# taz.de -- Katja Matthes über Klima und Gendering: „Als Frau muss man robus… | |
> Katja Matthes wird die erste Chefin des Geomar-Helmholtz-Zentrums für | |
> Ozeanforschung. Ein Gespräch über Klima und männliches Dominanzverhalten. | |
Bild: Hat gelernt, männlichem Dominanzverhalten umzugehen: Katja Matthes | |
taz: Frau Matthes, Sie erforschen „natürliche Klimavariabilität“. Können | |
Sie das erklären? | |
Katja Matthes: Letztlich versuche ich den Klimawandel zu verstehen. Das | |
heißt im ersten Schritt: begreifen, wie das Klima auf natürliche Art | |
schwankt. Wenn wir das verstanden haben, können wir verlässlichere | |
Vorhersagen über den vom Menschen verursachten Klimawandel treffen. | |
Die Verfasser des Buchs „Die kalte Sonne“ leugnen den Einfluss des Menschen | |
und prognostizieren einen baldigen Temperatursturz. | |
In der Tat gibt es über dieses Buch bei meinen Vorträgen immer einige | |
Diskussionen. Ich sage dann immer: Die Sonne wird uns nicht helfen, den | |
Klimawandel zu beheben. | |
Warum nicht? | |
Dazu muss ich etwas ausholen: Der Klimawandel wird ja meist anhand der | |
globalen Mitteltemperatur erklärt. Die steigt mit dem Klimawandel. In dem | |
erwähnten Buch weisen die Autoren darauf hin, dass die | |
Sonnenfleckenaktivität gerade aus einem Maximum in ein Minimum geht, was | |
Abkühlung bedeutet und der Erwärmung entgegenlaufen würde. Auf die globale | |
Mitteltemperatur hat die Sonne aber fast keine Auswirkung. Sie beeinflusst | |
nur das Klima einzelner Regionen. | |
Warum erforschen auch Sie dann den Einfluss der Sonne? | |
Weil sie vermutlich den Takt angibt für natürliche Schwankungen im | |
Klimasystem. Die nordatlantische Oszillation – ein Druckgebilde, das | |
Tiefdruckgebiete über Island und Hochdruckgebiete über den Azoren erzeugt – | |
schwankt. Die Stärke dieses Druckgefälles beeinflusst das Klima in Europa. | |
Die Sonnenfleckenaktivität ist dabei ein Impuls – ähnlich einem Metronom – | |
der in einem relativ regelmäßigen Zyklus von elf Jahren schwankt. Das führt | |
dazu, dass es bei uns entweder etwas wärmer und feuchter wird oder etwas | |
kühler und schneereicher. | |
Das heißt konkret? | |
Nach dem Sonnenfleckenminimum 2008 gab es 2010 und 2011 relativ strenge und | |
schneereiche Winter in Europa. Die Sonnenfleckenzyklen sind also | |
interessant für die Vorhersagbarkeit. Und in der Tat bewegen wir uns | |
derzeit auf ein Sonnenfleckenminimum zu und können ein, zwei kältere Winter | |
haben. Das heißt aber nicht, dass der [1][Klimawandel] Pause macht. | |
Und welche Rolle spielen die Ozeane? | |
Ozeane sind zentral für das Klima. Sie bedecken 70 Prozent der | |
Erdoberfläche und transportieren als [2][„Golfstrom“] Wärme aus den Tropen | |
gen Norden. Insgesamt nimmt der Ozean 93 Prozent der Wärme des Klimawandels | |
auf. In der Folge wird er wärmer und saurer, denn wenn man CO2 in Wasser | |
löst, entsteht Kohlensäure. Außerdem steigt der Meeresspiegel durch das | |
Abschmelzen von großen Eisschilden wie in Grönland. | |
Lässt sich dieser Prozess noch stoppen? | |
Nein, nur abmildern. Wir sind jetzt bei gut einem Grad globalem | |
Temperaturanstieg. Wenn wir den, wie von der Politik geplant, auf 1,5 bis | |
zwei Grad begrenzen wollen, müssen wir die CO2-Emissionen so schnell wie | |
möglich stoppen. | |
Also sofort auf Null? | |
Das wäre am besten. Aber wir werden nicht von heute auf morgen komplett auf | |
CO2-Ausstoß verzichten können. Die Industrie muss weiterlaufen. Auch die | |
Verkehrswende braucht Zeit. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir C02 | |
künstlich aus der Atmosphäre entfernen können, bis wir spätestens 2050 | |
