# taz.de -- Kranker Staatssekretär muss gehen: Kirchner-Rauswurf: Grüne strei… | |
> Dass Verkehrssenatorin Günther ihren erkrankten Verkehrs-Staatssekretär | |
> in den Ruhestand versetzt, sorgt für lautes Rumoren. Auch der Nachfolger | |
> ist umstritten. | |
Bild: Jens-Holger Kirchner im Einsatz vor dem Gleimtunnel – ein Bild aus dem … | |
Die Entscheidung der parteilosen Verkehrssenatorin Regine Günther, ihren | |
Staatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) zu entlassen, sorgt bei den | |
Grünen in Partei und Fraktion teils für gehörigen Unmut. Kritisiert wird | |
die Personalie fachlich wie menschlich. Am Mittwoch war bekannt geworden, | |
dass Günther den an Krebs erkrankten Kirchner in den einstweiligen | |
Ruhestand versetzen will, um ihr Haus „wieder voll funktionsfähig zu | |
machen“. Nächste Woche soll das der Senat beschließen. Die Parteiführung | |
sah sich am Donnerstag genötigt, in einem Mitgliederrundschreiben die | |
Personalie zu erläutern. Darin behauptet sie, es sei „nicht absehbar“, wann | |
Kirchner in die Senatsverwaltung zurückkehren könne. Der hingegen sagte der | |
taz, er könne im Frühjahr wieder einsteigen. | |
Kaum ein Blatt vor den Mund nehmen manche Grüne außerhalb der Fraktion. | |
„Eine schwerkranke Spitzenkraft mitten in der Behandlungsphase entsorgen – | |
DAS GEHT NICHT!“, schreibt Sergey Lagodinsky, früherer grüner | |
Kreisvorsitzender in Pankow und aussichtsreicher Berliner Kandidat bei der | |
Europawahl, auf seiner öffentlichen Facebookseite. „Eine gute Leitung | |
zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, Arbeit trotz Ausfall zu organisieren | |
und dem Betroffenen eine Genesung zu ermöglichen.“ Fachlich und politisch | |
sei die Entscheidung „kaum nachvollziehbar“, Kirchner sei „der erfahrenste | |
Verkehrspolitiker und Stadtplaner im politischen Berlin“. | |
Auch Svenja Borgschulte, Sprecherin der grünen Landesarbeitsgemeinschaft | |
(LAG) Migration und Flucht, bezeichnet Kirchners geplante Entlassung auf | |
Facebook als „menschlich und fachlich ganz schwach“, wird aber noch | |
schärfer: „Warum denken wir nicht darüber nach, Regine Günther | |
loszuwerden?! Halte ich für die bessere Entscheidung.“ Ihr Kollege von der | |
LAG Mobilität, Matthias Dittmer, berichtete der taz von einer Sitzung | |
seiner Arbeitsgemeinschaft, bei der Landesparteichef Werner Graf und | |
Günthers Umweltstaatssekretär Stefan Tidow den Schritt kommuniziert hätten. | |
„Es war niemand im Raum, der das gut hieß.“ | |
## „Fachliche Qualifikation nachweisen“ | |
Von den menschlichen Aspekten der Entlassung abgesehen, sei völlig unklar, | |
ob Ingmar Streese als designierter Nachfolger Kirchners in der Lage sei, | |
die Vakanz zu füllen, so Dittmer. „Eine verkehrspolitische fachliche | |
Qualifikation“ Streeses hätten Graf und Tidow nicht nachweisen können. „W… | |
hatten vielmehr den Eindruck, dass beide die Personalie noch nicht lange | |
kannten.“ Günther müsse diese fachliche Qualifikation dem Landesverband | |
erst einmal nachweisen, findet Dittmer: „Ich frage mich, wie eine | |
entscheidungsführende Ebene der Senatsverwaltung ohne ausgewiesenen | |
verkehrspolitischen Sachverstand erfolgreich arbeiten kann. Fehler können | |
wir uns nicht mehr leisten.“ | |
Graf und seine Co-Parteichefin Nina Stahr stellen das in ihrem | |
Rundschreiben, das der taz vorliegt, teilweise ganz anders da. Demzufolge | |
ist die Entlassung keine einsame Entscheidung von Senatorin Günther: Nach | |
„wochenlangen, intensiven Gesprächen zwischen Partei, Fraktion und | |
Senatsverwaltung sehen auch wir keine andere Möglichkeit mehr, als diesen | |
traurigen Schritt zu gehen“, schreiben die beiden Landesvorsitzenden. Zudem | |
ist Kirchners designierter Nachfolger aus ihrer Sicht mitnichten zu wenig | |
qualifiziert, sondern besitze „umfangreiche Erfahrung in der Verkehrs- und | |
Umweltpolitik“. | |
Aus der Fraktion dringen zurzeit nur wenige Stimmen nach außen. Wie die taz | |
aus grünen Kreisen erfuhr, gab es am Dienstag eine offene Aussprache in der | |
