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# taz.de -- Entschädigung für unrechtmäßige Haft: 9.000 Euro für ein Jahr …
> Der Rocker Mustafa Y. saß zwei Jahre in Haft. Dann reduzierte der
> Bundesgerichtshof das Strafmaß auf ein Jahr. Nun bekommt Y.
> Haftentschädigung.
Bild: Die Justizvollzugsanstalt Oldenburg: Hier saß Mustafa Y. zwei Jahr ab �…
Bremen taz Mustafa Y. ist ein Hells-Angels-Rocker und gewiss keiner von der
zimperlichen Sorte. In seinem Vorstrafenregister stehen mehrere Fälle von
Körperverletzung, Raub und räuberischer Erpressung. Dafür hat er gesessen.
Gleichzeitig hat er ein Anrecht auf eine gerechte Beurteilung – das hat das
Landgericht Oldenburg jüngst festgestellt. Zwei Jahre hat Mustafa Y. in
Untersuchungshaft gesessen, allein wegen des „Führens einer Waffe“. Zu
Unrecht, wie das Landgericht nun feststellte.
Die Geschichte ist einigermaßen kurios. Es geht um das spurlose
[1][Verschwinden des Rockers Rezan Çakici am 3. Juli 2017]. Die
Kriminalpolizei geht von Mord aus – aber es gibt bis heute keine Leiche und
keine Spur. Der Vater des Verschwundenen verdächtigte Mustafa Y., etwas
über den Verbleib seines Sohnes zu wissen. Y. wurde bedroht, damit er
Auskunft gebe. Er meldete die Bedrohungen der Polizei – und bekam von der
die Auskunft, sie könne ihm da leider nicht helfen.
Dann kam es zu einem verhängnisvollen Treffen. Vater Çakici hatte sich in
der Oldenburger Trockenbaufirma angekündigt, die Mustafa Y. damals leitete.
Y. war klar, dass Vater Çakici bewaffnet kommen würde, er steckte sich auch
eine Pistole ein. Dass Y. auch bei diesem Treffen angeben würde, er wisse
nichts über den Verbleib von Rezan Çakici, war klar – Vater Çakici forderte
auch nur Geld, sagt Mustafa Y.
Um die finanzielle Forderung zu unterstreichen, richtete der mitgekommene
Bruder des Vaters ein Messer gegen Mustafa Y. Der wusste, dass dem Bruder
in der Türkei ein Mord mit einem Messer vorgeworfen wird. Y. zog seine
Waffe, schoss, erst in den Boden, und als der Bruder ihn weiter bedrängte,
auch auf den Angreifer. Er traf ihn tödlich. Y. rief selbst die Polizei.
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg klagte den Hells Angel wegen Mordes an.
Das Landgericht sprach ihn im Februar 2018 von diesem Vorwurf frei. Er habe
in Notwehr gehandelt. Nur die Waffe, eine Walther P22, hätte er nicht
führen dürfen, so das Gericht.
In dem Prozess saß der Vater des verschwundenen Rezan als Nebenkläger, also
sozusagen auf der Seite der Ankläger. Dafür, dass auch er eine Waffe dabei
hatte, bekam er später einen Strafbefehl – ein halbes Jahr auf Bewährung.
Mustafa Y., der eine Waffe dabei hatte, um sich zu wehren, bekam wegen des
Führens der Waffe zwei Jahre und sechs Monate – ohne Bewährung. Und während
der Revisionsantrag beim Bundesgerichtshof schmorte, saß er in
Untersuchungshaft – wegen Fluchtgefahr. Denn, so begründete das Landgericht
– um der Gewaltdrohung des Vaters Çakici zu entgehen, könnte Mustafa Y. ins
Ausland fliehen.
Zwei Jahre insgesamt saß Y. in Untersuchungshaft, da hob der
Bundesgerichtshof das Urteil auf. Der Vorsitzende Landrichter Sebastian
Bührmann hatte sich offenbar im Waffenrecht nicht ausgekannt: Unter dem
„Führen“ von Waffen versteht das Waffengesetz das „Ausüben der
tatsächlichen Gewalt über Waffen außerhalb des umfriedeten Besitzes“. In
den eigenen „umfriedeten“ Geschäftsräumen geht es um den „Besitz“ ein…
Waffe, nicht um das „Führen“. Besitzen durfte Mustafa Y. die Waffe in der
Situation der Notwehr. Was er nicht durfte, war sich in Erwartung dieser
Situation zwei Stunden vorher die Waffe einzustecken. Allein dafür dürfe er
bestraft werden, so der Bundesgerichtshof.
In der Wiederaufnahme des Verfahrens wurde Mustafa Y. nun mit einem Jahr
Haft bestraft – da er das schon abgesessen hat, müsse man über die Frage
der Bewährung nicht weiter nachdenken, erklärte der Richter. Für das andere
Jahr U-Haft, das Y. absitzen musste, bekommt er Haftentschädigung, rund
9.000 Euro.
19 Dec 2019
## LINKS
[1] /Rockermilieu-und-kurdische-Grossfamilie/!5524493
## AUTOREN
Klaus Wolschner
## TAGS
Justiz
Justizvollzug
Hells Angels
Oldenburg
Untersuchungshaft
Justizpolitik
Rocker
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