| # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Nicht mehr nur Waffen | |
| > Die Gespräche zwischen Moskau und Kiew über ein Ende des russischen | |
| > Krieges gegen die Ukraine nehmen an Fahrt auf. Die russischen Angriffe | |
| > erlahmen. | |
| Bild: Wir müssen reden: Islands Verteidigungsministerin Gylfadottir mit US-Kol… | |
| Es gibt mehr Bewegung an der diplomatischen Front als an der militärischen. | |
| An diesem Punkt scheint Russlands Krieg gegen die Ukraine nach drei Wochen | |
| angelangt zu sein. | |
| Den Anfang machte in der Nacht zu Mittwoch Jarosław Kaczyński, Chef der | |
| polnischen Regierungspartei, der mit den Ministerpräsidenten Polens, | |
| Tschechiens und Sloweniens mit dem Zug nach Kiew gereist war – eine | |
| Demonstration der Solidarität und auch ein Signal, dass man keine Angst vor | |
| Russland hat. Kaczyński beließ es nicht bei Solidaritätsbekundungen. „Ich | |
| denke, dass eine Friedensmission notwendig ist – Nato, möglicherweise eine | |
| breitere internationale Struktur –, jedoch eine Mission, die in der Lage | |
| ist, sich selbst zu verteidigen, die auf ukrainischem Gebiet agiert“, sagte | |
| der Pole. | |
| Die Äußerung sorgte in der Nato für Irritation – aber sie zeigt, dass man | |
| sich Gedanken über die internationale Absicherung eines möglichen Abkommens | |
| zwischen Russland und der Ukraine macht. | |
| Die Gespräche darüber laufen seit Montag auf Hochtouren, im Videoformat. Am | |
| Mittwochvormittag nannte Russlands Außenminister Sergei Lawrow die | |
| Gespräche „geschäftsmäßig“ und sagte, das „gibt Hoffnung“. Ukraines | |
| Präsident Wolodymyr Selenskyi sagte, die russischen Forderungen würden | |
| „realistischer“. So optimistisch hatten sich beide Seiten bisher noch nie | |
| so hochrangig geäußert. | |
| ## Vorbild Österreich | |
| Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte in Moskau, eine entmilitarisierte Ukraine | |
| mit eigener Armee, nach dem Beispiel Österreichs oder Schwedens – „das ist | |
| eine Variante, die derzeit diskutiert wird und die tatsächlich als ein | |
| Kompromiss angesehen werden könnte“. Der russische Chefunterhändler | |
| Wladimir Medinski sagte: „Eine ganze Reihe von Fragen im Zusammenhang mit | |
| der Größe der ukrainischen Armee wird diskutiert.“ Ziel sei, dass die | |
| Ukraine „ein friedlicher, neutraler und uns wohlgesonnener Staat wird, kein | |
| Vorposten der Nato“. | |
| In Kiew stieß die Moskauer Redseligkeit nach Wochen des Schweigens dennoch | |
| auf Zurückhaltung. „Unsere Position bei den Verhandlungen ist recht klar: | |
| Sicherheitsgarantien, Waffenstillstand und ein Rückzug russischer Truppen“, | |
| sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Zu den | |
| russischen Äußerungen führte er aus: „Wir verstehen den Versuch unserer | |
| Partner, die initiative Seite im Verhandlungsprozess zu sein – daher kommen | |
| auch die Worte über ein schwedisches oder österreichisches Modell der | |
| Neutralität. Aber die Ukraine befindet sich jetzt in einem direkten Krieg | |
| mit der Russischen Föderation, daher kann es nur ein ukrainisches Modell | |
| geben, mit juristisch bindenden Sicherheitsgarantien.“ | |
| Diese Garantien brauche man „von Ländern, die im Falle eines Angriffs auf | |
| die Ukraine bereit sind, an unserer Seite zu kämpfen“, so Podoljak weiter: | |
| „Die Ukraine will nicht länger von bürokratischen Prozeduren abhängig sein, | |
| die es entweder erlauben oder nicht, den Himmel zu schließen und uns vor | |
