# taz.de -- Kochbuch von Autor Alexandre Dumas: Foodie im 19. Jahrhundert | |
> Der Schriftsteller Alexandre Dumas war genusssüchtig und kochbegeistert. | |
> Sein „Wörterbuch der Kochkunst“ gibt Einblick in die Küche von 1870. | |
Bild: Dieser Stich aus dem Jahr 1905 zeigt Alexandre Dumas bei der Zubereitung … | |
Als auf dem Höhepunkt der Corona-Selbstisolation in vielen Supermärkten die | |
Hefe knapp wurde, hätte Alexandre Dumas helfen können. Das Wissen darum, | |
„wie man mit Kartoffeln Hefe zubereitet“, hätte all denen, [1][die sich nun | |
aus Langeweile dem Backen widmeten], aus der Patsche geholfen. Und das ist | |
nur einer von etlichen Zubereitungstipps in „Das große Wörterbuch der | |
Kochkunst“. | |
Alexandre Dumas der Ältere, bekannt für „Die drei Musketiere“ und „Der | |
„Graf von Monte Christo“, hatte das Manuskript für dieses Werk kurz vor | |
seinem Tod im Jahr 1870 abgegeben, Vertraute von ihm überarbeiteten es. | |
Aufgebaut hat Dumas es wie eine Art kulinarisches Lexikon, voll mit | |
Rezepten, Anekdoten, seinen Meinungen und eindringlichen Anweisungen wie | |
„Geben Sie, bei Gott, niemals Essiggurken in ein Kalbsleberragout.“ | |
Dumas war Genießer, er pflegte einen luxuriösen Lebensstil, den er auch bei | |
zwischenzeitlichen Geldnöten nicht aufgab. Um besser nicht in Geldnot zu | |
geraten, schrieb er in irrem Tempo einen Text nach dem anderen: | |
[2][Abenteuerromane], Theaterstücke, Reiseberichte, ein gewaltiges Œuvre. | |
Seinem kulinarischen Werk widmete er sich in den letzten beiden Jahren | |
seines Lebens, die er im bretonischen Küstenörtchen Roscoff verbrachte. | |
Kochprojekte zum Ausprobieren bietet das „Wörterbuch“ zur Genüge – | |
zumindest für Leute, die gern improvisieren und wenig Angst vorm Scheitern | |
haben. Wer nämlich kochen will wie ein korpulenter Erfolgsschriftsteller | |
vor mehr als 150 Jahren, hat gar keine andere Wahl. Temperaturen? | |
Kochzeiten? Wie sollte Dumas das so genau wissen. Wie viele Menschen die | |
Rezepte etwa sattmachen? Unklar. | |
## Ohne Unterhitze, Oberhitze, Grillfunktion | |
Nur wenn Dumas vorschlägt, einen riesigen Kalbsbraten vom Nier- bis zum | |
Schlussstück vorzubereiten, gibt er zu bedenken: „Man braucht allerdings | |
eine ganze Menge Gäste, um das Stück richtig zu genießen, denn ein schöner | |
Braten dieser Art wiegt kaum weniger als 12 bis 15 Pfund.“ | |
So ist das „Wörterbuch“ ein kleiner Einblick in die Küche der Wohlhabenden | |
und in die Kochpraxis des 19. Jahrhunderts. Ohne Unterhitze, Oberhitze, | |
Grillfunktion, dafür mit der „roten Schaufel“ – laut Glossar ein | |
langstieliges Eisen, das rotglühend erhitzt und dann etwa zum Bräunen der | |
Delikatessen genutzt wurde. Die Rezepte sind reichhaltig, oft ein | |
überbordendes Schwelgen in Tierischem, gern auch verschiedener Arten. | |
Ein Beispiel: Für die zu Dumas’ Zeiten „moderne französische 'oille’“ | |
gepriesen als „ein exzellentes Suppengericht, dessen Üppigkeit nicht | |
erschreckt und durchaus bezahlbar ist“, bräuchte man einen Kapaun, zwei | |
Filets von „Schafen, die auf Weiden voller Anis gehalten wurden“, zwei | |
Rebhühner und zwei Cervelatwürste. | |
## Acht Eigelb für zwölf Aprikosen | |
Dabei aß der vermögende Mensch im 19. Jahrhundert eines offenbar besonders | |
