| # taz.de -- Klimadebatte und Emotionalität: Von wegen hysterisch | |
| > Der Klimabewegung wird vorgeworfen, zu emotional zu argumentieren. Dabei | |
| > helfen Gefühle gerade dabei, die Realität der Klimakrise zu begreifen. | |
| Bild: Fridays for Future ist auch während Corona auf die Straßen gegangen und… | |
| Nur mit Unwissen lässt es sich erklären, wenn, wie kürzlich in der FAZ, die | |
| [1][Klimadebatte] als „zu emotional“ kritisiert wird. 79 Prozent der | |
| Beiträge zum Klimawandel in den sozialen Medien zeigen eine ängstliche | |
| Haltung, wundert sich der Wirtschaftsredakteur. Und das, obwohl es doch | |
| durchaus „wirksame Maßnahmen“ gäbe, wie etwa „Thermostate, mit denen die | |
| Raumtemperatur reguliert werden kann, oder eine nachhaltige Geldanlage“. In | |
| diesem Beitrag spiegelt sich ein verbreitetes Phänomen wider: dass manche | |
| Mitmenschen sich über Klimaangst irritiert zeigen und gleichzeitig auf der | |
| Ebene von Kleinstlösungen argumentieren – ein klarer Hinweis, dass sie die | |
| Dimensionen der Klimakrise nicht begriffen haben. | |
| Dabei ist die Klimadebatte nicht „zu emotional“, im Gegenteil: Unsere | |
| Gefühle helfen uns, die Klimakrise zu begreifen. Klimaangst, -trauer und | |
| -wut sind angemessene Reaktionen auf zutiefst deprimierende und | |
| beängstigende Realitäten. Nur wenn wir sie zulassen und anerkennen, kann | |
| die Wucht der Klimakrise zu uns durchdringen. Und nur wenn das geschieht, | |
| können wir die Kraft finden, eine Klimakatastrophe zu verhindern. | |
| Dafür gibt es auch wissenschaftliche Argumente: Schon länger ist in den | |
| Kognitionswissenschaften klar, dass Gefühle unseren Verstand nicht | |
| automatisch vernebeln. Im Gegenteil: Emotionen erlauben uns überhaupt erst, | |
| reale Bedrohungen zu verstehen und angemessen auf sie zu reagieren. | |
| Menschen mit Hirnschäden, die ihre Gefühle nicht mehr als Kompass | |
| heranziehen können, treffen entweder schlechte Entscheidungen oder gar | |
| keine. | |
| Eine gefühlsgeladene Klimadebatte bedeutet, dass zunehmend mehr Menschen | |
| verstanden haben: Die ökologische Katastrophe ist nichts Abstraktes, | |
| sondern wird in den nächsten Jahrzehnten massive Auswirkungen auf unsere | |
| eigenen Lebenspläne haben. Diese Erkenntnis ist wichtig, um zum Handeln zu | |
| kommen. Mit Die-ins, Trauerzügen und emotionalen Reden bieten die | |
| Klimabewegung(en) einen Resonanzraum für solche Klimagefühle – und werden | |
| dafür häufig medial als hysterisch, überemotional, irrational und | |
| realitätsfremd diffamiert. Die Angriffe, die auf [2][Greta Thunbergs] | |
| emotionale „How dare you“-Rede folgten, dürften noch in guter Erinnerung | |
| sein. | |
| Warum wird Klimagefühlen oft kritisch begegnet? Warum werden Trauer, Wut | |
| und Angst diskreditiert, oft mithilfe einer fundamentalen Gefühlsskepsis? | |
| Die Abwertung von emotionalem Begreifen ist nicht neu, sie wurzelt in der | |
| westlichen Denktradition, für die Gefühle und Vernunft lange als Gegensätze | |
| galten. Es war jene Denktradition, die in der Geschichte oft blind machte: | |
| Sei es für die Gefahren von emotionaler Kälte, die unser Gegenüber | |
| entmenschlicht, oder dafür, Ausbeutung und Zerstörung zu rationalisieren | |
| und zu verdrängen. | |
