# taz.de -- Kampf gegen NPD in Schneeberg: Sächsische Phantomschmerzen | |
> Beim dritten Marsch der NPD gegen ein Asylbewerberheim in Schneeberg gibt | |
> es zwei Aktionen gegen die NPD – aber nicht alle für die Flüchtlinge. | |
Bild: Schneeberg am Samstag: Dem bundesweiten Aufruf von Antifa-Gruppen folgten… | |
SCHNEEBERG taz | Von Erleuchtung war beim beim dritten „Lichtellauf“ der | |
NPD im erzgebirgischen Schneeberg nichts zu sehen: Die Polizei hatte nur 50 | |
Fackeln für den Protestmarsch gegen das vor der Stadt gelegene | |
Asylbewerberheim am Samstagabend genehmigt. Und die Knicklichter, die viele | |
der meist jugendlichen Protestierer trugen, besaßen ungefähr die | |
Strahlkraft der Worte des NPD-Kreisvorsitzenden Stefan Hartung, der sich | |
auf dem Markt bemühte, die etwa tausend Asylheimgegner als „die wahren | |
Demokraten“ darzustellen. | |
Erstmals nach den beiden „Lichtelläufen“ vor zwei und vier Wochen übertraf | |
an diesem Samstag zwar die Zahl der Gegendemonstranten die der | |
NPD-Sympathisanten. Dem bundesweiten Aufruf von Antifa-Gruppen folgten etwa | |
1.500 Teilnehmer, das parteiübergreifende Bündnis „Schneeberg für | |
Menschlichkeit“ konnte rund 500 mobilisieren. Von den Teilnehmern der | |
bürgerlichen Gegendemonstration aber empfanden viel nicht anders als jene, | |
die der NPD auf den nur 200 Meter entfernten Markt gefolgt waren. | |
Die Rede von Innenminister Markus Ulbig (CDU), der die Schneeberger unter | |
anderem über den vorübergehenden Charakter des Asylbewerberheimes beruhigen | |
wollte, wurde von Zwischenrufen unterbrochen. Zu spontan und ohne die | |
Bürger zu informieren sei das Heim eingerichtet worden, so Einwohnern. | |
Vorbehalte und Misstrauen gegen die vermeintliche Bedrohung durch die | |
Flüchtlinge waren zu spüren. Sogar der Linken-Bundestagsabgeordnete Jörn | |
Wunderlich forderte dazu auf, „den Einheimischen Ängste und Sorgen zu | |
nehmen“. | |
Ängste, die unbegründet sind. Längst hat das „Bündnis für Menschlichkeit… | |
nachgewiesen, dass es keinen Anstieg der „Ausländerkriminalität“ gibt und | |
von „Übergriffen auf Frauen“ keine Rede sein kann. Solche Befürchtungen | |
waren schon 2010 laut geworden, als erstmals Asylbewerber auf dem Gelände | |
der 2008 geschlossenen Jägerkaserne untergebracht wurden. | |
Besonders kochten die Emotionen hoch, als nach Zusammenstößen zwischen | |
verschiedenen Flüchtlingsgruppen in der Erstaufnahmeeinrichtung Chemnitz | |
Ende September kurzfristig auf die Außenstelle Schneeberg ausgewichen | |
wurde. Die anfangs genannte Zahl von 550 Flüchtlingen erschreckte viele der | |
15.000 Einwohner Schneebergs – aber zurzeit leben nicht einmal halb so | |
viele in den beiden Wohnblöcken der früheren Kaserne. | |
## Die Polizei rät den Flüchtlingen davon ab, zu demonstrieren | |
Einige von ihnen wollen an diesem Sonnabendnachmittag am liebsten hinunter | |
in die Stadt laufen und sich der Demonstration anschließen. Slawische und | |
deutsche Sprachbrocken fliegen umher. Ein Beamter rät dringend, die Gebäude | |
nicht zu verlassen. Übergriffe auf das Gelände aber befürchtete die | |
Polizei, die nur mit zwei Wagen am Schlagbaum steht, nicht. Zuvor hatten am | |
Freitag der sächsische evangelische Landesbischof Jochen Bohl und Sachsens | |
Ausländerbeauftragter Martin Gillo mit einigen der Asylbewerber in der | |
Kaserne gesprochen. | |
Ungefähr einen Kilometer entfernt am Rande des Ortsteils Neustädtel hatten | |
sich schon am frühen Nachmittag linke Gegendemonstranten getroffen. Der | |
Antifa-Zug, der bis in unmittelbare Nähe des NPD-Sammelplatzes am Markt | |
führte, wuchs durch Teilnehmer aus andern Orten Sachsens und der | |
Bundesrepublik auf etwa 1.500 Teilnehmer an. Angeprangert wurden nicht nur | |
Schneeberger Zustände, sondern auch die Verschärfung des Asylrechts und die | |
europäische Abschottungspolitik. „Scheiß-Drecksnest!“-Aufkleber rissen | |
empörte Schneeberger allerdings schnell wieder von Strommasten und Türen | |
ab. | |
Teilnehmer des Antifa-Zuges berichteten von regelrechten | |
Massenabschiebungen vor allem von tschetschenischen Flüchtlingen nach | |
Polen. Eine Einzelfallprüfung finde in Sachsen kaum noch statt. Auch auf | |
der Kundgebung des Bürgerbündnisses mahnte später der stellvertretende | |
sächsische DGB-Vorsitzende Markus Schlimbach, dass Sachsen die bundesweit | |
höchste Abschiebequote aufweise. | |
Auf dieser Kundgebung zeigte die CDU eine Präsenz von sächsischen | |
Spitzenpolitikern, wie es sie bei Protesten gegen Nazis noch nie gab. Neben | |
Innenminister Ulbig waren unter anderem Generalsekretär Michael Kretschmer | |
und Landtagsfraktionschef Steffen Flath gekommen. Das Erzgebirge wählt | |
traditionell die Union, die „Erzgebirgs-Connection“ gilt als der | |
eigentliche CDU-Führungszirkel. | |
## Die Bewohner sind besorgt um das Image der Region | |
Die nachdenklichsten Sätze blieben CDU-Bürgermeister Friedel Stimpel | |
vorbehalten, der an Bibelworte wie „Geben ist seliger denn nehmen“ | |
erinnerte. Beifall gab es für seine Aufforderung, „den Egoismus in dieser | |
konsumgesteuerten Gesellschaft zugunsten unseres Nächsten zurückzunehmen“. | |
Die vielen Schneeberger, die vom Fenster aus die drei Demonstrationszüge | |
beobachteten, bewahrten überwiegend die sprichwörtliche erzgebirgische | |
Ruhe. „Die Geister, die ich rief, werd ich nun nicht los“, zitierte ein | |
Anwohner Goethe und fügte hinzu, das gelte für beide Seiten – die NPD und | |
die politisch Verantwortlichen. Ein unbeteiligter Jugendlicher titulierte | |
die Nazis als „Idioten“. Hörbar waren auch Sorgen um das Image der Region. | |
Mit Rücksicht auf die „tolle erzgebirgische Weihnacht“ werde man in diesem | |
Jahr keine Proteste mehr veranstalten, erklärte NPD-Kreischef Hartung. Nach | |
einer verkürzten Route endete der „Lichtellauf“ mit dem kläglichen Versuc… | |
das Bergmannslied „Glück auf, der Steiger kommt“ anzustimmen. Zuvor waren | |
Journalisten angegriffen und war ein Fotograf blutig geschlagen worden. Zum | |
Abschied skandierten einige NPDler „Wir sind das Volk“ und „Wir kommen | |
wieder!“. | |
17 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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