# taz.de -- Katar, Fußball und Menschenrechte: Alltägliches Grauen | |
> Der FC Bayern trainiert wieder in Katar. Sechs Kenianerinnen berichten | |
> über die Menschenrechtslage dort und in benachbarten Ländern. | |
Bild: FC Bayern-Fans prangern an, dass sich der Klub für Geld von Katar instru… | |
Sechs Kenianerinnen, die als migrantische Arbeiterinnen in Katar und | |
Nachbarstaaten waren, beschreiben, was sie erlebten – und wie die | |
Ausbeutung des globalen Südens und westliche Abschottung dafür sorgen, dass | |
dort trotzdem ihre größte Chance liegt | |
Aidah Muli | |
Ich bin 2019 durch Menschenhandel an den Golf gekommen. Eine Frau auf der | |
Straße in Kenia hat mir gesagt, dass sie einen Job in Bahrain für mich | |
hätte, angeblich einen Bürojob. Doch sie war, wie ich später erfuhr, | |
Menschenhändlerin. Ich habe meinen Arbeitsvertrag nie zu Gesicht bekommen. | |
In Bahrain sollte ich plötzlich als Hausangestellte für ein pakistanisches | |
Paar und Verwandte arbeiten. Essen und schlafen mussten wir in der Küche. | |
Der Boss hat seinen Kindern verboten, das Glas zu nutzen, aus dem ich | |
getrunken habe. In dem Moment habe ich begriffen, [1][dass das hier | |
Sklaverei ist.] | |
Ich rief die Vermittlerin an, aber sie hatte meine Nummer blockiert. Das | |
Paar hat mich geschlagen und mir nur Abfälle zu essen gegeben. Eine | |
Angestellte, die Analphabetin war, wurde vom Boss sexuell missbraucht. Ich | |
durfte die Waschmaschine nicht benutzen, weil sie gesagt haben, dass ich | |
schwarz und dreckig sei. Selbst wenn ich krank war, gaben sie mir nur | |
Schmerzmittel. Mein Boss hat mich einmal so geschlagen, dass meine Schulter | |
ausgekugelt war, und mich gezwungen, trotzdem zu arbeiten. Als ich gesagt | |
habe, dass ich weg möchte, sollte ich noch für drei Monate ohne Gehalt | |
arbeiten. Erst, als ich gedroht habe, mich umzubringen, durfte ich gehen. | |
Ich wurde zu einem illegalen Büro gebracht, wo viele Arbeiterinnen waren. | |
Wenn du kein Geld hast, um zurückzureisen, schleppen sie dich einfach zu | |
einem anderen Arbeitsplatz. | |
Irgendwann habe ich die Polizei gerufen. Das Büro wurde daraufhin | |
geschlossen und die Frau in Kenia wurde festgenommen. Organisationen haben | |
mir geholfen, 2020 zurück nach Kenia zu gehen. Danach habe ich unter | |
Depressionen gelitten, bis letztes Jahr war ich in Therapie. Jetzt geht es | |
mir okay. Deshalb möchte ich mit der NGO Migrant Defenders anderen helfen, | |
ihre Rechte zu kennen. | |
Ruth* | |
Ich war ab Juni 2021 sechs Monate in Katar. In Kenia habe ich ein Diplom | |
als Hotelmanagerin, aber es gibt keine Arbeit und Jobs werden korrupt | |
vergeben. In Katar gibt es dagegen so viele Möglichkeiten. Und im Vergleich | |
zu Saudi-Arabien und Dubai ist es noch ganz in Ordnung. Ich habe auch in | |
Dubai gearbeitet, das war die schlimmste Erfahrung meines Lebens. Ich | |
musste die Polizei einschalten, weil die Agentur meinen Pass einbehalten | |
hatte. In Katar wurde ich ohne Agentur direkt angeheuert. | |
Eine Weile war es toll. Ich sollte meinen Führerschein machen und | |
[2][nebenbei Hausangestellte sein], und später würde ich die Fahrerin der | |
Familie werden. Doch als ich meinen Führerschein hatte, kippte die | |
Stimmung. Da sollte ich plötzlich Fahrerin und Hausmädchen gleichzeitig | |
sein. Drei Monate habe ich versucht, beide Jobs zu erledigen. Ich konnte | |
mich nicht offiziell beschweren, denn ich hatte ja keinen Vertrag. Da fand | |
ich heraus, dass sie mich von Anfang an hintergangen hatten. | |
In meinem Visum stand: Hausmädchen. Mein Sponsor hat sich geweigert, mir | |
den Rückflug zu zahlen. Und er hatte eine Möglichkeit, mich zu erpressen: | |
Ich hatte ein Strafticket vom Fahren. Doch ich habe eine Ermäßigung | |
rausgehandelt und die Strafe bezahlt. Schließlich hat er mir die Rückreise | |
bezahlt. In Kenia finde ich keine Arbeit. Ich versuche, wieder einen Job am | |
