| # taz.de -- Kolumne Air de Paris: Flirt droht am Gendern zu scheitern | |
| > Sibylle Lewitscharoff wettert gegen „Gender-Unfug“. Aber die | |
| > altehrwürdige Académie française erlaubt nun weibliche | |
| > Berufsbezeichnungen. | |
| Bild: Trotz vieler Männer hat die Académie française nun weibliche Berufsbez… | |
| Vielleicht erinnern Sie sich, liebe Leserin, lieber Leser, an den offenen | |
| Brief, den im Januar 2018 ein Kollektiv von hundert Frauen in der | |
| französischen Tageszeitung Le Monde veröffentlichte. Unterzeichnerinnen | |
| waren damals unter anderem Catherine Millet und Catherine Deneuve, um hier | |
| nur mal die bekanntesten unter ihnen zu nennen. Der Titel des Aufrufs | |
| lautete, schön reißerisch, gewollt politisch unkorrekt: „Wir verteidigen | |
| das für die sexuelle Freiheit wesentliche Recht zu belästigen.“ | |
| Er verstand sich als Reaktion auf die damals gerade losgerollte erste | |
| #MeToo-Welle und die französische Version #balancetonporc, in denen die | |
| Damen einen übertriebenen Männerhass, ja gar Hetzjagden zu erkennen | |
| glaubten. Sich in der Gesellschaft frei bewegen zu können, ohne angegraben | |
| oder angefasst zu werden, das fanden die Damen, ich überspitze hier ein | |
| wenig, recht unerotisch. | |
| Das Wichtigste aber war vielleicht: der Flirt. Der arme Flirt! Diese nette | |
| Institution, der in den letzten Monaten, seit #MeToo, immer wieder ihr | |
| bitteres Ende vorausgesagt wurde, der es, soweit ich weiß, aber eigentlich | |
| ganz prima geht. | |
| ## Sibylle Lewitscharoff gegen „Gender-Unfug“ | |
| So dachte ich zumindest. Wie ich am Samstag allerdings in der | |
| Literaturbeilage der Welt also in der Literarischen Welt, las, ist er, da | |
| ist sich die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff offenbar mit ihren | |
| französischen Kolleginnen einig, weiterhin höchst gefährdet. Diesmal | |
| allerdings nicht, weil man eine Frau nicht mehr plump anmachen soll, nein: | |
| Er ist in Gefahr wegen der Sprache. Der Text war, soweit ich das verstanden | |
| habe, als eine Art Erklärung für ihre Unterschrift für die Petition des | |
| „Verein Deutsche Sprache“ intendiert, in der hundert Unterzeichner/innen | |
| forderten: „Schluss mit dem Gender-Unfug.“ | |
| Weil der „Gender-Unfug“ die Sprache zerstört. Oder, wenn man Lewitscharoff | |
| glauben mag, sogar das Verhältnis zwischen Mann und Frau: „Die | |
| Möglichkeiten des Flirts, die sich nicht allein durch Augenkontakt, sondern | |
| auch durch verführende Worte ausloten lassen, werden verkompliziert. | |
| Gendergerecht flirten zu sollen, das haut nun mal nicht hin, Eros hat seine | |
| Launen und Abgründe.“ | |
| Sie beobachtet in diesem Text dann auch noch, dass die Männer durch diese | |
| Sprachwandlungen, das sogenannte Gendern, vollkommen verwirrt sind, gar | |
| nicht mehr wissen, wie sie eine Frau anzusprechen haben (weil | |
| offensichtlich klar ist, dass so ein Flirt immer vom Mann auszugehen hat), | |
| und zu sexuellen Annäherungen somit kaum noch fähig sind. Junge Männer in | |
| Berlin wirken deshalb „schlapp und feige“, was die Frauen, klar, | |
| „unglücklich und neurotisch“ werden lässt. | |
| ## Sprache schafft Realität – aber das braucht Zeit | |
| Catherine Millet und ihre Freundinnen hätten es nicht besser sagen können. | |
| Ob sie aber der Sprache eine so unmittelbare Macht zusprächen? Natürlich | |
| schafft Sprache Realität, nur braucht die Veränderung des einen durch das | |
| andere doch Zeit. Wäre das Gegenteil der Fall, wie Lewitscharoff offenbar | |
| denkt, wäre also der Effekt von Sprachwandlungen direkt in der Gesellschaft | |
| nachvollziehbar, müsste man die gendergerechte Sprache mit Jubelrufen | |
| empfangen, da sie dann ja eine reale – und nicht „nur“ eine komplizierte | |
| sprachliche – Gleichstellung von Mann und Frau bedeuten würde. | |
| Mir scheint das unwahrscheinlich. Und so geht es wohl auch der Académie | |
| française. Diese alteingesessene, der strengsten französischen Tradition | |
| der schönen Worte und des guten Denkens verschriebene Institution, die in | |
| der gendergerechten Sprache bisher eine „tödliche Gefahr“ für die Sprache | |
| sah, hat sich kürzlich doch tatsächlich mit ein bisschen Gendern | |
| angefreundet und vor knapp zwei Wochen, am 28. Februar, die Feminisierung | |
| der Berufe durchgewinkt. | |
| Ab sofort gilt auch für die strengen „Académiciens“, dass eine Frau sich, | |
| wenn sie es denn möchte, „écrivaine“ statt wie bisher maskulin „écriva… | |
| nennen kann, ohne deswegen schlechter Sprache bezichtigt zu werden. Ob das | |
| ihr Flirt-Verhalten verändern oder gar die armen Männer verunsichern wird, | |
| wurde meines Wissens nicht diskutiert. | |
| 16 Mar 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Hirsch | |
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