# taz.de -- Kino International wird ab Mai saniert: „Das Kino ist ein lebende… | |
> 60 Jahre hat das Kino International auf dem Buckel. Ab Mai wird es | |
> saniert. Seinen Charakter soll es nicht verlieren – aber die Technik wird | |
> besser. | |
Bild: Das Kino International sieht heute noch fast genauso aus wie in den 60er … | |
taz: Herr Horch, im Mai, also nach der Berlinale – das [1][Kino | |
International] ist ja traditionell [2][Berlinale-Spielstätte] –, geht es | |
los mit der Grundsanierung des vor 60 Jahren eröffneten Gebäudes. Zwei | |
Jahre bleibt das Haus deswegen geschlossen. Ist das Kino in so schlechtem | |
Zustand? | |
Thore Horch: Das Haus ist eigentlich in einem sehr guten Erhaltungszustand. | |
Und es ist eins der wenigen Häuser hier in der Karl-Marx-Allee, das noch | |
für den ursprünglichen Zweck genutzt wird. Man muss sich nur die | |
umstehenden Pavillons anschauen, die entweder eine gänzlich andere Nutzung | |
haben oder zumindest andere Einzelhandelsangebote. | |
Wenn der Zustand so gut ist, warum muss dann zwei Jahre an dem Haus | |
gearbeitet werden? | |
Der gute Zustand betrifft vor allem die Oberflächen, die fast alle im | |
Original erhalten sind, plus einer gewissen Patina. Das Problem ist, dass | |
auch hinter den Oberflächen alles im Originalzustand ist. Und | |
Gebäudetechnik aus den 60er Jahren ist leider nicht so zeitlos wie | |
furniertes Holz. Quasi die gesamten technischen Anlagen sind veraltet und | |
müssen ausgetauscht werden. Das ist unser Hauptanliegen mit der Sanierung. | |
Gehört das Kino eigentlich alleine der Yorck-Gruppe? | |
Die [3][Yorck-Gruppe] hat relativ schnell nach dem Mauerfall begonnen, das | |
Programm für das Haus zu übernehmen. Zunächst wurde es aber von einer | |
Hotelgruppe von der Treuhand gekauft. Die hatte vor, aus dem Kino ein | |
Kongresszentrum zu machen. Die Stadt wollte aber, dass das Haus als Kino | |
erhalten bleibt. Schließlich kaufte die Yorck-Gruppe Mitte der 1990er das | |
International. Es gehört uns also. Deshalb war es uns immer wichtig, den | |
Erhalt des Kinos zu sichern. Das Geld, das das Kino generierte, fließt | |
schon immer in die Pflege des Gebäudes. | |
Zum Beispiel die Außenfassade, die ja schon saniert wurde? | |
Ja, und schon vor zehn Jahren, zum 50-jährigen Jubiläum des Kinos, wurden | |
die Toiletten erneuert, nicht nur die Fliesen und die Sanitäranlagen, | |
sondern auch die Rohre dahinter, eine neue Lüftungsanlage kam vorher schon | |
herein. Schrittweise ist also schon immer etwas passiert. | |
Ursprünglich wurde das Haus ja als [4][Premierenkino der DDR] gebaut. | |
Ja, das war mutmaßlich der Hauptfokus bei der Planung. Das hieß dann: Nur | |
ein Saal für den einen großen Film – das repräsentative Premierenhaus. Eine | |
Form, die es bei neuen Kinobauten so gar nicht mehr gibt. Und viele heutige | |
Einsaalkinos waren ursprünglich Theater oder Tanzlokale und wurden dann zu | |
Kinos umgebaut – so gesehen ist das International berlinweit eine Rarität. | |
Und so wird es bis heute ja auch genutzt. | |
Wir haben immer noch viele Premieren und Sonderveranstaltungen, ja. Das | |
Haus hat einen Vorteil: Alle Gäste, die in den Saal passen – derzeit haben | |
wir 550 Plätze, es werden voraussichtlich 520 –, kriegen wir auch ins Foyer | |
hinein. Das geht in ganz vielen anderen Häusern gar nicht. Da ist das Foyer | |
eine Durchgangsfläche. Hier können alle in der Panoramabar entspannt einen | |
