| # taz.de -- Jurist über Haftentschädigung für Unschuldige: „Es gibt keine … | |
| > Zu Unrecht Inhaftierte bekommen jetzt 75 Euro pro Tag als Entschädigung. | |
| > Das ist „die unterste Grenze“, sagt Ulrich Schellenberg vom | |
| > Anwaltsverein. | |
| Bild: „Es gibt ja noch die Logik des Gefängnisalltags, da erwartet man von I… | |
| taz: Herr Schellenberg, wer unschuldig in Untersuchungshaft oder im | |
| Strafvollzug saß, bekommt nach einer Gesetzesänderung jetzt als | |
| Schmerzensgeld 75 Euro pro Hafttag, davor waren es nur 25 Euro. Ist das | |
| genug? | |
| Ulrich Schellenberg: Es ist ein großer und schwerer Eingriff in die | |
| persönlichen Rechte, wenn jemand auch nur einen Tag unschuldig im Gefängnis | |
| sitzt, deswegen sind 75 Euro als Schmerzensgeld die unterste Grenze. Wir | |
| fordern 100 Euro. In den skandinavischen Ländern gibt es zwischen 150 und | |
| 200 Euro pro Tag. | |
| Welche Entschädigung abgesehen von diesem pauschalierten Schmerzensgeld | |
| kann man noch beanspruchen? | |
| Der erlittene Vermögensschaden, zum Beispiel der Verdienstausfall, die | |
| ausgebliebenen Einzahlungen in die Rentenversicherung und die Kosten für | |
| den Anwalt können geltend gemacht werden. Was uns als Anwaltverein stört, | |
| ist die Tatsache, dass Sie Ihren durch die Haft erlittenen Verdienstausfall | |
| auf das Komma genau belegen müssen. Die Beweislast liegt bei Ihnen, auch | |
| dafür, wie sich etwa Ihr Berufsweg, Ihr Einkommen entwickelt hätte ohne die | |
| Haft. Dabei sind ja oft Urkunden verloren gegangen im Laufe der Haft. Wir | |
| fordern, dass die Beweislast umgekehrt wird und es schon reicht, wenn man | |
| etwa als Selbstständiger durch einigermaßen glaubhafte Belege den | |
| Verdienstausfall geltend machen kann. | |
| Unschuldig Verurteilte haben oft große Zukunftssorgen. Welche Hilfen gibt | |
| es da? | |
| Unschuldig Inhaftierte sind nach ihrer Entlassung völlig auf sich gestellt, | |
| es gibt keinerlei Anlaufstelle, obwohl vielleicht die Wohnung, die Arbeit | |
| weg sind. Wir fordern daher, dass jede Justizverwaltung einen Ombudsmann | |
| hat, der für diese Leute ansprechbar ist. | |
| Es muss traumatisch sein, jahrelang unschuldig in Haft zu sitzen. | |
| Ich habe einmal mit Monika de Montgazon gesprochen, jener Frau, die 2005 in | |
| Berlin wegen angeblichen Mordes an ihrem Vater zu einer lebenslangen | |
| Haftstrafe verurteilt wurde und 2008 vom Bundesgerichtshof nach Vorlage | |
| neuer Gutachten der Sachverständigen freigesprochen wurde. Sie bekam damals | |
| an Schmerzensgeld elf Euro pro Hafttag, nach 888 Tagen im Gefängnis. „Man | |
| verliert den Glauben an die Gerechtigkeit“, sagte sie mir. | |
| Es gibt ja noch die Logik des Gefängnisalltags, da erwartet man von Ihnen, | |
| dass Sie Ihr Unrecht einsehen, sonst gelten Sie im Vollzug als hartnäckig, | |
| bekommen unter Umständen weniger Vergüngstigungen und so weiter. Irrtümer | |
| passieren, aber es gibt in Deutschland keine Fehlerkultur, keine | |
| institutionalisierte Entschuldigung. Die Betroffenen werden von der Justiz | |
| nicht zur Kenntnis genommen. | |
| 12 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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