| Raketen zu schützen. Wir brauchen direkte und harte Garantien, dass der | |
| Himmel dann auch geschlossen wird.“ | |
| Selenski sagte: „Wir können und müssen einen gerechten, aber fairen Frieden | |
| für die Ukraine aushandeln, echte Sicherheitsgarantien, die funktionieren.“ | |
| Er fordert dafür ein Gipfeltreffen mit seinem russischen Amtskollegen | |
| Wladimir Putin. Daran wird nach Angaben seines Beraters Podoljak bereits | |
| gearbeitet: „Das könnte schon bald passieren.“ | |
| Laut Financial Times wird ein 15-Punkte-Plan erarbeitet. An erster Stelle | |
| stünden die Neutralität der Ukraine sowie der Abzug russischer Truppen. | |
| Territoriale Streitfragen sollten später diskutiert werden. | |
| Offen bleibt, wie nach den Erfahrungen mit dem Minsker Friedensprozess für | |
| den Donbass ein Abkommen umgesetzt werden kann und welche | |
| Sicherheitsgarantien die Ukraine nach dem russischen Angriffskrieg bekommt. | |
| Eine ins Spiel gebrachte Variante: Überwachte entmilitarisierte Zonen | |
| entlang der gemeinsamen Grenze. Das hat aber schon in den vergangenen | |
| Jahren an der Waffenstillstandslinie im Donbass nicht funktioniert, weil | |
| die prorussischen Kräfte die OSZE-Beobachtermission behinderten. | |
| ## Militärische Sackgasse | |
| Eine weitere Debatte betrifft das vielgeschmähte Konzept der „humanitären | |
| Intervention“. Die Forderung nach einer Flugverbotszone über der Ukraine | |
| wird in den USA abgelehnt, weil nach bisherigen Konzepten dann als erstes | |
| die russische Luftabwehr ausgeschaltet werden müsste – das hieße Krieg | |
| gegen Russland. Mehrere US-Politiker haben stattdessen eine US-Luftbrücke | |
| in das eingekesselte Mariupol zur Evakuierung von Zivilisten vorgeschlagen. | |
| John Raine vom Londoner „International Institute for Strategic Studies“ | |
| verlangt von der Nato „ein Konzept der humanitären Intervention, das | |
| effektive Einsätze zum Schutz von Menschenleben ermöglicht“ – also nicht | |
| gleich Regimewechsel, sondern Schutz vor einem Aggressor. Das könnte sich | |
| mit den Kiewer Forderungen nach „bindenden Sicherheitsgarantien“ decken. | |
| Solche Überlegungen kommen nur auf, weil Russland militärisch in der | |
| Sackgasse steckt. Das „Institute for the Study of War“ (ISW) in den USA | |
| stellt fest, dass der russische Vormarsch praktisch zum Erliegen gekommen | |
| ist. „Seit dem 4. März haben russische Kräfte keine simultanen Angriffe an | |
| ihren vielen Fronten in der Ukraine durchgeführt, und es ist | |
| unwahrscheinlich, dass sie es in der kommenden Woche tun“, heißt es im | |
| jüngsten ISW-Tagesbericht vom Dienstag abend. Die Scharmützel nordwestlich | |
| von Kiew seien „die größten Offensiven, zu denen russischen Streitkräfte | |
| derzeit in der Lage sind“. | |
| Kiew erlebt derweil die ruhigsten Tage seit Kriegsbeginn. Außerhalb der | |
| Stadt toben Kämpfe und nachts schlagen vereinzelt Raketen ein, aber | |
| tagsüber ist es still, wird aus der Hauptstadt vermeldet, die am Mittwoch | |
| unter Ausgangssperre lag. Hochrangige Besuche wie die aus Polen, Tschechien | |
| und Slowenien bieten offensichtlich Schutz. Die drei sind wieder abgereist, | |
| aber nun ist der Vorsitzende des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz | |
| (IKRK), Peter Maurer, in Kiew eingetroffen. Er will fünf Tage bleiben. | |
| Mitarbeit: Barbara Oertel | |
| 16 Mar 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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