# taz.de -- Kaukasus-Experte über Putins Invasion: „Ein sehr unpopulärer Kr… | |
> Die Tschetschenien-Kriege zeigen Parallelen zu Putins Vorgehen in der | |
> Ukraine heute, sagt der Politologe Emil Aslan. Gleichwohl gebe es | |
> Unterschiede. | |
Bild: Auch damals zerbombte die russische Armee Wohnhäuser: Grosny in Tschetsc… | |
taz: Herr Aslan, Tschetschenien kämpfte einst für die Abnabelung von | |
Russland, ähnlich der Ukraine heute. Wie reagierte die russische Politik | |
damals? | |
[1][Emil Aslan]: Nach der Auflösung der Sowjetunion wählten die | |
Tschetschenen separatistische Eliten und gründeten einen unabhängigen | |
Staat. In den frühen 90er Jahren unterstützte das der russische Präsident | |
Boris Jelzin. Diese Zeit nennt sich „Parade der Souveränitäten“. Zumindest | |
rhetorisch war das ganz anders als unter Präsident Putin heute. | |
Letztlich versuchte Russland aber doch, diese Abspaltung zu verhindern. | |
Pawel Gratschow, der unter Jelzin Verteidigungsminister war, prophezeite | |
damals, dass die russische Armee mit nur zwei Fallschirmjägerbrigaden | |
innerhalb weniger Tage ganz Tschetschenien einnehmen würde. Es war ein sehr | |
ähnlicher Plan wie der, den wir heute in der Ukraine sehen. | |
Doch er scheiterte. | |
Der erste Tschetschenien-Krieg war blutig und zermürbend. Die Tschetschenen | |
gewannen, die Russen zogen ab. Der Krieg war sehr unpopulär in Russland, | |
die russischen Medien berichteten ausführlich darüber. Tausende russische | |
Soldaten starben, in Tschetschenien wurden ganze Städte und Dörfer | |
zerstört. | |
Auch der Krieg in der Ukraine ist bei vielen Russen unpopulär: Sie | |
protestieren, trotz der Gefahr, festgenommen zu werden. | |
In Jelzins Russland konnten sich die Menschen und die Medien noch frei | |
äußern. Sie zeigten, was dort vor sich ging – die getöteten russischen | |
Soldaten, die auf den Straßen der Dörfer Tschetscheniens lagen. Das hatte | |
große Auswirkungen auf die öffentliche Meinung in Russland. Putin arbeitet | |
seit etwa zwanzig Jahren daran, die freien Medien loszuwerden, lange bevor | |
der Krieg in der Ukraine begann. | |
Dennoch begann wenig später der zweite Tschetschenien-Krieg. | |
Als Vorwand dienten die angeblich von tschetschenischen Terroristen | |
begangenen [2][Bombenanschläge auf Wohnhäuser], die dem heutigen | |
Staatspräsidenten und damaligen Ministerpräsidenten Wladimir Putin | |
zugeschrieben werden. Es gibt ein Buch darüber von [3][Yuri Felshtinsky, | |
einem ehemaligen KGB-Agenten]. Damals galt das eher als | |
Verschwörungstheorie als heute, wo wir wissen, wie Putin arbeitet. Der | |
Krieg war noch blutiger als der erste: Die Zahl der Todesopfer unter den | |
Tschetschenen belief sich auf etwa 100.000 Menschen, bei einer Bevölkerung | |
von nur 1,3 Millionen Menschen. | |
Diesen Krieg hat Moskau gewonnen – wie? | |
Mithilfe tschetschenischer Stellvertreter – der Familie Kadyrow, deren | |
Mitglied Ramsan heute Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien | |
ist. Eine von Moskaus Methoden bestand darin, pro-russische | |
[4][paramilitärische Kräfte, die so genannten Kadyrowtsy], zu bilden. Diese | |
Kadyrowtsy kannten die Identität der Aufständischen und nahmen deren | |
Verwandte ins Visier. Durch diese Bedrohung kapitulierten viele oder liefen | |
über. So wurden Blutfehden geschaffen, die Brücken zurück in ein | |
friedliches Leben abgebrochen. Moskau tat das bewusst und wissentlich. Es | |
gibt noch immer Familien, die darauf warten, dass sich Russland | |
zurückzieht, um [5][Ramsan Kadyrow], die Kadyrowtsy und ihre Familien | |
auszulöschen. Er braucht den Schutz Putins. | |
Die Kadyrowtsy – sind das die gleichen Einheiten, die nun in die Ukraine | |
geschickt wurden? | |
Ja, genau. Kadyrow will seine Position gegenüber Putin stärken, sich als | |
sein treuester Anhänger zeigen. Bisher wurden Dutzende, wenn nicht Hunderte | |
von ihnen durch ukrainische Kräfte getötet. Darüber gibt es ein absolutes | |
Informationstabu. [6][Kadyrow hat von nur zwei in der Ukraine getöteten | |
Tschetschenen gesprochen]. In Russland gibt es nur wenige Informationen zu | |
im Ukraine-Krieg gefallenen Soldaten, in Tschetschenien ist es noch | |
schlimmer. | |
Das sind also Putins Methoden: brutale Gewalt und die Bildung von | |
Bündnissen mit lokalen Akteuren. | |
In der Ukraine hat er diese paramilitärischen Kräfte nicht nur genutzt, | |
sondern sie selbst geschaffen. Es gab bis 2014 keine organisierte | |
separatistische Bewegung in Donetsk und Luhansk. Nur wenige Menschen | |
wollten sich wirklich von der Ukraine abspalten. Natürlich gab es | |
Spannungen: Zum Beispiel sollte die ukrainische Sprache wieder stärker | |
etabliert werden. Aber niemand wollte für die Verwendung der russischen | |
Sprache töten. | |
In den Tschetschenien-Kriegen kämpfte die rechtsextreme ukrainische | |
Paramilitärgruppe UNA-UNSO auf tschetschenischer Seite gegen Russland. Gibt | |
es heute ähnliche Truppen in der Ukraine? | |
Schon [7][im Konflikt 2014/15 im Donbass gab es ein Bataillon, in dem | |
Tschetschenen gegen russische Separatisten kämpften]. Viele Tschetschenen | |
in den europäischen Diaspora-Gemeinschaften sagen: Wir sind den Ukrainern | |
etwas schuldig, wir müssen ihnen helfen. Einige sind in den Kampf gezogen. | |
Ich glaube, dass die auf ukrainischer Seite Kämpfenden loyaler und | |
engagierter sind als die Kadyrowtsy. Die haben im Grunde keinen wirklichen, | |
ideologischen Grund, dort zu sein. | |
16 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://ims.fsv.cuni.cz/en/contacts/people/82202235 | |
[2] https://www.rferl.org/a/putin-russia-president-1999-chechnya-apartment-bomb… | |
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/yuri-felshtinsky-alexander-litwinenko/eis… | |
[4] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01402390.2014.942035 | |
[5] /Menschenrechte-in-Tschetschenien/!5827979 | |
[6] https://www.spiegel.de/ausland/tschetschenfuehrer-ramsan-kadirow-meldet-tod… | |
[7] https://www.deutschlandfunk.de/tschetschenische-kaempfer-in-der-ukraine-die… | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
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