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# taz.de -- Frauen in Corona-Krise: Zurück auf ihrem Platz im Heim
> Die „Freuden“ des Putzens bleiben ausnahmslos an Frauen hängen – das
> sieht ein aktueller Werbespot wohl richtig.
Bild: Wenn die Putzfrau in Corona-Zeiten ausfällt, muss meist die Frau ran an …
Seit einigen Wochen läuft im französischen Fernsehen eine Werbung, in der
es heißt: „Für all jene, die die Freuden des Putzens und des
Kinder-zu-Hause-Betreuens für sich wiederentdeckt haben.“ Man sieht eine
Hand, die einen Staubsaugerstab vor sich her schiebt, im Hintergrund hört
man Kinderlachen. Ich habe ein paar Tage gebraucht, um zu begreifen, worum
es überhaupt geht, nämlich um Haushaltshilfen, und noch mal eine Weile, um
zu verstehen, wie die Sache gemeint ist: Ironisch? Oder gar ernst?
Das „jene“ ist hier im Französischen nicht neutral oder männlich, sondern
weiblich, und auch wenn es natürlich ironisch gemeint ist, bleibt doch
etwas an dieser Werbung befremdlich: Sie geht ganz automatisch davon aus,
dass während dieser Krise, in den vergangenen Wochen, im Frühjahr 2020, die
„Freuden“ des Putzens, Kochens, Homeschoolings, Kinderbespaßens und so
weiter ausnahmslos an den Frauen und Müttern hängen geblieben sind. So, als
sei das zwar bedauernswert, eigentlich wirklich unmodern, aber, na ja: Ist
eben so. Naturgegeben quasi.
Und wahrscheinlich trifft diese Werbung genau. Wahrscheinlich ist das noch
immer so. Ich selbst habe zwar keine Kinder, in den vergangenen Wochen aber
trotzdem festgestellt, was ich insgeheim schon wusste, nämlich dass mein
Mann lieber zwei Monate im Dreck auf die Rückkehr der Putzfrau gewartet
hätte, als unaufgefordert so einen Staubsauger zu betätigen.
Die Ökonomie der unterbezahlten Frauen, die putzen, kochen, auf Kinder
aufpassen, um anderen Frauen zu ermöglichen, einem Job nachzugehen, in dem
sie noch immer schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen, ist
durch die Ausgangssperre zusammengebrochen, und plötzlich stellen wir (im
Grunde wenig überrascht) fest: So toll funktioniert das mit der
Gleichberechtigung doch noch nicht. Um nicht zu sagen: Im privaten Rahmen
überhaupt nicht.
## 70 Prozent der Hausarbeit machen Frauen
Rund 70 Prozent der Hausarbeit wird von Frauen erledigt, oder eben von
Frauen, die es für die erwähnten Frauen tun. Wenn das nicht mehr möglich
ist, bricht alles zusammen, weil die meisten Männer, Väter, Ehepartner eben
nicht automatisch ihre kleinen Finger rühren – oder zumindest nicht, bevor
sie nicht ihren eigenen Kram erledigt haben. Im Gegensatz zu den Frauen.
So berichtete das Onlinemagazin The Lily vor Kurzem, die Einreichungen
wissenschaftlicher Essays sei vonseiten der Frauen dramatisch
zurückgegangen, während die Männer offenbar mehr schreiben denn je. Man
braucht keine Virginia Woolf, um zu wissen, woher das kommt: kein Platz,
kein Raum, keine Zeit – kein Schreiben.
Vor ein paar Wochen erklärte die ehemalige französische Justizministerin
Christiane Taubira in einem Radiointerview, dieser – mit Emmanuel Macron
gesprochen – „Krieg“ sei einer, der hauptsächlich von Frauen geführt we…
Von all den Krankenschwestern, Arztgehilfinnen, Kassiererinnen und so
weiter, die täglich an vorderster Front stehen.
Sie hat recht, nur wirft dieser „Krieg“, diese Krise die Frauen auch,
anders als die meisten Kriege und Krisen zuvor, auf Funktionen und Plätze
zurück, auf die man sie jahrhundertelang reduzierte: das Sorgen um das
Haus. Der Philosoph und Aktivist Paul B. Preciado schrieb letztens in
Libération, wir hätten vor der Coronakrise kurz vor einer feministischen
Revolution gestanden, der Virus habe nun alles unterbrochen.
## Was heißt das für die Zukunft?
Wenn man bedenkt, dass die meisten Kriege und Krisen in Sachen Feminismus
bisher immer zu einem Fort- oder einem Rückschritt, selten zu einem
Stillstand geführt haben, kann man sich jetzt fragen, was das alles für
unsere Zukunft heißt.
Die Ausgangssperre ist in Frankreich zwar seit gestern aufgehoben, aber das
Social Distancing, die geschlossenen Cafés, Restaurants, Bars, für viele
das Homeschooling und Fernarbeiten, das Mehr-zu-Hause-Sein, der Rückzug in
die Kernfamilie, all das bleibt und wird demnächst noch durch verlorene
Jobs, weniger Geld, erniedrigte Egos und Existenzängste ergänzt.
Virginia Woolf schrieb vor knapp neunzig Jahren, man müsse, um etwas zu
schaffen, den „Engel des Hauses“ töten. Es scheint: Der Engel ist zurück.
14 May 2020
## AUTOREN
Annabelle Hirsch
## TAGS
Frauen
Gleichberechtigung
Hausarbeit
Air de Paris
Air de Paris
Mord
Gender
Kosmetik
Catherine Millet
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