# taz.de -- Kulturgeschichte der Trikotwerbung: Bezahlte Botschaften auf der Br… | |
> Vor 50 Jahren lief Eintracht Braunschweig erstmals mit Trikotwerbung auf. | |
> Seither leben Sponsoren und der Fußball bestens voneinander. | |
Bild: Mit Geld kann man einiges anfangen: Jägermeister-Geschäftsführer Günt… | |
Mit dieser Idee verdienen die Pioniere 50 Jahre später immer noch ein wenig | |
Geld. Unter der Rubrik Jägermeister-Kollektion und dem fettgedruckten Wort | |
„Kultcharakter!“ kann man im Online-Fanshop von Eintracht Braunschweig | |
Retroshirts kaufen, die dem ersten Trikot mit Brustwerbung stark ähneln. So | |
spazieren heute noch Fans auf eigene Kosten mit der Reklame für einen | |
Kräuterschnaps in der Gegend herum. Fußballanhänger haben einen starken | |
Hang zur Nostalgie. Und die Werbung hat sich mit den Werbeträgern über die | |
Jahre derart eng verwoben, dass sie nicht nur in Braunschweig zum | |
Bestandteil der Fanliebe geworden ist. | |
Mittlerweile gibt es Bildbände, welche die historische Abfolge von | |
Vereinstrikots dokumentieren. Im Grunde genommen sind es Werbekataloge, die | |
in den Händen der andächtigen Betrachter zum Kulturgut werden. [1][Die | |
Geschichte der Trikotwerbung] ist aber von Anfang an auch eine mit | |
Friktionen und Widerständen gewesen. | |
Als Wormatia Worms in der Saison 1967/68 mit dem Schriftzug eines | |
Baumaschinenherstellers auflief, ließ der DFB den Verein sofort wissen, | |
dass dies „im Interesse der Aufrechterhaltung der sportlichen Ordnung und | |
des Ansehens des Fußballsports verboten werden müsse“. Die Satzung des | |
Verbandes wurde entsprechend aktualisiert. | |
Doch Eintracht Braunschweig hebelte das Verbot 1973 mit einem Trick aus. | |
Auf Initiative des Jägermeister-Geschäftsführers Günter Mast wurde auf der | |
Mitgliederversammlung beschlossen, dass der Löwe im Vereinswappen durch den | |
Jägermeister-Hirsch ersetzt werden solle. Am 24. März lief das Team | |
erstmals mit dem neuen Trikot auf. Braunschweig kassierte von Jägermeister | |
100.000 Euro pro Saison. | |
Der DFB, befangen von idealistischen Restzweifeln, zierte sich erst noch | |
und gab dann doch angesichts der finanziellen Krise der Vereine – auch | |
infolge [2][des Bundesligaskandals um Schmiergelder] – grünes Licht. | |
Fußballer wurden zu den beweglichsten und meistbeachteten Litfaßsäulen der | |
Republik. Widerstände gab es anfangs noch von Zeitungen, welche sich nicht | |
als kostenlose Verbreiter von Werbebotschaften instrumentalisieren lassen | |
wollten. Aber die Macht des Faktischen und die Mühen der Bildbearbeitung | |
zwangen auch sie bald in die Knie. | |
## „Nicht gegen Moral und Ethik“ | |
Es ist aber nicht so, dass der DFB dem Kapitalismus keine Grenzen setzte. | |
Die Brustwerbung darf heute die 200-Quadratzentimeter-Marke nicht | |
überschreiten. Hochprozentiger Alkohol (über fünf Prozent) wie anfangs der | |
Kräuterlikör dürfte heute nicht beworben werden. | |
Nicht mehr ganz so präzise gefasst sind weitere Einschränkungen in den | |
Statuten: „Die Werbung darf nicht gegen die allgemein im Sport gültigen | |
Grundsätze von Ethik und Moral oder die gesetzlichen Bestimmungen oder die | |
guten Sitten verstoßen.“ | |
In den Anfangsjahren der Trikotreklame spielten beim DFB auch ästhetische | |
Maßstäbe eine Rolle – zumindest beim Frauenfußball. Und weil diese wiederum | |
