in der er lebt.
Maßnahmen gegen Messer-Gewalt: Willkür ohne echten Nutzen
In der von Rechten befeuerten Debatte über mit Messern verübte Straftaten
setzt die Politik mal wieder auf Verbote. Das löst das Problem nicht.
Zunahme von Messerangriffen: Keine Messer für Männer
Im Bund wird über ein schärferes Waffengesetz diskutiert und Berlin prüft
die Einrichtung von Messerverbotszonen. Helfen allein wird beides nicht.
Podcast „Bundestalk“: Brauchen wir die Kriminalstatistik?
Die neue Kriminalstatistik der Polizei sorgt auch in diesem Jahr für eine
hetzerische Migrationsdebatte. Was sagen die Zahlen überhaupt?
Polizeistatistik für das Jahr 2023: Kampf um die Kriminalitätszahlen
Innenministerin Faeser präsentiert die neue Kriminalstatistik. Die Zahl der
Gewalttaten steigt. Die Gründe sind vielfältig.
Debatte um die Silvesternacht: Sozialisation raus aus der Tabuzone
Nach Ausschreitungen zu Silvester warnen die einen vor jungen Männern, die
anderen vor Rassismus. Besser wäre, offen miteinander zu reden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.