Fraktion, bei der Regine Günther die zum Teil kritischen Fragen der | |
Abgeordneten beantwortete. Zum Schluss soll bis auf wenige Einzelne die | |
Fraktion die Notwendigkeit der Personalentscheidung anerkannt haben. | |
Ein Grünen-Abgeordneter, der sich schon am Mittwoch öffentlich explizit | |
kritisch geäußert hatte, war der Pankower Andreas Otto. Einige seiner | |
KollegInnen wollten sich am Donnerstag gar nicht zur Sache äußern. Die | |
verkehrs- und umweltpolitischen Sprecher Harald Moritz und Georg Kössler | |
sagten, sie respektierten Günthers extrem schwierige Entscheidung. Die | |
Neubesetzung des Postens habe gedrängt, so Moritz: „Auf Dauer können das | |
die Senatorin und der Umweltstaatssekretär nicht allein leisten.“ Zur | |
Kritik, Streese sei verkehrspolitisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, | |
sagte er, der Nachfolger bringe Verwaltungserfahrung mit: „Das ist eine | |
wichtige Voraussetzung, um Prozesse zu steuern.“ Einen fachlich so | |
beschlagenen Politiker wie Kirchner zu ersetzen, werde aber „für den Neuen | |
einen Riesenhürde“. | |
Kössler twitterte: „Es gibt manchmal keine richtige Entscheidung und | |
dennoch muss eine getroffen werden. @RegineGuenther hat es sich damit | |
nicht einfach gemacht, denn sie und StS #Kirchner haben zuletzt sehr gut | |
zusammengearbeitet.“ Ob er darauf anspielen wollte oder nicht – es ist ein | |
offenes Geheimnis, dass anfangs die Chemie zwischen den beiden gar nicht | |
stimmte. Kirchner, der auf dem Verkehrsgebiet deutlich profilierter ist, | |
soll von Günther zeitweise untersagt bekommen haben, sich in Interviews zu | |
äußern. | |
Kirchner selbst bestätigte der taz, dass die Versetzung in den Ruhestand | |
gegen seinen Willen erfolgt. Er habe nicht nur in Aussicht gestellt, ab dem | |
Frühjahr wieder voll einsatzfähig zu sein, sondern vielmehr Günther schon | |
im September angeboten, zwischen seinen Chemotherapien in Teilzeit zu | |
arbeiten: „Das betraf die nicht tagesaktuelle strategische Planung, die | |
Arbeit am VBB-Vertrag und die BVG.“ Auch bestimmte Sitzungen des | |
Verkehrsausschusses im Abgeordnetenhaus hätte er übernehmen können. Aber: | |
„Die Senatorin hat das nicht angenommen.“ | |
## „Das Letzte, was wir brauchen“ | |
In einem Schreiben, das der taz vorliegt, rät Kirchners behandelnder Arzt | |
ihm, auf keinen Fall aus dem Arbeitsleben auszusteigen. Die berufliche | |
Tätigkeit in reduziertem Maß fortzusetzen, sei „von nicht zu | |
unterschätzender Bedeutung für den Heilerfolg“. Ein Rückzug – „im | |
schlimmsten Fall noch gegen den eigenen Willen“ – könne nicht nur eine | |
depressive Stimmung hervorrufen, sondern auch zu einer „nachweisbaren | |
Schwächung des Immunsystems“ führe. „Das ist aber das Letzte, was wir in | |
Ihrer Situation brauchen.“ | |
Auch Verkehrsexperten außerhalb der Parteipolitik kritisieren Günthers | |
Entscheidung: Für Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB kann die | |
Verkehrswende nur gelingen, wenn alle ökologischen Verkehrsformen gemeinsam | |
entwickelt werden. „Für den Bereich des ÖPNV gibt es nun auf der | |
Leitungsebene niemanden mehr, der dies kann und auch die Strukturen der | |
Berliner Verwaltung versteht.“ | |
Heinrich Strößenreuther von der Agentur für Clevere Städte, der Mann hinter | |
dem Fahrradvolksbegehren, sagte der taz, es sei zwar grundsätzlich gut, | |
dass jetzt „wieder Manpower am Start“ sei – die Entscheidung gegen | |
Kirchners Willen zu treffen, sei aber indiskutabel: „Das würde heute in | |
keinem Unternehmen toleriert.“ Zur Nachfolge meinte Strößenreuther, eine | |
Metropole wie Berlin, in der nun ein gesetzlicher Anspruch auf nachhaltige | |
Mobilität umgesetzt werden müsse, hätte Anspruch auf jemanden mit mehr | |
Erfahrung: „Da wäre es schon gut, wenn man vorher fünf, sechs Jahre im | |
Verkehrsbereich gearbeitet hat.“ | |
6 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
Uwe Rada | |
Stefan Alberti | |
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