Sekt trinken und sich auch noch durch den Raum bewegen, bevor sie in den | |
Kinosaal hineingehen. | |
Wir steigen gerade die mit dunkelrotem Teppich ausgelegte Treppe zur | |
Panoramabar hinauf. Der kann ja sicher nicht mehr original sein. | |
Nein, bei dem Publikumsverkehr verschleißen Teppiche irgendwann. | |
Und was ist hier in der Panoramabar alles original? | |
Das Parkett ist nicht original 1963. Die Lampen auch nicht, die sind | |
irgendwann in den 1980ern angeschafft worden. Damals hat einer der | |
Kronleuchter 20.000 DDR-Mark gekostet; es sind vier. Es gibt in unseren | |
Unterlagen und in allen öffentlichen Archiven kaum Aufzeichnungen und | |
Fotos, wie die Original-Kronleuchter aus den 1960ern aussahen. Die aus den | |
1980er Jahren sind ja verspielter, kleinteiliger und filigraner als der | |
Rest des Hauses. Die ursprüngliche Designsprache ist gradliniger und | |
aufgeräumter. Trotzdem käme niemand auf die Idee, die 1963-Leuchter zu | |
rekonstruieren und wieder einzubauen. Die heutigen sind immerhin auch schon | |
rund 40 Jahre alt, also länger im Haus als die ersten, und erzählen auf | |
ihre Weise von der abwechslungsreichen Geschichte. | |
Wie eng arbeiten Sie mit dem Denkmalschutz zusammen? | |
Mit dem Landesdenkmalamt Berlin arbeiten wir seit vielen Jahren sehr eng | |
und sehr gut zusammen. Das sage ich nicht nur, weil wir Fördermittel durch | |
den Denkmalstatus bekommen. Unsere Ansprechpartner:innen bei allen | |
Institutionen, die das Haus unterstützen – die [5][Deutsche Stiftung | |
Denkmalschutz], das Landesdenkmalamt, der Senat, die Lotto-Stiftung, der | |
Bund –, alle mögen das Haus und wollen, dass es ein lebendes Denkmal | |
bleibt. Daher geht es nicht darum, alles nur 1:1 zu erhalten. | |
Haben Sie dafür ein Beispiel? | |
Am Tresen in der Panoramabar werden wir einige kleine Veränderungen | |
vornehmen, sodass das generelle Erscheinungsbild als historisches | |
Ausstattungsstück bleibt, er als funktionaler Tresen aber deutlich | |
zeitgemäßer und effizienter ist. Da sind wir sehr dankbar – auch wenn es | |
manchmal Termine gibt, bei denen es zwei Stunden lang nur um eine Handvoll | |
Steckdosen und deren Positionen geht (lacht). | |
Wie umfangreich wird die Grundsanierung sein? Zwei Jahre ist eine lange | |
Zeit. | |
Ja, leider. Unser Wunsch war, nach der Berlinale zu schließen und vor der | |
nächsten Berlinale wieder aufzumachen. Aber das haben uns die Architekten | |
relativ schnell wieder ausgeredet. Die Liste, was alles zu machen ist, | |
wurde immer länger. Die Wände kommen runter. Die gesamte Haustechnik wird | |
ausgewechselt, jedes einzelne Kabel fliegt hier raus. Wir rüsten komplett | |
auf LED-Beleuchtung um. Die Heizungsanlage im Gebäude wird erneuert, wir | |
werden wie zuvor mit Fernwärme heizen. Die Lüftung wird auf einen aktuellen | |
Stand gebracht. | |
Stichwort Fernwärme: Solarzellen sind kein Thema? | |
Da sagt der Denkmalschutz Nein. Es kommen keine Solarzellen aufs Dach. Bei | |
besonderen architektonischen Bauten soll – auch wenn man es von unten nicht | |
sieht, aber eben von den Hochhäusern ringsum – es in seiner Anmutung | |
erhalten bleiben. Und tatsächlich würde die Dachkonstruktion Aufbauten von | |
der Statik her auch gar nicht tragen können. | |
Wie wird das Kino International nach der Sanierung aussehen? | |
Das Haus wird nachher aussehen wir vorher – aber mit weniger Kratzern. | |