gern: Eier, viele Eier. Oft werden zumindest einige Dotter benötigt. Das | |
Rezept für Aprikosencreme etwa besteht zwar nur aus wenigen Zutaten, weder | |
Butter noch Sahne – dafür kommen aber ganze acht Eigelb auf zwölf Früchte. | |
Ein Rezept für pochierte Eier, das Dumas aus einer Küchenenzyklopädie des | |
19. Jahrhunderts zitiert, war allerdings selbst ihm zu dekadent. Als Zutat | |
wird nämlich der Fleischsaft von einem Dutzend am Spieß gebratenen Enten | |
benötigt. „Zwölf Enten für fünfzehn Eier! Was sagen Sie dazu?“, schreibt | |
er. Beim Lesen des „Wörterbuchs“ der Kochkunst überkommt einen aber auch | |
die Erkenntnis: Alles kommt immer wieder. | |
So machte der Extremfrittierer Abel Gonzales 2008 auf der State Fair in | |
Texas mit seiner Erfindung „Deep Fried Butter“ Furore – in Teig getunkten, | |
dann in Öl ausgebackenen Butterstücken. Und bei Dumas? Dort finden wir ein | |
Rezept für „Gebratene Butter aus dem Département Landes“: Eine | |
Butterkugel wird dabei erst in drei verquirlten Eiern gerollt, dann mit | |
Weißbrotbröseln paniert, bis die Eimasse verbraucht ist, und schließlich, | |
von mehreren solcher Schichten umhüllt, knusprig gebraten. | |
Nein, es ist kein arterienfreundliches Kochen. Aber die Lektüre zeigt auch | |
das Gesundheitsverständnis von Dumas, zum Beispiel, wenn dieser Erklärungen | |
gibt, die sich an die Galen’sche Körpersaftlehre anlehnen: Zu alter Käse | |
etwa erhitze durch seine Schärfe den Körper, er „erzeugt schlechte Säfte, | |
stinkt und macht den Magen träge“. | |
## Punsch und Karpfenfischer | |
Über Punsch dagegen hat Dumas Gutes zu sagen: Er bringe den von Kälte, | |
Regen, Müdigkeit geplagten Kreislauf wieder in Gang, und „man kann mehrere | |
Gläser davon trinken, ohne Schaden zu nehmen“. Den Punsch-Eintrag schmückt | |
Dumas im „Wörterbuch“ auch mit einer seiner vielen Anekdoten aus – von | |
einer denkwürdigen Party aus dem Jahr 1694. | |
Damals hatte der Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte bei einem | |
Zusammensein gleich einen ganzen See aus dem Gesöff angelegt: „Man hatte | |
aus Rosenholz ein kleines Boot bauen lassen, auf dem ein elegant | |
gekleideter Schiffsjunge, der der englischen Flotte angehörte, auf dem | |
Punsch hin und her fuhr, um den Gästen diesen zu kredenzen.“ | |
Allein für die Geschichten, die Dumas von seinen Reisen erzählt, lohnt sich | |
die Lektüre – etwa von Karpfenfängen in Poti im heutigen Georgien („Eine | |
seiner Schuppen reichte aus, um eine Fünf-Francs-Münze ganz zu bedecken.“). | |
Oder von seiner Methode, unterwegs immer über ausreichend frische Butter zu | |
verfügen (am Reisetag Milch in eine Flasche füllen, an den Pferdehals | |
hängen und losreiten: „Wenn ich abends ankam, zerbrach ich den Flaschenhals | |
und fand ein faustgroßes Stück Butter vor, das sich selbst erzeugt | |
hatte.“). | |
Vor allem aber ist „Das Große Wörterbuch der Kochkunst“ eine Einladung zum | |
Experimentieren. Obwohl es mit der Hefeherstellung aus Kartoffeln letztlich | |
wohl doch nicht so einfach gewesen wäre: Wer hat schon die dafür benötigten | |
„zwei Unzen Zuckerrübenmelasse“ zu Hause im Schrank? | |
24 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Eva Oer | |
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