Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Erste Absolvent*innen in Queer History: Influencer gegen Heteronorm…
> Am Goldsmiths College in London gibt es den weltweit einzigen Studiengang
> zur Queer History. Die ersten Abschlüsse wurden nun gefeiert.
Bild: Kommen in der Geschichtswissenschaft bisher kaum vor: nichtheteronormativ…
London taz | Noch eine Stunde vor der ersehnten Zeremonie spricht Khalil
West mit seinem Professor über ein, besser: das nächste Projekt. Eine
Promotion, eine akademische Arbeit, die ihm den Doktortitel einbrächte. Der
37-jährige Künstler aus Manchester wird schließlich doch nervös. Sakko
anziehen, den Schlips binden, einen Freund begrüßen, der eigens für ihn aus
Nordengland zu diesem festlichen Anlass angereist ist. Und was für einer.
Am Goldsmiths, 1904 gegründet, wird der schwarze Student seinen Master of
Arts überreicht bekommen, er wird bestanden haben.
Was ihn, wie sechs andere, zu einem besonderen Fall macht: dass er zum
ersten Jahrgang der Masters in Queer History zählt. An dem auf Künste,
Sozial- und Medienwissenschaften spezialisierten Teil der Universität von
London hat Khalil West seinen zweiten akademischen Abschluss versucht – und
bestanden. Queer History – „das hat mich interessiert, das ist ein
Wissensfeld, das mich mit meinem Leben verbindet“. Am Goldsmiths
abgeschlossen zu haben, bringt ihm natürlich Renommee ein, an diesem Haus
haben auch die Modeschöpferin Mary Quant, die Künstler Damien Hirst und
Steve McQueen und die Musiker Linton Kwesi Johnson und John Cale ihre
Examen abgelegt.
Das Fach „Queer History“ ist neu, die Stellen sind erst seit jüngerer Zeit
besetzt. Eine davon wird obendrein zur Hälfte vom Deutschen Akademischen
Austauschdienst bezahlt: Benno Gammerl, ein Bayer, der sich voriges Jahr
als Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung an der FU
Berlin mit einer Arbeit über die Gefühls- (und Liebes-)welten schwuler
Männer und lesbischer Frauen in den sechziger bis achtziger Jahren
habilitiert hat, unterrichtet Queer History am Goldsmiths College.
Queer History als eigener MA-Studiengang ist weltweit aktuell einzigartig.
Es gibt an verschiedenen Universitäten Kurse in Queer Studies, meist
eingebettet in die Literaturwissenschaften. Im Fach Geschichte, zumal mit
der Chance auf ein Masterexamen, ist diese Fokussierung auf das Queere
singulär. Benno Gammerl scheint selbst darüber zu staunen, den ersten
Jahrgang mit über die Bühne zu bringen.
Und erläutert: „Queer History ist Geschichte, die sich mit sexueller und
geschlechtlicher Vielfalt beschäftigt. Einige unserer Studierenden arbeiten
freilich auch zu Filmen, da ergeben sich dann Überschneidungen. Aber der
Fokus auf [1][LGBT] ist es, was unseren Studiengang auszeichnet. Und die
historische Ausrichtung. Denn Queer Studies, Queer Theory und
literaturwisenschaftlich angehauchte Theoriestudiengänge gibt es schon
einige im queeren Feld. Aber wir legen Wert auf die historisch-empirische
Arbeit mit Quellen.“
## Besonders schwieriges Unterfangen
Quellen – für Historiker*innen sind sie die Referenzmaterialien ihres
ganzen Tuns, die Fundstücke, ohne die es nicht geht: Theorieproduktion –
anregend, ohne Empirie unspannend. In Akten und Archiven suchen und
gegebenenfalls finden, Quellen sortieren und in einen geschichtlichen
Kontext stellen. Das ist allerdings in jenem Feld, das sich der Geschichte
von schwulen Männern, lesbischen Frauen, Trans*- und Interpersonen widmet,
ein besonders schwieriges Unterfangen.
Historische Wissenschaften sind extra hartnäckig in der
Nichtzurkenntnisnahme nichtheteronormativer Biografien: von Blindheit
geschlagen, oft aus Desinteresse. Prinzipiell ließen sich
nichtheteronormative Ansätzen in die klassische Geschichtswissenschaft
integrieren – aber diese Mühen waren bislang durchweg vergebens.
Bei Benno Gammerl hört sich das so an, nämlich sehr vernünftig: „Im Prinzip
arbeiten wir mit den gängigen Ansätzen und Methoden der
Geschichtswissenschaft. Oral History ist bei uns vielleicht prominenter als
anderswo. Zeitlich liegt der Fokus auf dem 19. und 20. Jahrhundert,
geografisch ist der Rahmen praktisch global. Die Themen in der Lehre und
den Arbeiten der Studierenden reichen von Kriminalisierung und
Entkriminalisierung über Repräsentation von LGBT-Personen in den Medien,
Fragen von Stadt und Land, Forschung zu sozialen Bewegungen, postkolonialen
Identitätspolitiken und Aids-Aktivismen“ und, und, und … das Feld ist reich
zu beackern.
Müßig anzufügen, dass, so Gammerl, auch „Konzepte aus der Queer Theory wie
Homonationalism, Homonormativity, Queer temporalities etc.
selbstverständlich auch diskutiert werden“. Durchaus strittige Konzepte,
möchte man anfügen, solche, die es erfahrungsgemäß darauf absehen, die
Fortschritte im Hinblick auf queere Bürgerrechte wie der Ehe für alle als
eigentlich nebensächlich zu entwerten – weil als allzu „bürgerlich“
empfunden, gerade bei den avancierten Tonangeber*innen der Queer Theory.
