# taz.de -- Kommentar Selbstoptimierung: Yoga macht unpolitisch | |
> Gegen Nazis im Parlament oder eine Rente von 300 Euro hilft kein Mantra, | |
> meint unsere Autorin. Yoga ist reine Symptombekämpfung. | |
Bild: Der herabschauende Hund soll den Geist stilllegen | |
Sie haucht mir ins Ohr: „Spüre, wie es dir in diesem Moment geht. Richte | |
die Aufmerksamkeit immer mehr nach innen.“ Die Frau liegt mit geflochtenem | |
Haar auf der violetten Matte, die Wand von indirektem Licht sanft | |
beleuchtet, Namaste. Ich soll die Anspannung raus atmen, aber einen Boxsack | |
könnte ich besser gebrauchen. | |
Das Video mit dieser Szene hat ein paar Hunderttausend Klicks auf YouTube: | |
Der Sonnengruß soll für ein besseres Selbst sorgen, Hatha Yoga die Angst | |
bekämpfen, Vinyasa Power Flow den Stress abbauen. Wir machen Yoga am | |
Morgen, um fit in den Tag zu starten, und Yoga am Abend, um ruhig schlafen | |
zu können. Nur: Die Selbstzentriertheit der Yoga-Praxis macht unpolitisch. | |
Eine Website für „bewussten Lifestyle“ erklärt, dass ich mit Yoga meine | |
innere Ruhe finde: „Wenn du Yoga praktizieren willst, begibst du dich auf | |
einen Weg zu dir selbst.“ Und auf diesem Weg, so erzählen es zahlreiche | |
Magazine, Blogs und Videochannels, kann ich Stress, Fett und Selbstzweifel | |
loswerden. Ich kann mich auf die Matte legen, um mit den Folgen harter | |
körperlicher Arbeit fertigzuwerden oder auch mit Panikattacken. All das | |
mache ich mit mir aus. | |
Als eine moderne Manie beschreibt es die britische Autorin Laurie Penny: | |
Wir glaubten, ein sinnvolles Leben mit einer positiven Einstellung und ein | |
paar Oberschenkeldehnübungen zu erreichen, während der Planet Feuer fängt. | |
Denn genau das vermittelt die Mär vom Allzweckyoga: Wenn ich den Stress | |
alleine bekämpfen kann, bin ich auch in der Verantwortung. Mindestlohn oder | |
Überstunden strengen dich an? Probier es doch mal mit einem Asana! Mit | |
Pennys Worten sagt uns Yoga: „Nicht die Gesellschaft ist verrückt oder | |
kaputt: Du bist es.“ | |
## Reiner Körper, reiner Geist | |
Auf der Lifestylewebsite steht, dass Yoga „ein Leben in Liebe, tief | |
verbunden mit sich selbst und allem, was ist“, bewirkt. Doch während mir | |
beim herabschauenden Hund das Blut in den Kopf schießt, denke ich, dass es | |
verdammt viel gibt, mit dem ich nicht verbunden sein will. „Lass auch die | |
negativen Gefühle zu und nutze sie, um daraus zu wachsen. Dabei geht es | |
nicht um Ignorieren, sondern um Akzeptieren, um Annehmen“, sagt die Frau | |
aus dem Video weiter – obwohl es genug Gründe für unseren Ärger gibt, die | |
wir nicht akzeptieren sollten. | |
Anstatt gegen einen ausbeuterischen Arbeitsalltag, die Altersarmut oder den | |
Rechtsruck zu kämpfen, kompensieren wir die Folgen mit Yoga. Doch weder die | |
Kobra noch ein Mantra helfen gegen Nazis im Parlament und auch nicht gegen | |
eine Rente von 300 Euro. | |
In Deutschland haben bereits 16 Prozent der Bevölkerung Yogaerfahrung – so | |
besagt es eine Studie, die im Auftrag des Bundesverbands der Yogalehrenden | |
in Deutschland durchgeführt wurde. Entstehung und Geschichte des Yogas sind | |
nicht eindeutig erforscht. Die Ursprünge, so heißt es, lägen in Indien. | |
Eine der wichtigsten Quellen ist in dieser Hinsicht das Yogasutra, ein | |
philosophischer Text, der Yamas und Niyamas aufzählt. „Die dos and dont’s | |
des Yogas“ nennt sie Clemens Eisenmann, der als Soziologe in Konstanz und | |
Siegen arbeitet. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit und nicht stehlen soll man | |
üben, Unreinheit von Geist und Körper sowie Habgier meiden. | |
## Die Yoga-Industrie | |
Da sich Yoga seit seinen Ursprüngen immer wieder gewandelt habe, gebe es | |
nicht die eine authentische Praxis, meint Clemens Eisenmann. Auch wenn | |
Veränderungen hin zu einem modernen Yoga hierzulande durchaus erkennbar | |
seien. | |
Eine dieser Veränderungen dürfte sein, dass Yoga längst in der | |
kapitalistischen Logik angekommen ist: Yoga ist gut, weil es | |
leistungsfähiger macht. Unternehmen bieten Yoga am Arbeitsplatz an, und auf | |
dem Weltwirtschaftsforum 2016 begann der Tag um acht Uhr mit einer | |
„Mindfulness Meditation“ einschließlich Yogaelementen. Und fragt man | |
Menschen, warum sie Yoga machen, gibt mehr als die Hälfte an, die | |
