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# taz.de -- Konflikt um Taiwan: Bedrohtes Eiland
> Seit dem Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi ist Peking auf Eskalationskurs.
> Warum? Und was könnte das für die Welt bedeuten? Ein Überblick.
Bild: Säbelrasseln: Ein chinesischer Militärhubschrauber über der Insel Ping…
1. Warum hat sich der Konflikt um Taiwan gerade jetzt zugespitzt?
Auslöser der aktuellen Eskalation ist der Besuch von Nancy Pelosi,
Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, in Taiwans Hauptstadt Taipeh
[1][zu Beginn dieser Woche]. Denn China ist gegen internationale Kontakte
der als abtrünnige Provinz betrachteten Insel. Da Pelosis Reisepläne ein
paar Wochen zuvor geleakt wurden, versuchte China bereits im Vorfeld mit
massiven Drohungen, ihren Taiwan-Besuch zu verhindern.
So entstand für die USA und China ein Dilemma: Pelosi hätte als nachgiebig
gegenüber Peking dagestanden, wäre sie nicht angereist. Umgekehrt wäre
Staatspräsident Xi Jinping als Mann leerer Worte dagestanden, hätte er
Pekings Drohungen keine Taten folgen lassen, zumal er innenpolitisch schon
wegen der Wirtschafts- und Immobilienkrise unter Druck steht. Und Pelosis
Reise fand noch aus einem anderen Grund zu einem ungünstigen Zeitpunkt für
Xi statt: In wenigen Wochen findet der Parteitag der Kommunistischen Partei
(KP) Chinas statt. Dort will sich Xi als erster KP-Chef nach Mao Zedong
eine dritte Amtszeit bestätigen lassen.
2. Warum beansprucht China überhaupt Taiwan?
1949 besiegten die [2][Kommunisten unter Mao Zedong] die Nationalisten
(Kuomintang) unter Chiang Kai-shek nach einem langen Bürgerkrieg. Mao rief
auf dem Festland die Volksrepublik aus, Chiang floh mit 1,5 Millionen
Soldaten und Beamten der bisherigen Republik China (gegründet 1912) auf die
Insel Formosa (Taiwan). Dort regierte er diktatorisch weiter, unter Schutz
der USA.
In Formosa lebten bis ins 17. Jahrhundert vor allem indigene Völker.
Portugal, Spanien und die Niederlande kolonisierten dort und vermehrt
ließen sich auch chinesische Siedler nieder, bis 1683 Chinas Qing-Dynastie
die Insel annektierte. Nach dem ersten sino-japanischen Krieg wurde Formosa
von 1895 bis 1945 eine japanische Kolonie.
China strebt seither, notfalls mit einer gewaltsamen Vereinigung mit
Taiwan, die Vollendung seiner nationalen Einheit an. Im heute demokratisch
regierten Taiwan plant hingegen niemand mehr ernsthaft eine Rückeroberung
des Festlandes. Vielmehr wird betont, dass die Insel nie Teil der
Volksrepublik war.
3. Fast alle Staaten bekennen sich zur „Ein-China-Politik“. Was bedeutet
diese?
Nach dieser Doktrin gibt es nur ein China. Das ist für Peking identisch mit
der Volksrepublik, weshalb es bei Taiwan für Peking um Innenpolitik geht.
Deshalb werden Kommentare anderer als „Einmischung in innere
Angelegenheiten“ zurückgewiesen und wird gegen diplomatische Beziehungen
mit Taipeh protestiert.
Früher haben viele westliche Staaten Taiwan, das bis 1971 China im
UN-Sicherheitsrat vertrat, als alleinige Vertretung Chinas anerkannt, viele
andere Länder hingegen nur die Volksrepublik. China jedoch besteht in
seinen Beziehungen auf dem Bekenntnis zum „Ein-China-Prinzip“. So
unterhalten heute nur noch 14 Staaten (in Europa nur der Vatikan)
diplomatische Beziehungen zu Taiwan. Viele handeln aber weiterhin mit dem
Hightech-Land und haben politische Beziehungen unterhalb der diplomatischen
Anerkennung. Um Druck auszuüben, protestiert Peking regelmäßig gegen
Treffen mit Vertretern Taipehs.
4. Warum ist Taiwan für China so wichtig?
Das vor Chinas Küste liegende Taiwan nannte ein US-Stratege einen
„unsinkbaren Flugzeugträger“. Das heißt, für die militärische Sicherheit
der Volksrepublik ist wichtig, wer die Insel und die Taiwanstraße
kontrolliert. Das wirtschaftlich wie militärisch aufstrebende China will
daher die US-Marine aus der Region drängen, wie es umgekehrt für die USA
kaum zu ertragen wäre, würden China oder Russland auf einer Karibikinsel
großen Einfluss haben – wie etwa in der Kubakrise.