hoffentlich die Netto-Null-Emission haben. | |
Dafür haben Sie die umstrittene Methode des „Carbon Capture and Storage“ | |
(CCS) vorgeschlagen. Was passiert da? | |
Es wird CO2 aus der Atmosphäre entfernt, verflüssigt und unter den | |
Meeresboden gepresst. Aus der Atmosphäre holt man es dann zum Beispiel mit | |
Hilfe künstlicher Bäume – Metallgestelle, die CO2 aus der Luft filtern, | |
verflüssigen und im Untergrund verstauen. Besser wäre allerdings, direkt | |
bei der Industrie anzusetzen und das CO2 gar nicht erst in die Atmosphäre | |
zu entlassen, sondern aufzufangen, zu verflüssigen und in den Untergrund zu | |
bringen. | |
Wohin genau käme das CO2? | |
Zum Beispiel in alte Gas- oder Öllagerstätten. Dafür gibt es bereits | |
[3][Testfelder] unter der norwegischen Nordsee und unter Island. Dort hat | |
man herausgefunden, dass CO2 in ein, zwei Jahren kristallin wird und also | |
sicher verstaut ist. Trotzdem besteht die Sorge, dass das CO2 wieder ins | |
Meer und die Atmosphäre gelangt. Deshalb ist die Methode in Deutschland | |
umstritten und noch gesetzlich verboten. Der Klimaplan der Bundesregierung | |
erwähnt allerdings die Möglichkeit, CCS weiter zu erforschen. | |
Weitere Lösungsvorschläge? | |
Ja. Ein soeben aufgelegtes Forschungsprogramm des Geomar untersucht, ob | |
sich im Ozean Seegras-Wiesen anpflanzen lassen. Denn sie können – wie Algen | |
und Plankton – auf natürliche Weise CO2 aufnehmen. Eine andere Möglichkeit | |
wäre künstlicher Auftrieb. Dabei bringt man Wasser aus tieferen | |
Ozeanschichten, das kälter und nährstoffreicher ist und CO2 gut aufnehmen | |
kann, nach oben. Denkbar wäre auch eine Alkalisierung. Dabei streut man | |
Gesteinsmehl auf Ozeane oder Felder; auch das erhöht die CO2-Aufnahme. Wie | |
auch immer: Wer eine Methode fände, CO2 gefahrlos und effektiv aus der | |
Atmosphäre zu entfernen und sicher zu verstauen, wäre sofort | |
nobelpreisverdächtig. | |
Würde das nicht dazu verleiten, mehr CO2 auszustoßen? | |
Ja, und deshalb können das nur zusätzliche Anstrengungen sein. Letztlich | |
brauchen wir eine zügige Energie- und Mobilitätswende – und eine weltweit | |
klimaneutrale Wirtschaft bis 2050. Es wird nicht gehen, dass wir weiter | |
SUVs fahren, Landwirtschaft und Industrie nicht nachhaltig gestalten. Diese | |
Transformation muss natürlich von den Menschen getragen werden. | |
Haben Sie den Eindruck, dass Politik und Volk auf die Wissenschaft hören? | |
Ich habe den Eindruck, dass die „Fridays for Future“-Bewegung die | |
Bereitschaft zur Veränderung in der Gesellschaft erhöht hat. Jetzt muss die | |
Politik die Rahmenbedingungen setzen, und das finde ich zu zögerlich. Die | |
Coronakrise hat gezeigt, dass Menschen, sobald sie eine persönliche | |
Bedrohung spüren, bereit sind, etwa auf Mobilität zu verzichten. Das würde | |
ich mir für den Umgang mit der Klimakrise, von der wir seit 30 Jahren | |
wissen, auch wünschen. | |
Sind Sie manchmal deprimiert über den trägen Wandel? | |
Ja. Für die CO2-Bepreisung in Deutschland hatte die Wissenschaft zum | |
Beispiel 38 bis 40 Euro pro Tonne vorgeschlagen – deutlich weniger als die | |
100 Euro in Schweden. Beschlossen hat die deutsche Politik dann zehn Euro. | |
Das als Wissenschaftlerin zu sehen, ist schon frustrierend. | |
Und wie viel Frust gab es auf dem Weg an die Spitze des Geomar, dessen | |
erste weibliche Führungskraft Sie sein werden? | |
Zunächst mal ist es schade, dass es 2020 noch ein besonders Ereignis ist, | |
dass eine Frau die Leitung eines solchen Instituts übernimmt. Aber in der | |
Tat sind Frauen immer noch unterrepräsentiert – nicht nur in der Forschung, | |