Golf zu bekommen. Es ist immer noch besser als nichts. | |
Consolata | |
Ich bin 2018 nach Katar gegangen. Ich war auf der Suche nach dem Ort, wo | |
das Gras grüner ist, und vor allem wollte ich meinem Vater helfen. Er hatte | |
eine Krebsdiagnose bekommen, und wir konnten seine Behandlung nicht zahlen. | |
Ich habe als Putzfrau am Flughafen von Doha gearbeitet. Manchmal wurden wir | |
gar nicht bezahlt, und unser Gehalt lag nur bei 1.300 Rial. Davon gingen | |
300 Rial für Essen ab, obwohl wir kein Essen bekommen haben. Wir hatten | |
also 1.000 Rial zum Leben, das sind etwa 275 Dollar. Dann wurde plötzlich | |
unsere Arbeitszeit auf zwölf Stunden erhöht. Das Gehalt ist aber gleich | |
geblieben. Als wir uns beschwert haben, hieß es, so stehe das im | |
Arbeitsvertrag. | |
Wir durften bei der Arbeit keine Maske tragen, weil es hieß, Passagiere | |
hätten sich darüber beklagt. Dabei kann man sich am Flughafen leicht | |
anstecken, außerdem haben wir starke Putzmittel mit giftigen Chemikalien | |
benutzt. Auch der Rassismus war groß. Es haben immer zuerst die Leute aus | |
Indien und Bangladesch Arbeit gekriegt, und die Schwarzen zuletzt. Weil ich | |
so wenig verdient habe, konnte ich kein Geld nach Hause schicken. Wir | |
konnten meinen Vater nicht retten. | |
Als er gestorben ist, bin ich nach Kenia zurückgekehrt. Ich habe versucht, | |
hier Arbeit zu finden, aber man hat mich überall abgelehnt. Wenn du am Golf | |
gearbeitet hast, denken sie, du erwartest ein hohes Gehalt und machst nur | |
Ärger. Wenn ich die Chance bekomme, möchte ich an den Golf zurück, trotz | |
der schlechten Bedingungen. Aber nicht wieder nach Katar. | |
Agnes* | |
In bin 2012 in den Libanon gegangen. Mein Mann und ich hatten uns scheiden | |
lassen, ich habe zwei Kinder und war arbeitslos in Kenia. Ich sollte mich | |
im Libanon als Nanny um ein Baby kümmern, aber als ich dort ankam, waren | |
dort acht Menschen insgesamt – und ich sollte mich um alle kümmern. Ich | |
musste 16 bis 20 Stunden am Tag arbeiten, jeden Tag. Eine Freundin riet | |
mir, mich auf eine Familie zu bewerben, die keine Kinder hat. Ich wurde zu | |
einem bettlägerigen alten Mann gebracht. Er ist leider gestorben. Die | |
Familie war mir sehr dankbar. | |
Aber eine der Frauen hat darauf bestanden, dass ich jetzt mit ihr nach | |
Australien gehen sollte. Ich habe mich geweigert. Daraufhin sollte ich | |
2.000 Dollar zahlen, damit ich zurück nach Hause kann. Sie hat angefangen, | |
mich zu schlagen, hat mir kein Essen mehr gegeben. In der Agentur haben sie | |
mich schwer verprügelt dafür, dass ich nicht mit der Frau gegangen bin. Da | |
bin ich geflohen. | |
Von 2015 bis 2020 [3][habe ich im Libanon] auf der Straße gelebt. Das | |
kenianische Konsulat wollte mir nicht nach Hause helfen. Ich sollte | |
stattdessen eine Strafe zahlen, weil ich weggelaufen bin, 2.500 Dollar. Ich | |
habe überall gearbeitet, in Hotels, in Privathäusern. Es war sehr schlimm. | |
Denn wenn sie wissen, dass du keine Papiere hast, lassen sie dich ewig auf | |
dein Geld warten oder zahlen dir gar nichts. Schließlich hatte ich 2.000 | |
Dollar. Doch dann kam Corona. Es gab keine Arbeit. | |
Da habe ich mit einigen anderen Frauen beschlossen, dass wir demonstrieren. | |
Wir haben mit 107 Frauen eineinhalb Monate lang vor dem kenianischen | |
Konsulat geschlafen. NGOs haben uns die Flugtickets nach Hause bezahlt. Ich | |
bin als Letzte abgereist. Seitdem hilft mir die NGO This is Lebanon, die | |
sich gegen das Kafala-System einsetzt, weitere Frauen zu retten. | |
Belinda* | |
Von 2018 bis 2019 war ich zuerst in Saudi-Arabien, und 2020 bis 2021 dann | |
in Katar, um meinen beiden Kindern in Kenia Schulgeld zahlen zu können. Ich | |
habe in Katar viele verstörende Dinge erlebt. Ich habe bei einer Familie | |
aus einem anderen arabischen Land als Hausangestellte gearbeitet. Wenn | |
seine Frau nicht da war, wollte der Mann, dass ich mit ihm schlafe. Das | |
