# taz.de -- Juristin über neues Sexualstrafrecht: „Kopfschütteln oder Weine… | |
> Tatjana Hörnle erklärt, was „Nein heißt Nein“ in der Praxis bedeutet �… | |
> und warum die Reform nicht zu mehr Falschbeschuldigungen führt. | |
Bild: Nein. Ganz einfach | |
taz: Frau Hörnle, am Donnerstag wird der Bundestag des neue | |
Sexualstrafrecht beschließen. Was bedeutet „Nein heißt Nein“ eigentlich? | |
Tatjana Hörnle: Künftig ist es bereits strafbar, wenn der Täter sexuelle | |
Handlungen am Opfer gegen dessen „erkennbaren Willen“ ausübt. | |
Und das ist neu? | |
Ja. Bisher war für die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung erforderlich, | |
dass der Täter das Opfer entweder mit Gewalt oder mit schweren Drohungen | |
oder durch Ausnutzen einer schutzlosen Lage dazu brachte, sexuelle | |
Handlungen zu dulden. | |
Die entscheidende Frage wird künftig also sein, was war der „erkennbare | |
Wille“ des Opfers? | |
Ja. | |
Es genügt, wenn die Frau zu sexuellen Handlungen „Nein“ sagt? | |
Ja. Auf den Wortlaut kommt es aber nicht an. Es kann auch ein „Hör auf!“ | |
sein oder „Lass das!“. Es muss aber eindeutig sein. Ein schlecht gelauntes | |
„Muss das sein?“ genügt nicht. | |
Ein Wille kann aber auch dann erkennbar sein, wenn nichts gesagt wird? | |
Ja. Es genügt, wenn der Wille klar zum Ausdruck kommt. Allerdings reicht | |
das innerliche Empfinden nicht, wenn es nicht erkennbar ist. | |
Wie kann ein Nein zum Ausdruck kommen, ohne dass gesprochen wird? | |
Zum Beispiel durch Kopfschütteln oder Weinen. | |
Genügt auch ein lustloser Gesichtsausdruck? | |
Nein, auch nonverbale Signale müssen eindeutig sein. | |
Der BGH-Richter und [1][Kolumnist Thomas Fischer kritisiert], dass hier | |
schon Fahrlässigkeit bestraft wird, wenn der Täter den erkennbaren Willen | |
der Frau nicht erkennt und deshalb missachtet. | |
Das ist nicht richtig. „Erkennbar“ dient der Abgrenzung von „innerlich“. | |
Den entgegenstehenden Willen des Opfers muss der Täter jedoch erkannt | |
haben. Der sexuelle Übergriff ist kein Fahrlässigkeitsdelikt. | |
Es genügt für den Täter also zu sagen: „Ich habe das Kopfschütteln nicht | |
gesehen“? Und schon fehlt dem Täter der Vorsatz und er bleibt straffrei? | |
Eine solche Aussage muss schon plausibel und glaubwürdig sein. | |
Offensichtliche Schutzbehauptungen dürften in der Regel keinen Erfolg | |
haben. | |
Sind solche Fragen – was das Opfer ausgedrückt hat, was der Täter | |
verstanden hat – wirklich geeignet für ein Gerichtsverfahren? | |
Menschliche Kommunikation ist bei vielen Delikten relevant, etwa beim | |
Betrug. Was hat der Verkäufer versprochen? Wollte er den Kunden täuschen? | |
Da gibt es auch große Beweisprobleme. Trotzdem ist der Betrug ganz | |
selbstverständlich strafbar, und niemand will das ändern. | |
Noch mal Thomas Fischer: Er lehnt das neue Gesetz auch deshalb ab, weil es | |
Frauen mit unmündigen Kindern gleichsetze. Was ist dran an diesem Vorwurf? | |
Das ist eine absurde Behauptung ohne juristische Substanz. Sexuelle | |
Handlungen mit Kindern sind strafbar, selbst wenn das Kind zustimmt. | |
Dagegen kann eine Frau sexuellen Handlungen mit einem Mann natürlich | |
rechtlich wirksam zustimmen. Dass künftig das Nein der Frau geschützt wird, | |
ändert daran überhaupt nichts. | |
Ein weiteres Problem der neuen Rechtslage: Ein Paar liegt im Bett, sie will | |
Sex. Er sagt, er sei zu müde. Sie gibt nicht auf und streichelt seinen | |
Penis, bis er doch Lust hat. Ist das künftig strafbar, weil sie sein Nein | |
ignoriert hat? | |
Das Verhalten der Frau mag zwar den Tatbestand des neuen Gesetzes erfüllen. | |
Aber ich bitte Sie, welcher Mann zeigt seine Partnerin nach einer solchen | |