sondern generell in den Führungsetagen. Auch am Geomar sind nur 20 Prozent | |
der Professuren weiblich besetzt – was auch im internationalen Vergleich | |
leider der Normalfall ist. | |
Woran liegt das? | |
Ich leite gerade ein EU-Projekt, das dieser Frage nachgeht. Vielleicht sind | |
es die starken männlichen Netzwerke. Vielleicht gibt es zu wenig Frauen, | |
die sich Führungspositionen zutrauen. Auch hier am Geomar versuchen wir | |
Frauen zu rekrutieren, aber es ist immer noch schwierig – obwohl wir genug | |
qualifizierte Frauen haben. Aber gerade in der Familiengründungsphase | |
scheuen viele die Unsicherheit einer akademischen Laufbahn. Da muss man | |
sich von einem Dreijahresvertrag zum anderen hangeln, und anders als im | |
anglo-amerikanischen Raum gibt es keine langfristigen Lecturer-Stellen. | |
Auch die verkrusteten Strukturen gerade im akademischen Bereich sind ein | |
Hemmnis. | |
Verkrustet heißt? | |
Männerdominiert und von starrem Stellenzuschnitt: Eine Führungskraft hat | |
mindestens 70 Stunden pro Woche zu arbeiten. Teilzeit-Modelle oder Führung | |
im Team sind kaum implementiert. Länder wie Finnland und Schweden sind da | |
zwar weiter, aber auch dort sind Führungspositionen an Universitäten nur zu | |
20 Prozent von Frauen besetzt. | |
Wie viel Druck mussten Sie selbst aushalten? | |
Ich hatte immer wieder das Gefühl: Als Frau muss ich mehr leisten als | |
Männer in vergleichbaren Positionen. Abgesehen davon muss man robust sein | |
und als einzige Frau in einem Meeting den Mut haben, seinen Standpunkt zu | |
vertreten. Der Klassiker, den ich oft erlebt habe: Ich sage etwas, ein Mann | |
sagt drei Minuten später das Gleiche, aber nur er wird gehört. Das zu | |
ertragen ist mir nicht leicht gefallen. Inzwischen kann ich damit umgehen. | |
Hatten Sie professionelle Hilfe? | |
Ja. Ein Schlüsselerlebnis war die Teilnahme an zwei Mentoring-Programmen | |
für Frauen. Da haben wir unter anderem den Umgang mit dem [4][„unconcious | |
bias“] – unbewusster Voreingenommenheit gegenüber Frauen – und dominantem | |
Männerverhalten trainiert und erkannt, dass wir alle dasselbe Problem | |
hatten. Danach habe ich mich stark auf die Wissenschaft fokussiert und | |
inzwischen eine gute Balance gefunden. | |
Wie schaffen Sie die Balance zwischen Beruf und der Betreuung Ihrer drei | |
Kinder? | |
Ich habe einen wunderbaren Mann, der mir zuliebe sehr zurückgesteckt hat. | |
Er arbeitet in Teilzeit und kümmert sich sehr um die Kinder. Ohne diesen | |
Rückhalt würde es nicht funktionieren. | |
Und wo verorten Sie sich als Forscherin in der Gesellschaft? | |
Man muss die Gesellschaft immer im Blick haben. Vielleicht war die | |
Wissenschaft lange zu sehr auf sich fokussiert, aber das funktioniert auf | |
Dauer nicht. Letztlich ist jede und jeder Rädchen im Getriebe. Es geht um | |
ein Aufeinander-Achten, in puncto Klimawandel auch um die Bereitschaft zu | |
verzichten. Wenn ich aber sehe, wie viel Kinder heute im beispielsweise | |
Spielzeugschrank haben und welche Ansprüche sie stellen, wird mir Angst und | |
bange. Dabei hat die Coronakrise gelehrt, dass das geht: bescheidener | |
leben. | |
Wie bescheiden leben Ihre Kinder? | |
Auch sie haben zu viel Spielzeug, auch sie wollen dieselben Markenklamotten | |
haben wie ihre Freunde. Aber wir haben immerhin geschafft, dass sie erst | |
mit elf und 13 ein Smartphone bekamen – als Letzte in der Klasse. | |
Irgendwann haben wir dem Druck nachgeben müssen, damit sie nicht zu | |
Außenseitern werden. | |
13 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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