in den Statuten nicht festgehalten waren, musste sich der Verband 1976 | |
erklären: „Die Anatomie der Frau ist für Trikotwerbung nicht geeignet. Die | |
Reklame verzerrt.“ | |
Den außerordentlich dehnbaren Paragrafen von Ethik und Moral brachte der | |
frühere CDU-Politiker und DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder in | |
Stellung, als in der Saison 1987/88 der FC Homburg für Kondome auf der | |
Brust werben wollte – damals in seiner Funktion als | |
Ligaauschussvorsitzender. Obwohl zu dieser Hochphase der Verbreitung des | |
Aids-Virus die Gesundheitsministerin Rita Süßmuth (CDU) zur Nutzung von | |
Kondomen aufrief, warf der mit dem Thema sexuelle Verhütung offensichtlich | |
überforderte DFB Anstandsfragen auf und ließ den Schriftzug auf dem Trikot | |
schwärzen. Der FC Homburg zog dagegen vor Gericht und bekam Recht. | |
Als viele Jahre später erstmals 2017 die eigenständige Vermarktung des | |
Trikotärmels erlaubt wurde und [3][der FC Bayern München sogleich mit dem | |
katarischen Staatsunternehmen Qatar Airways] einen Deal abschloss, der | |
ihnen pro Saison bis zu 25 Millionen Euro einbringen soll, kam allerdings | |
kein Verbandsfunktionär auf die Idee, das Geschäft mit den Grundsätzen von | |
Ethik und Moral abzugleichen. | |
Die Beliebigkeit in der Auswahl der Partner hatte ja schon lange zuvor | |
begonnen. Juventus Turin etwa ließ sich 2002 für seine Brustfläche von | |
einem Erdölkonzern bezahlen, der unter der Kontrolle des libyschen | |
Revolutionsführers und Finanziers von Terrorgruppen Muammar al-Gaddafi | |
stand. | |
## Das unbefleckte Trikot | |
Auch wenn der Großteil der Brustsponsoren sich nahezu perfekt in den | |
Organismus des Fußballes einnistete und man prächtig voneinander lebte, war | |
das werbungsfreie Trikot, wie es sich der stolze FC Barcelona bis ins Jahr | |
2006 leistete, ein Symbol für den reinen und unbefleckten Fußball. Der | |
Gipfel der Tugend schien erreicht, als der Verein dem Kinderhilfswerk | |
Unicef einen kostenfreien Platz auf dem Trikot einräumte, ehe der Klub von | |
der Realität des eigenen miesen Kontostands und dem dann doch | |
unwiderstehlichen Angebot von Qatar Airways eingeholt wurde. | |
Mitunter wollte der deutsche Fußball ebenfalls einfach nur gut sein. Für | |
einen Spieltag trugen die Profis 1993 nach diversen fremdenfeindlichen | |
Vorfällen in Deutschland statt dem Sponsor den Schriftzug „Mein Freund ist | |
Ausländer“ auf ihrem Hemd. | |
Ansonsten lässt sich mit den Sponsoren aber doch zu gut Geld verdienen. | |
256,7 Millionen Euro nahmen die Erstligaklubs in der Saison 2021/22 für | |
ihre Textilreklame ein. Verstörungen gibt es nur selten. Nach der Invasion | |
Russlands in die Ukraine [4][zögerte Schalke 04 nicht lange], das russische | |
Staatsunternehmen Gazprom von seiner Brust zu nehmen. | |
Die Bild-Zeitung schwärzte davor den Gazprom-Schriftzug auf ihren Fotos, | |
weil sie in diesem Fall dem russischen Unternehmen nicht unbezahlt | |
Aufmerksamkeit verschaffen wollte. Die Leibesübungen-Seiten wollen | |
grundsätzlich zur unbezahlten Weiterverbreitung von Werbung nicht | |
beitragen. Deshalb werden seit 2011 jegliche Sponsoren auf der Kleidung von | |
Sportlerinnen und Sportlern verpixelt. | |
25 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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