Situation an? | |
Unmittelbar danach tut er das sicher nicht. Aber vielleicht geht sie einen | |
Monat später fremd. Er trennt sich, ist verletzt und zeigt sie nun wegen | |
ihrer mehrfachen sexuellen Übergriffe an. Was soll die Staatsanwaltschaft | |
tun? | |
Im Lauf von Beziehungen gibt es viele Vergehen, etwa Beleidigungen. Und im | |
Verlauf von Trennungen wird mit Blick auf bestimmte Gegenstände der Vorwurf | |
der Unterschlagung erhoben. Das Strafrecht ist nicht dazu da, all solche | |
Vergehen in Beziehungen aufzuarbeiten. Hier würde das Verfahren wegen | |
„geringer Schuld“ eingestellt. | |
Sehen Sie eine Beziehung als rechtsfreien Raum? | |
Natürlich nicht. Es war ein wichtiger Schritt, dass seit den 1990er Jahren | |
auch die Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Aber das von Ihnen | |
geschilderte Verhalten ist damit ja wohl nicht zu vergleichen. | |
Schauen wir uns die Reform mal von der anderen Seite an. Geht sie denn | |
überhaupt weit genug? Die Istanbul-Konvention des Europarats verlangt, dass | |
jede „nicht einverständliche“ sexuelle Handlung bestraft wird. Das geplante | |
Gesetz greift diese sehr weitgehende Formulierung aber nicht auf … | |
Die Mitgliedstaaten des Europarats haben eine gewisse Freiheit beim | |
Wortlaut der Umsetzung, solange das sexuelle Selbstbestimmungsrecht | |
konsequent geschützt wird. | |
Aber es geht doch um ein anderes Konzept. Wenn nur einverständliche | |
sexuelle Handlungen straffrei sein sollen, heißt das Motto „Nur Ja heißt | |
Ja“. Wäre das nicht ein noch besserer Schutz der sexuellen | |
Selbstbestimmung? | |
Es ist moralisch sicher ein gutes Konzept, beim Sex immer auf ein | |
ausdrückliches Ja des anderen zu warten. Gerade für die Erziehung und | |
Sensibilisierung junger Menschen halte ich das für geeignet. Dieses Konzept | |
sollte aber nicht mit strafrechtlichen oder anderen Sanktionen verknüpft | |
werden. | |
Warum nicht? | |
Beim Sex gibt es immer wieder ambivalente, uneindeutige Situationen. Es | |
wäre unfair, die Verantwortung dann allein beim Täter zu verorten. Es ist | |
vielmehr sinnvoll, dass auch vom Opfer gewisse Eigenverantwortung verlangt | |
wird, indem es zeigen muss, wenn es sexuelle Handlungen ablehnt. | |
Was ist nun die Bedeutung der bevorstehenden Reform? Wird es mehr | |
Verurteilungen geben? | |
Es gibt jährlich nur eine kleine Zahl von Fällen, bei denen die Beweislage | |
gut ist, aber die Rechtslage eine Verurteilung verhinderte. Meist scheitert | |
die Verurteilung wegen Sexualdelikten bisher an der Beweisbarkeit. Das wird | |
so bleiben. Es kommt aber auch nicht darauf an, wie viele zusätzliche | |
Verurteilungen es gibt. | |
Worauf dann? | |
Dass das sexuelle Selbstbestimmungsrecht erstmals konsequent im | |
Strafgesetzbuch umgesetzt wird. Dass ein Nein zu sexuellen Handlungen | |
endlich rechtlich ernst genommen wird. Das wird noch in Jahrzehnten als | |
historischer Moment anerkannt werden. | |
Kritiker befürchten, dass es künftig zu mehr Falschbeschuldigungen kommt. | |
Sie auch? | |
Nein. Wer jemandem eine Vergewaltigung anhängen will, konnte das auch | |
bisher tun. Bei Sexualdelikten sind meist nur zwei Menschen zugegen. Es | |
steht also Aussage gegen Aussage. Letztlich kommt es immer auf die | |
Plausibilität und Glaubwürdigkeit der Aussagen an. Ich sehe deshalb keine | |
neuen Gefahren durch die Reform. Und natürlich gilt auch in Zukunft der | |
Satz „Im Zweifel für den Angeklagten.“ | |
5 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-06/rechtspolitik-sexuals… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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