Gleichwohl spricht Gammerl einen zentralen Punkt der historischen Methodik
an: den der „Oral History“, der mündlichen Überlieferung, der per Intervi…
gegebenen Auskunft. Denn offizielle Quellen zu dem, wie die von den
bürgerlichen Gesellschaften einst aussätzig gemachten Menschen lebten, wie
sie dachten, welchen Begriff von (guter) Zukunft sie hatten, gibt es nicht
– gespiegelt werden schwule Männer beispielsweise meist nur in Polizei- und
Justizakten: als Opfer von Kriminalisierung die schwulen Männer, als
Leidtragende in Kindersorgerechtsfällen lesbische Frauen, als Objekte
medizinischer Verstümmelung.
## Zwischen Kriminalisierung und Stigmatisierung
Khalil West, seit Langem in England lebend, gebürtiger US-Amerikaner,
forschte in seiner Abschlussarbeit zum Nachtleben der afroamerikanischen
LGBT-Community in Newark, New Jersey – Szeneleben zwischen Kriminalisierung
und Stigmatisierung – und konnte eine Reihe der damalig Betroffenen
interviewen. Ob er die Mühe des einjährigen Studiums – aus der
Berufstätigkeit heraus – realisiert, als er in der Aula des Goldsmiths,
gekleidet in einer festlichen Studierendenrobe, zur Bühne gebeten wird, um
die Urkunde für ein bestandenes Studium entgegenzunehmen und Dinah Caine
vom Uni-Konzil die Hand zu geben, ist natürlich offen.
Patrick Loughrey, der Chef von Goldsmiths, sagte in seiner Eröffnungsrede
für die 300 Absolvent*innen verschiedener Fachrichtungen, allesamt hätten
sie die Hochschule bereichert und Spuren hinterlassen. Alles klang wie
Schmuckrhetorik, aber es schien, als würde auch Khalil West, der erste
sichtbare Erfolgsrepräsentant der Queer Historians in London, ein wenig
lächeln: Behände, mit wehendem Textil, schreitet er die Bühne des Saales
ab, von Beifall umbrandet.
Das Lächeln so vieler Studierender bei dieser Zeremonie könnte natürlich
auch mit dem Gefühl zu tun haben, dass es sich gelohnt haben muss: Ein
Studium kostet, auch das der Queer History – selbst die Teilnahme an der
Feierlichkeit kostet für die mitgebrachten Angehörigen, nicht nur Pennys.
Ob sich das beruflich lohnt, stellt sich als Frage in einem Land, das
Studiengebühren teils in großer Höhe kennt, dringlicher als in Deutschland,
wo eine akademische Ausbildung ohne die Last von aufgehäuften Schulden in
sechsstelliger Höhe bewältigt werden kann.
## Queere Kaderschmiede
Ein*e Queer Historian – der erste Jahrgang bestand aus vier Männern und
drei Frauen – kann, so Benno Gammerl, im „Queer Public History“-Sektor
arbeiten. Das heißt: „Arbeit im queer memory sector, im Museum oder
ähnlichen Einrichtungen. Viele erinnerungskulturelle Institutionen
versuchen gerade, sexuelle Vielfalt in ihre Arbeit zu integrieren, insofern
gibt es da einen Bedarf. Dann können unsere Absolvent*innen natürlich auch
in die Forschung gehen. Oder sie können im Kulturmanagement arbeiten
(Filmfestivals etc.), überall da, wo Kompetenz zu den Themen sexuelle und
geschlechtliche Vielfalt gefragt ist.“
Man könnte sagen: Der Public-History-Studiengang des Queeren macht aus
stark Interessierten queere Kader – solche, die in Institutionen
multiplikatorisch arbeiten: als Influencer gegen die Heteronormativität.
Am Goldsmiths ist damit ein Anfang gemacht, demnächst werden in einem Haus
in der Goldsmiths-Nachbarschaft, 35 Laurie Grove, die Räume der Queer
History untergebracht – eine Aufwertung. Ob es an deutschen Universitäten
einen ähnlichen Impuls geben wird, ist offen: Der Zeitgeist spricht dafür.
16 Jan 2019
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-LGBTQIA/!t5025674
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Queer
Schwerpunkt LGBTQIA
Neu im Kino
Yoga
Schwules Museum
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
tazlab 2012: „Das gute Leben“
## ARTIKEL ZUM THEMA
Dokumentarfilm aus Italien: Normalität ist absurd
Welche Standards gelten in der heteronormativen Gesellschaft? Das
untersucht die Filmemacherin Adele Tulli in ihrem Dokumentarfilm „Normal“.
Kommentar Selbstoptimierung: Yoga macht unpolitisch
Gegen Nazis im Parlament oder eine Rente von 300 Euro hilft kein Mantra,
meint unsere Autorin. Yoga ist reine Symptombekämpfung.
Forscherin über lesbische Geschichte: „Das ist kein Generationending“
Das Schwule Museum befasst sich mit der Geschichte der Lesbenbewegung am
Beispiel des Lesbischen Aktionszentrums. Lara Ledwa hat dazu geforscht.
Gender als Lifestyle: Wie queer ist der Hipster?
Er gibt sich postphallisch. Doch die Inszenierung seiner Männlichkeit ist
nur scheinbar zurückhaltend: Sein Bart steht für „natürliche“ Maskulinit…
Forscher über Queer-Studies: Entkrampft forschen
Die neu gegründete Bundesstiftung Magnus Hirschfeld arbeitet die Geschichte
der Homosexualität auf. Andreas Kraß über Queerstudies an der Universität.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.