wollte ich nicht, und außerdem hätte ich bei einer unehelichen | |
Schwangerschaft in Katar große Probleme bekommen. | |
Als ich mich ihm verweigert habe, wurde der Mann immer aggressiver. Nachdem | |
ich mein Jahr Arbeit dort geleistet hatte, wollte ich einfach nur noch weg. | |
Ich durfte das Haus aber nicht mal für eine kurze Pause verlassen. Als ich | |
einmal den Müll weggebracht habe, hat der Mann mich bei der Polizei als | |
Entflohene gemeldet. Ich habe gefragt: Was soll das? Da hat er mich | |
körperlich angegriffen. | |
Der Rassismus in Katar ist extrem, als Schwarze hast du da ein Problem. Was | |
würde passieren, wenn es vor Gericht ginge? Also bin ich geflüchtet. Ich | |
habe mit einem gefälschten Ausweis einen Job bei einem Fast-Food-Konzern | |
bekommen. Das Leben als Illegale ist sehr hart. Die Polizei kann jeden | |
Moment deine Fingerabdrücke nehmen. Sobald du irgendwo Polizei siehst, | |
verfällst du in Panik. In der Filiale standen die Afrikaner:innen ganz | |
unten in der Rangordnung. | |
Der Boss der Filiale hat die schwarzen Frauen bedrängt, mit ihm zu | |
schlafen. Erst dann bekommst du vielleicht eine erträgliche Position. Du | |
versteckst dich außerhalb der Arbeitszeit in einem Haus mit anderen | |
Illegalen. Schließlich, im Oktober 2021, bin ich mit einem Uber gefahren | |
und der Fahrer hat mich wohl an die Polizei verkauft. Ich wurde | |
abgeschoben. | |
Hier in Kenia lebe ich von der Hand in den Mund. Drei Monate konnten meine | |
Kinder nicht zur Schule, weil ich das Schulgeld nicht zahlen konnte. Jetzt | |
habe ich Angst, dass mein Sohn die Prüfungen nicht schafft. Der Vermieter | |
hat uns rausgeschmissen. Ich habe all unsere Möbel verkauft fürs Schulgeld. | |
Wir haben nicht mal mehr Zeit, zusammen Freude zu haben. Ich bin oft sehr | |
traurig. | |
In Mombasa kannst du dich als Frau eigentlich nur für Touristen | |
prostituieren. Aber ich werde alt, das hätte für mich keine Perspektive. | |
Ich wünschte, ich könnte nach Kanada gehen, aber die Hürden sind so hoch | |
und die Visa teuer. Wir müssen also bei den Kataris und den Saudis | |
überleben. Ich fühle mich immer noch traumatisiert von der Erfahrung dort. | |
Aber für meine Kinder muss ich es wieder tun. | |
Nisha* | |
Ich bin seit vier Jahren in Katar. Es ist echt schön hier. Ich war zuerst | |
bei einer Fast-Food-Kette, jetzt arbeite ich als Barista. Die acht Stunden | |
Arbeitszeit werden eingehalten, alles ist cool. Das erste Mal bin ich mit | |
einer Agentur nach Katar gekommen. Die war in Ordnung und hat für alles | |
gesorgt. Es stimmt, in den Fast Food-Läden gibt es eine rassistische | |
Hierarchie. Von Schwarzen erwarten sie, dass du keine gute Arbeit leistest. | |
Aber ich habe mich durch den Rassismus nicht von meinem Weg abbringen | |
lassen. Man muss eben mehr leisten. Ich bin eine schwarze Frau, was | |
erwartest du? Ich gehe nicht arbeiten, um Freund:innen zu finden. | |
Als ich hergekommen bin, hat die Agentur meinen Pass einbehalten. Aber ich | |
habe mich im Internet über die Regeln informiert. Dann habe ich den Pass | |
eingefordert und problemlos bekommen. Wenn eine Agentur sich nicht an die | |
Regeln hält, wird sie von der Polizei bestraft. | |
Mittlerweile habe ich ein unabhängiges Visum gekauft, dann kann man mehr | |
Geld verdienen. Aktuell bekomme ich 4.500 katarische Rial, rund 1.200 | |
Dollar. Ich fühle mich damit frei. Ich kann Urlaub machen, wann ich möchte. | |
Ich bin froh, dass ich nach Katar gegangen bin. Ich spreche gutes Arabisch, | |
ich habe schon in Kenia für arabische Touristen übersetzt. Die Sprache habe | |
ich mir selbst beigebracht. Ich möchte aber nicht für immer in Katar | |
bleiben. Ich würde gern in die USA gehen, das ist mein Traum. | |
* Die Namen mit Sternchen sind Pseudonyme | |
7 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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