# taz.de -- Kommentar Strategie der Grünen: Radikal unradikal | |
> Die Grünen versprechen im Zwischenbericht zum neuen Programm Radikalität. | |
> Doch sie endet schon dort, wo Konsumwünsche beeinträchtigt werden. | |
Bild: Allzu radikales Selbstlob: die Grünen | |
Annalena Baerbock und Robert Habeck sind die brillantesten | |
Politikverkäufer, die in der Parteienlandschaft zu finden sind (sorry, | |
Christian Lindner). Sie verkörpern Zugewandtheit und Lust aufs Gestalten, | |
vor allem aber sind sie unglaublich geschickt darin, cool klingende | |
Etiketten zu erfinden. Es brauche „radikale Lösungen“, sagen sie. Und: | |
„Radikal ist das neue realistisch.“ | |
Sie sollten der Ehrlichkeit halber dazusagen, dass die Grünen alles sind, | |
aber nicht radikal. Da, wo sie in den Ländern regieren, machen sie | |
mainstreamkompatible Politik, die ein paar ökologische Akzente setzt. In | |
Hessen winken sie ein Gesetz durch, das der Polizei das Eindringen in | |
Smartphones per Staatstrojaner erlaubt. Und Winfried Kretschmann schützt | |
in Baden-Württemberg den Daimler, wo er kann. Das kann man pragmatisch | |
finden oder opportunistisch. Aber radikal? | |
Auch im Bund wirkt das Radikalitätsversprechen wie rosa Zuckerwatte. Es | |
sieht hübsch aus, hat aber wenig Substanz. Baerbock und Habeck promoten | |
eine [1][Grundsicherung, die 30 Milliarden Euro im Jahr kostet, ohne einen | |
einzigen ernsthaften Vorschlag zur Gegenfinanzierung zu machen]. Sie | |
wissen, dass Steuererhöhungen in liberalkonservativen Kreisen so beliebt | |
sind [2][wie der Veggieday beim Fleischerverband]. Wer aber Angst vor dem | |
FAZ-Wirtschaftsressort hat, sollte mit seinem Mut nicht allzu sehr prahlen. | |
Neulich hat es der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek gewagt, darauf | |
aufmerksam machen, dass ein Verzicht auf Flugreisen dem Klima nutzen | |
könnte. Jeder Mensch, so die Idee, bekäme ein Budget von drei | |
internationalen Flügen im Jahr. Wer mehr fliegt, müsste das Recht darauf | |
von anderen erwerben. Der ökologische Sinn ist kaum zu bestreiten, selbst | |
eine soziale Komponente wäre eingebaut. Die Krankenschwester müsste ja | |
nicht von ihrem jährlichen Mallorca-Urlaub lassen, während der viel | |
fliegende Manager zahlen müsste. Aber die Grünen-Spitze hat die Idee | |
schneller versenkt, als man „sozialökologische Transformation“ sagen kann. | |
Die Radikalität der Grünen ist ein leeres Versprechen. Sie findet | |
spätestens dort ihre Grenze, wo die Konsumwünsche der Deutschen | |
beeinträchtigt würden. Selbstverständlich ist es legitim, auf Mehrheiten zu | |
zielen – und Veränderungen in kleinen Schritten anzustreben. Aber sich | |
dafür radikal zu nennen, das ist dann doch ein allzu radikales Selbstlob. | |
29 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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