| # taz.de -- Berliner Kopftuch-Streit: Nach Urteil weiter umstritten | |
| > Die Reaktionen auf das „Kopftuch-Urteil“ reichen von Entsetzen bis | |
| > Begeisterung. Änderung des Neutralitätsgesetzes wird gefordert. | |
| Bild: Ein Beispiel für das bunte Deutschland | |
| Die Reaktionen in Berlin auf das [1][„Kopftuch-Urteil“ von Erfurt] reichen | |
| von Entsetzen bis Begeisterung. Der stellvertretende Vorsitzende der | |
| Berliner CDU, Falko Liecke, sagte am Freitagmorgen, das Urteil des | |
| Bundesarbeitsgerichtes sei „ein Schlag ins Gesicht all jener mutigen | |
| Muslime, die sich für einen modernen und aufgeklärten Islam einsetzen und | |
| deswegen angefeindet und bedroht werden“. | |
| Exakt die Gegenposition vertritt das Bündnis #GegenBerufsverbot, dem | |
| verschiedene, vor allem muslimische Vereine angehören. „Endlich wird der | |
| Diskriminierung durch das sog. Neutralitätsgesetz, die angehende | |
| Lehrerinnen erfahren, wenn sie ein Kopftuch tragen, ein Riegel | |
| vorgeschoben. Ab jetzt muss das Land Berlin Frauen* mit Kopftuch | |
| gleichberechtigten Zugang ermöglichen“, erklärte deren Sprecherin Miriam | |
| Aced. | |
| Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hatte am Donnerstagnachmittag die | |
| Revision des Landes Berlin gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts | |
| zurückgewiesen. Dieses hatte einer muslimischen Lehrerin im November 2018 | |
| rund 5.159 Euro Entschädigung zugesprochen, weil sie wegen ihres Kopftuches | |
| nicht in den Schuldienst eingestellt worden war. | |
| Die Frau sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden, entschieden die | |
| Richter. Der Paragraf 2 im Neutralitätsgesetz, der Pädagogen an | |
| allgemeinbildenden Berliner Schulen nicht nur das Tragen eines Kopftuchs, | |
| sondern auch anderer religiöser Kleidungsstücke und Symbole wie Kreuz oder | |
| Kippa untersagt, müsse verfassungskonform ausgestaltet werden. | |
| Das bedeutet, dass sich Berlin an die Rechtsprechung des | |
| Bundesverfassungsgerichts halten muss. Das oberste Gericht hatte 2015 | |
| festgestellt, dass ein pauschales Verbot religiös konnotierter Kleidung | |
| gegen das Recht auf freie Religionsausübung verstoße. Nur bei konkreter | |
| Gefährung des Schulfriedens könne im Einzelfall ein solches Verbot | |
| ausgesprochen werden. Dieser höchstrichterliche Rahmen gelte auch in | |
| Berlin, stellten die Richter nun fest. | |
| Die Bildungsverwaltung unter Senatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte die | |
| Revisionsverhandlung angestrebt, um die Frage um die Verfassungsmäßigkeit | |
| des Neutralitätsgesetzes endgültig klären zu lassen. Denn Berlin war schon | |
| mehrere Male von „Kopftuch-Lehrerinnen“ verklagt und in mindestens einem | |
| weiteren Fall zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt worden. | |
| Dennoch wollten Scheeres und die SPD an dem Gesetz festhalten. Die Grünen, | |
| allen voran Justizsenator Dirk Behrendt, wollen das Gesetz dagegen schon | |
| länger ändern. Die Linke, die es 2005 zusammen mit der SPD verabschiedet | |
| hatte, ist in der Frage gespalten. | |
| Im Statement des rechtspolitischen Sprechers der Linksfraktion Sebastian | |
| Schlüsselburg jedenfalls ist vorsichtige Freude zu erkennen. „Das Urteil | |
| ist eindeutig und war so auch zu erwarten“, erklärte er. „Die | |
| Bildungssenatorin muss jetzt zügig sicherstellen, dass es bei den | |
| Einstellungen und in den Schulen auch angewandt wird.“ Die Abgeordneten | |
| müssten zudem prüfen, ob das Gesetz zur Klarstellung nun nicht geändert | |
| werden muss. „Aus meiner Sicht ist das zwingend. Eine Auslegung gegen den | |
| Wortlaut ist zumindest missverständlich.“ | |
| Für die Grünen „begrüßen“ die Abgeordneten Bettina Jarasch und Sebastian | |
| Walter, die SprecherInnen für Religionspolitik und Antidiskriminierung, das | |
| Urteil „ausdrücklich“, ließen sie mitteilen. „Die Religionsfreiheit und… | |
| Gleichbehandlungsgebot sind verfassungsrechtlich verbriefte Rechte. Die | |
| Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts weist darauf hin, dass das Land | |
| Berlin diese nicht hinreichend schützt.“ Auch sie plädieren für eine | |
| Änderung des Gesetzes. „Aus antidiskriminierungspolitischer Sicht ist eine | |
| Novellierung ohnehin geboten. Wir stehen zum Neutralitätsgebot, gingen und | |
| gehen aber davon aus, dass auch kopftuchtragende Lehrerinnen dieses | |
| erfüllen.“ | |
| Scheeres teilte nach dem Urteil mit, sie hätte sich „eine andere | |
| Entscheidung gewünscht“. Viele Schulleitungen hätten ihr berichtet, dass es | |
| ihnen in einer religiös so vielfältigen Metropole wie Berlin wichtig sei, | |
| dass die Lehrkräfte neutral auftreten. „Sie haben die Sorge, dass ansonsten | |
| Konflikte in die Schulen hineingetragen werden.“ Vor Gericht konnte sie | |
| dafür offenbar keine Belege vorbringen. | |
| 28 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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