# taz.de -- „Kopftuch-Streit“ vor Gericht: Berlin unterliegt | |
> Die Kopftuch-Rechtsprechung aus Karlsruhe gilt auch in der Hauptstadt. | |
> Das Bundesarbeitsgericht gab der muslimischen Klägerin recht. | |
Bild: Bedroht ein Kopftuch in Berliner Klassenräumen den „Schulfrieden“? E… | |
ERFURT taz | Dürfen Länder wie Berlin die Rechtsprechung des | |
Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuch ignorieren? Nein, entschied jetzt | |
das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Der Berliner Senat muss jetzt seinen | |
Widerstand aufgeben. | |
Im konkreten Fall hatte sich eine muslimische Informatikerin 2017 in Berlin | |
für eine Stelle als Lehrerin beworben. Zum Vorstellungsgespräch erschien | |
sie mit Kopftuch. Im Hinausgehen wies ein Behördenvertreter auf das | |
[1][Berliner Neutralitätsgesetz] hin, das das Tragen religiöser Symbole und | |
Kleidungstücke im Schuldienst verbiete. Sie müsse das Kopftuch im | |
Unterricht dann ablegen, so der Beamte. Die Informatikerin sagte, dazu sei | |
sie nicht bereit und wurde nicht eingestellt. | |
Deshalb klagte die Frau gegen das Land Berlin auf Entschädigung nach dem | |
bundesweit geltenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Das Berliner | |
Verbot widerspreche dem Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von | |
2015. Der Staat dürfe Lehrerinnen das Tragen eines muslimischen Kopftuches | |
nur verbieten, wenn es eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden auslöst. | |
Generelle Verbote wertete Karlsruhe als unverhältnismäßigen Eingriff in die | |
Religionsfreiheit. | |
Das Arbeitsgericht Berlin lehnte die Klage zunächst ab. Das | |
Neutralitätsgesetz definiere eine wesentliche berufliche Anforderung für | |
Berliner Lehrerinnen. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil passe nicht für | |
Stadtstaaten wie Berlin mit ihrem großen Konfliktpotenzial. | |
## Der EuGH bleibt draußen | |
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin entschied Ende 2018 dann aber für die | |
Informatikerin und sprach ihr 5.159 Euro Entschädigung zu, also eineinhalb | |
Bruttomonatsgehälter. Das Berliner Neutralitätsgesetz müsse im Lichte der | |
Karlsruher Rechtsprechung verfassungskonform ausgelegt werden, so das LAG. | |
Das heißt: Nur bei konkreten Gefahren für den Schulfrieden, wäre ein | |
Kopftuchverbot zulässig. | |
Da der Umgang mit dem Neutralitätsgesetz in der Berliner | |
Rot-Rot-Grün-Regierung umstritten ist, legte das Land Revision ein, um Zeit | |
zu gewinnen und um den Fall höchstrichterlich klären zu lassen. | |
Diese Klärung ist nun erfolgt. Die Karlsruher Rechtsprechung zum Kopftuch | |
ist auch in Berlin verbindlich, erklärte die Vorsitzende BAG-Richterin Anja | |
Schlewing. Das Berliner Neutralitätsgesetz müsse nun aber nicht dem | |
Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden, vielmehr könne es | |
verfassungskonform ausgelegt werden. Es kommt also auch in Berlin auf eine | |
konkrete Gefährdung des Schulfriedens an. | |
Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof lehnte das BAG ab. Anwalt Axel | |
Groeger, der das Land Berlin vertrat, hatte das in der Verhandlung | |
überraschend vorgeschlagen. Bisher sei zu wenig das „Wohl des Kindes“ | |
berücksichtigt worden, das in der Europäischen Grundrechte-Charta | |
garantiert ist. | |
## Belege für Konflikte? Kann Berlin nicht liefern | |
„Wir sind die Stimme der Kinder, die ihre Stimme nicht erheben können“, | |
sagte Seyran Ates, die zweite Anwältin Berlins. Das Kopftuch sei ein | |
nonverbaler Hinweis auf muslimische Keuschheitsgebote. Schülerinnen könnten | |
sich gegen das prägende Bild ihrer Lehrerin nicht wehren. Nur ein | |
generelles Kopftuchverbot, wie im Berliner Neutralitätsgesetz vorgesehen, | |
schütze die Kinder vor der nicht neutralen Einflussnahme. | |
Haschemi Yekani, die Anwältin der (nicht anwesenden) Informatikerin, | |
betonte in der Verhandlung, dass das Land bisher keine Belege für Konflikte | |
vorbringen konnte, die kopftuchtragende Lehrerinnen ausgelöst haben. Kinder | |
seien in Berlin überall mit [2][kopftuchtragenden Frauen] konfrontiert. Da | |
sei es für manche muslimische Mädchen eher hilfreich zu sehen, dass man | |
auch mit Kopftuch einen anspruchsvollen Beruf ergreifen kann. | |
Schon in der Verhandlung hatte Richterin Schlewing angedeutet, dass die | |
Berliner Revision keinen Erfolg haben wird. „Wenn ein jüdischer Lehrer es | |
als religiöse Pflicht empfindet, eine Kippa zu tragen, könnten wir darin | |
eine Gefahr für den Schulfrieden sehen?“, sagte sie. | |
27 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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