Nicht ohne Kratzer, denn wir schleifen nicht alles komplett weg, das ist | |
bei 60-Jahre-Kratzern gar nicht möglich. | |
Und nicht wünschenswert. | |
Genau. Wir bauen nicht um! Wir sanieren. Und wir schließen auch nicht, wir | |
pausieren. | |
Die Sorge, dass man das Kino danach nicht wieder erkennt, verstehen Sie | |
aber? | |
Mit Blick auf Berlin und speziell diese Straße, die ja komplett unter | |
Denkmalschutz steht, verstehe ich, dass es diese Sorge gibt, natürlich. | |
Aber wir sind ein Kulturunternehmen und wir lieben dieses Kino ja auch so, | |
wie es ist. | |
Noch ein Wort zu den einkalkulierten Kosten. | |
Wir reden von einem Betrag im unteren achtstelligen Bereich. | |
Mittlerweile stehen wir im Kinosaal. Die Sessel sind blau bezogen, man | |
erkennt, dass einige heller, andere dunkler sind. Warum ist das so? | |
Die Bestuhlung wurde in den 1990ern ausgetauscht, es ist eigentlich eine | |
Theaterbestuhlung und noch sehr gut erhalten. Wir lassen derzeit die Sessel | |
aufpolstern, die Stofffarbe ist theoretisch die gleiche. Nur die alten sind | |
in den 30 Jahren dunkler geworden, die neuen sind noch viel gleichmäßiger | |
in der Farbe. Der blaue Vorhang ist aus demselben Stoff, der ist also auch | |
rund 30 Jahre alt. Die oberste Reihe hat gerade Ersatzstühle, die Sessel | |
sind bei der Polsterei, sind aber zur Berlinale wieder da. | |
Und was ist mit dem tollen silbernen Vorhang? | |
Die Paillettenbahnen sind original. Zur Eröffnung 1963 war der Vorhang | |
komplett paillettig. Die Pailletten haben aber ein Gewicht, das zieht der | |
Schwerkraft folgend nach unten, innerhalb von wenigen Jahren war der | |
Vorhang so beschädigt, dass Ende der 1970er, Anfang der 80er die | |
Streifenlösung umgesetzt wurde. Die Pailettenbahnen wurden auf den | |
silbernen Stoff des durchgehenden Vorhangs aufgenäht. | |
Der Saal wird also aussehen vor vorher? | |
Der Saal wird wieder so aussehen wie vorher. Auch die geschwungene Decke, | |
eine sogenannte Rabitzdecke, bleibt natürlich so. (Rabitz ist die | |
Bezeichnung für Drahtputz, der aus einer tragenden Unterkonstruktion und | |
dem Putzmörtel besteht – Anm. d. Red.) Die wurde vor Ort so geschaffen. Die | |
hängt vom Dachstuhl runter. Das ist raumbildend. | |
Und dadurch ist die Akustik super. | |
Ja, da wurde der Raum vor 60 Jahren schon nach höchsten Standards geplant. | |
Im Saal wird man den technischen Fortschritt durch die Sanierung | |
tatsächlich bemerken. Wir werden von 5.1. auf 7.1.-Ton aufstocken, also | |
Boxen in den Seitenwänden haben, die mehr Raumatmosphäre schaffen. Da wäre | |
zwar das höchste Level auch Boxen in der Decke, quasi 11.1., aber das geht | |
bei unserer wunderschönen Decke natürlich nicht. Das Bild kommt dann von | |
einem Laserprojektor. Das beste technische Level also. Als Premierenhaus | |
war schon zu DDR-Zeiten immer der Anspruch an das Kino, dass die Projektion | |
auf dem höchsten Niveau ist. Dieses Selbstverständnis wollen wir so | |
beibehalten. | |
15 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.yorck.de/kinos/kino-international?sort=Popularity&date=2024… | |
[2] https://www.berlinale.de/de/service/lageplan.html?cat=venues | |
[3] https://www.yorck.de/ | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kino_International | |
[5] https://www.denkmalschutz.de/aktuelles.html | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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