körperliche und geistige Leistungsfähigkeit steigern zu wollen. | |
Sich gut fühlen wird also übersetzt mit produktiv sein. Pizza vor dem | |
Fernseher geht nicht als Wellnessprogramm durch, sondern gilt als Faulheit. | |
Wer sich wirklich gut fühlen will, soll gefälligst etwas tun, was Körper | |
oder Geist optimiert und nicht nur einen kurzen Genuss verschafft: eine | |
Haarkur, Meditation oder, wenn es sein muss, eine Doku gucken. Am besten | |
aber Yoga. | |
Yoga gibt es auf Apps, in Videos auf YouTube, in Büchern, Zeitschriften, | |
Onlineseminaren und Fitnessstudios. Zur Ausübung reichen keine einfachen | |
Sportklamotten, es müssen Yogahose und Yogashirt sein. Für die Yogamatte | |
gibt es extra einen Yogabeutel, für Profis darf es auch mal ein | |
Meditationskissen sein. Für weniger dehnbare Leute gibt es einen Yogablock | |
– wer bei gestreckten Beinen mit den Händen den Boden nicht berühren kann, | |
legt sie dort ab. Hinter der antimaterialistischen Praxis steckt eine | |
internationale Industrie, deren Umsatz auf 80 Milliarden Dollar geschätzt | |
wird. | |
## Scheinheiliger Einklang | |
Auch das kapitalistische Vokabular hat Eingang gefunden in die Yogablogs: | |
„Selfcare – eine wunderschöne Investition in Dich“, heißt es. Selfcare … | |
man auf einer der Yogareisen üben – mal eben nach Bali fliegen, dort in | |
einer exklusiven Yogavilla wohnen, Fotoshooting inklusive. Wie war das mit | |
der Bescheidenheit? | |
Dieselbe Yogalehrerin bietet auch „Rooftop Yoga“ in Wien an. Nach der | |
Yogasitzung auf der Dachterrasse mit Blick über die Großstadt gibt es noch | |
eine Smoothiebowl, vorzugsweise mit Açaíbeere (Brasilien), Kokosnuss | |
(Indonesien) und Mango (Indien) – die Scheinheiligkeit vom Einklang mit der | |
Welt bei gleichzeitiger ökologischer Vollbelastung gibt sich nicht einmal | |
die Mühe, latent zu bleiben. | |
Dabei gibt es politisches Yoga, sogar auf Instagram: Yulady Saluti zeigt | |
nicht nur Übungen auf der Matte, sondern auch ihren von 27 Operationen | |
mitgenommenen Körper, die Narben auf der nackten Brust, den künstlichen | |
Darmausgang. Das ist Bodypositivity-Aktivismus. Und bestimmt gibt es auch | |
Gruppen, die nach ihrer Sitzblockade gemeinsam ein paar Sonnengrüße machen, | |
um ihr Rückgrat zu entspannen. | |
So ist auch der Soziologe Clemens Eisenmann der Meinung, dass Yoga keine | |
Abgrenzung von politischem Handeln bedeute, werde hier doch teilweise | |
Umweltbewusstsein mit der Praxis zusammengedacht. | |
## Mit Yoga ins Patriarchat | |
Klar, Selbstsorge ist wichtig, um es sich leisten zu können, politisch zu | |
sein. Das weiß auch Laurie Penny, obwohl sie sich beim Anblick der | |
„Instagram Happiness Gurus“ am liebsten in einem Grünkohlsmoothie ertränk… | |
will. Und Yoga hilft tatsächlich. Die Yale University testete seine Wirkung | |
gegen Stress – es wirkt blutdrucksenkend. | |
Aber gegen das meiste, was uns Angst macht, hilft keine Mattenübung. | |
Dagegen hilft eher Abrüstung und der Kampf für die reproduktive | |
Selbstbestimmung. Vielleicht kann Yoga uns stärken, um diese Probleme | |
anzugehen. Bis dahin verharrt die Praxis jedoch in der Symptombekämpfung. | |
Die Grundidee des Yogas, so Eisenmann, sei es, einen spirituellen Weg zu | |
bereiten, um den Geist zur Ruhe zu bringen, „stillzulegen“. | |
Man könnte sagen: Ein bisschen innerer Friede, das täte doch allen gut! | |
Aber: Etwa neun Prozent der Frauen in Deutschland machen Yoga – und nur ein | |
Prozent der Männer. Während Frauen sich mit meditativer Praxis | |
ruhigstellen, ermutigen wir Männer, weiterhin zu siegen, zu treten, zu | |
foulen. Yoga führt die Frau in ihr Inneres – und zugleich tiefer ins | |
Patriarchat: zurück ins Gefühl, ins Private. | |
Passend dazu wirbt Lululemon, ein kanadischer Händler für Yogabekleidung, | |
mit dem Slogan „Sweat often, smile always“. Dabei hat es der feministische | |
Appell „Stop telling women to smile“ inzwischen sogar auf T-Shirts | |
geschafft. Denn wer ungefragt zum Lächeln auffordert, erwartet von Frauen, | |
immer nett und glücklich zu sein. Yoga ist der Typ, der uns auf der Straße | |
sagt: „Lach doch mal!“ Die Forderung aber müsste sein: Männer auf die | |
Matten, Frauen in den Ring! | |
24 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jolinde Hüchtker | |
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