| Es ist dieselbe Denktradition, die Frauen als „emotionale Wesen“ | |
| klassifizierte und ihnen über Jahrhunderte den Zugang zur politischen | |
| Debatte verwehrte. Aber unsere Gesellschaft hat sich weiterentwickelt: | |
| Ebenso wie der Ausschluss weiblicher Stimmen ist das Entgegensetzen von | |
| Gefühlen und Verstand zwar noch nicht überwunden, stößt aber doch zunehmend | |
| auf Kritik. | |
| Anders verhält es sich mit der Gefühlsskepsis, die sich aus Argwohn | |
| gegenüber „gefühltem Wissen“ speist. Denn dieser Argwohn ist berechtigt: | |
| Vorurteilsbasierte Ängste und Ressentiments können gruppenbezogene | |
| Menschenfeindlichkeit nähren. Unreflektierte Intuitionen verfestigen in | |
| unserer rassistischen und sexistischen Gesellschaft eben genau diesen | |
| Rassismus und Sexismus, wenn wir ihnen nicht entgegenwirken. | |
| Beispielsweise konnte in der Sozialpsychologie mithilfe des impliziten | |
| Assoziationstests gezeigt werden, dass unsere eigenen Stereotype uns häufig | |
| nicht bewusst sind, sich jedoch trotzdem auf unser Verhalten auswirken. | |
| ## Gefühle auf ihre Realitätsbasis prüfen | |
| Nur wenn wir herausfinden, welche unbewussten Stereotype wir haben, können | |
| wir lernen, unseren emotionalen Reaktionen in bestimmten Situationen zu | |
| misstrauen. Und die Versuchung, gefühlsbegründete „alternative Fakten“ | |
| einer unschmeichelhaften oder verunsichernden Realität vorzuziehen, kann | |
| von Demagogen überall auf der Welt für die eigene politische Agenda | |
| ausgenutzt werden. | |
| Ein Blick in die Vereinigten Staaten reicht, um zu verstehen, wie | |
| gefährlich solch ein Missbrauch von Gefühlen für unsere Demokratie werden | |
| kann. Solche Phänomene beflügeln berechtigterweise den Argwohn gegenüber | |
| Gefühlen im politischen Raum. | |
| Nun kann es aber nicht die Lösung sein, die Möglichkeiten des emotionalen | |
| Verstehens im Ganzen abzuwerten. Stattdessen sollte es darum gehen, | |
| entstehende Gefühle fortwährend zu reflektieren und auf ihre Realitätsbasis | |
| zu prüfen: Eine starke emotionale Reaktion auf die eklatante Trantütigkeit | |
| unserer [3][Klimapolitik] (und die damit in Kauf genommenen Klimafolgen) | |
| ist dabei alles andere als blinde Gefühlsduselei. Sie ist mehr als | |
| angebracht. | |
| ## Nicht länger „kalte“ wissenschaftliche Fakten | |
| Die Klimabewegung reagiert nicht überemotional – sie hat es vielmehr | |
| geschafft, affektiv zu erfassen, was „kalte“ wissenschaftliche Fakten über | |
| den ökologischen Kollaps bedeuten. Was es bedeutet, wenn wir das Pariser | |
| Abkommen verfehlen: Hundertmillionen- bis milliardenfaches persönliches, | |
| menschliches Leid. | |
| Eine ungeheure Potenzierung aller Krisen, aller Ungerechtigkeiten und | |
| aller Ausbeutungsverhältnisse, die sowieso schon existieren und für die wir | |
| mit unserer fossilen Emissionsvergangenheit maßgeblich mitverantwortlich | |
| sind. | |
| Emotionales Verständnis ist keine Schwäche. Sondern ein Fortschritt, den | |
| wir verteidigen sollten, wenn im öffentlichen Diskurs Klimagefühle | |
| diskreditiert und im selben Atemzug eine zerstörerische Politik als | |
| „vernünftig“ dargestellt wird. | |
| 8 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rebecca Fleischmann | |
| Judith Pape | |
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