Taiwan ist aber auch ideologisch wichtig. So ist der Nationalismus zentral
für die Herrschaftslegitimation der autoritär alleinregierenden
Kommunistischen Partei. Sie duldet kein demokratisches Gegenmodell. Doch
zeigt gerade Taiwan – wohin viele Aktivisten aus der zerschlagenen
Hongkonger Demokratiebewegung geflohen sind – heute geradezu vorbildlich,
dass Demokratie, chinesische Kultur und wirtschaftlicher Erfolg gut
zusammenpassen.
5. Welche Rolle spielen die USA?
Für Washington war der Sieg der Kommunisten in Chinas Bürgerkrieg 1949 ein
außenpolitisches Desaster. Um im Kalten Krieg zu verhindern, dass sich
Gleiches auch in Korea ereignet, griffen die USA im Koreakrieg ein, wo
China direkter Kriegsgegner wurde. Die USA wurden zur Schutzmacht Taiwans.
Als es in den 1950er-Jahren regelmäßig Artillerieduelle zwischen
chinesischen und taiwanischen Militärs gab, drohte Washington mit
Atomwaffen.
Unter Nixon näherten sich die USA China an und rückten von Taiwan ab,
verpflichteten sich aber 1979 explizit zu dessen Sicherheit. Offen ist
seither, ob das nur Waffenlieferungen bedeutet oder auch eine Entsendung
von Truppen. Diese Unklarheit soll die Risiken eines Angriffs Chinas wie
einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans für beide Akteure unkalkulierbar
machen. Heute sehen die USA China als größte Bedrohung ihrer Hegemonie und
stärken deshalb Taiwan und andere Antagonisten Chinas in der Region.
6. Welche Bedeutung hat Taiwan für andere Länder?
Im Vergleich zu China, das heute politisch und wirtschaftlich sehr mächtig
und für viele Länder der wichtigste Handelspartner und Investor ist,
rangiert Taiwan unter ferner liefen. Deshalb halten sich viele mit
Äußerungen zurück. Gleichzeitig ist Taiwan ein fast monopolartiger
Weltmarktführer für Mikrochips, ohne die Computer, Handys, Maschinen und
Waffensysteme nicht funktionieren. Ein Ausfall würde eine globale Krise
auslösen, zumal die Taiwanstraße eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten
der Welt ist.
Und Taiwan ist auch geopolitisch von großer Bedeutung: Aus dem
Ukrainekrieg ziehen manche westliche Regierungen die Lehre, dass sie
früher und deutlicher gegen Putin hätten Stellung beziehen müssen. Die
Bundesregierung betont, dass der Umgang mit Taiwan große Bedeutung für eine
regelbasierte Weltordnung hat, während sie schweigt, wenn Washington solche
Regeln in anderen Regionen mit Drohnenangriffen bricht. An Taiwan
entscheidet sich, ob China zur dominanten Macht im Pazifik wird und seine
Rechtsvorstellungen durchsetzt, oder ob die Hegemonie der USA samt ihrer
Werte bestehen bleibt.
7. Wie gefährlich sind jetzt Chinas Reaktionen?
Schon während Pelosis Besuch wurden Wirtschaftssanktionen gegen Taiwan
verhängt. Dann begann China die bisher größten Manöver vor Taiwan, die der
Insel so nahe kamen wie nie. Auch flogen Raketen über Taiwan. Das Risiko:
die Manöver könnten versehentlich einen Krieg auslösen. Ihre Anordnung um
Taiwan herum zeigt, dass sie eine Blockade simulieren – das
wahrscheinlichste Szenario, sollte es Krieg geben. Denn eine direkte
Eroberung der Insel dürfte sehr verlustreich sein.
Die meisten Beobachter gehen derzeit davon aus, dass China es beim
Säbelrasseln belässt. Zugleich beschwert sich Peking bei den
G7-Regierungen, die Zurückhaltung gefordert hatten. Am Freitag [3][wurden
Sanktionen gegen Nancy Pelosi verhängt], sowie bilaterale Gesprächskanäle
mit den USA – etwa zu Verteidigung und Klima – ausgesetzt.
5 Aug 2022
## LINKS
[1] /US-Politikerin-Nancy-Pelosi-in-Taiwan/!5867938
[2] /Wie-Chinas-KP-Geschichte-inszeniert/!5646327
[3] /Nach-Taiwan-Besuch-von-US-Politikerin/!5872633
## AUTOREN
Sven Hansen
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