# taz.de -- Streit im Rockermilieu: Der Feind in der Familie | |
> Einer erschossen, einer verschwunden, einer auf der Flucht, einer bedroht | |
> – das Landgericht Oldenburg konnte eine Serie von Gewalttaten nicht | |
> aufklären. | |
Bild: Schwer bewaffnete Polizisten schützen das Verfahren am Oldenburger Landg… | |
BREMEN taz | Geschützt durch schwer bewaffnete Sondereinheiten der Polizei | |
hat das Landgericht Oldenburg Anfang dieses Jahres über mehrere Wochen | |
versucht, Licht in eine örtliche Kriminalgeschichte zu bringen. | |
Am Tatort lag eine Leiche, soviel ist klar. Es gibt einen Täter, der sich | |
widerstandslos festnehmen ließ – er hatte erst geschossen, nachdem er | |
mehrfach darauf gedrungen hatte, dass die Polizei in dem Streit gerufen | |
wird. Der Tatort ist eine kleine Trockenbaufirma in der Nahdorster Straße | |
in Oldenburg, deren Inhaber in die Türkei geflüchtet ist – offenbar vor der | |
Blutrache seines Onkels. | |
Die Fäden der Geschichte führen in einen Familienstreit – und ins regionale | |
Rockermilieu. | |
Alles fing im Sommer 2017 an. Seit dem 3. Juli 2017 ist ein Sohn der | |
Familie Cakici, der ehemalige Hells-Angels-Rocker Rezan, verschwunden. | |
Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm – nicht einmal Vater Necat, | |
dessen Facebookseite ein einziges Trauerdenkmal ist, hat eines bekommen. | |
Der Vater geht inzwischen davon aus, dass sein Sohn tot ist, ermordet. | |
Rezan war durch den Hinterausgang der Shisha-Bar verschwunden, die er | |
gemeinsam mit seinem Cousin Ali betreibt, hatte vorher Autoschlüssel, | |
Geldbörse und Pistole auf den Tresen gelegt und erklärt, er komme gleich | |
wieder. Kurz nach dem Verschwinden hieß es in einem gewöhnlich gut | |
informierten Rocker-Blog, die Hells Angels Nomads Turkey würden Rezan | |
vorwerfen, er habe eine sechsstellige Euro-Summe abgezweigt. | |
Im Gerichtsverfahren hatte sein Vater Necat, der dort als Nebenkläger | |
vertreten war, deutlich gemacht, wen er für den Drahtzieher des | |
Verschwindens hält: Ali, den Sohn seines Bruders und Inhaber der | |
Trockenbaufirma. | |
Aber Ali bestreitet die Vorwürfe. Nach eigenen Angaben hat er nichts mit | |
Rezans Verschwinden zu tun, fürchtet aber, ins Fadenkreuz der Ermittlungen | |
zu geraten – der polizeilichen wie der familiären. „Entweder tötet Necat | |
mich oder ich töte ihn“, soll er sinngemäß gesagt haben, bevor er in die | |
Türkei abgereist ist. So berichtete es zumindest Alis Vater vor Gericht. | |
Wenige Tage nachdem Ali sich in die Türkei abgesetzt hatte, besuchte Necat | |
Cakici, der Vater des verschwundenen Rezan, die Oldenburger Trockenbaufirma | |
– mit einer Pistole in der Tasche. Da der Firmeninhaber nicht greifbar war, | |
wollte Vater Necat mit Alis treuem Angestellten Mustafa Y. „reden“ – er | |
forderte ultimativ Auskunft über das Schicksal seines Sohnes. Und Geld. | |
Mitgebracht hatte er „als Zeugen“ einen anderen Bruder, Zülfü Cakici. | |
In der Trockenbaufirma kam es schnell zum Streit. Nach dem Bericht des | |
Angeklagten Mustafa Y. hatten die beiden Brüder alles Geld gefordert, das | |
im Tresor lag. | |
## Die Notwehr-Version | |
Auf die Gegenfrage, ob das „Schutzgeld“ sein solle, sei der als „Zeuge“ | |
mitgekommene Bruder Zülfü Cakici mit einem Messer auf ihn losgegangen. In | |
Notwehr habe er geschossen, erst auf den Boden, dann auf den Angreifer. | |
Das Gericht hielt die „Notwehr“-Version für glaubwürdig und verurteilte d… | |
Schützen vergangene Woche nur wegen illegalen Waffenbesitzes zu zweieinhalb | |
Jahren Haft. Worum es wirklich bei dem Streit geht, hat das Gericht nicht | |
herausgefunden. | |
Auf welcher Grundlage er Geld gefordert habe, hatte das Gericht Vater Necat | |
Cakici gefragt. Er habe da öfter Geld bekommen, erzählte er, und außerdem | |
sei es nicht viel gewesen. In seiner Tasche fand die Polizei an diesem Tag | |
nicht nur eine Pistole, sondern auch ein dickes Bündel 50-Euro-Scheine. | |
Offenbar geht es bei dem innerfamiliären Machtkampf nicht um kleine | |
Geldsummen, sondern um so viel Geld, dass alle Schlichtungsmechanismen | |
versagen. | |
## Keine Hilfe für die Polizei | |
Schwer bewaffnete Polizisten durchsuchten Necat Cakici und sein Auto sehr | |
ausführlich, als der am dritten Verhandlungstag als Nebenkläger vor dem | |
Oldenburger Landgericht vorfuhr. | |
In dem eigentlichen „Fall“, dem Verschwinden von Rezan Cakici, tappen die | |
staatlichen Ermittler nach wie vor im Dunkeln. Weder Angehörige der | |
zerstrittenen Cakici-Familie noch der Angestellte Mustafa Y. wollten | |
irgendetwas sagen, was der Polizei weiterhelfen könnte. | |
Nur einmal gab es einen kleinen Hinweis: Ein anderer Neffe berichtete in | |
einer Vernehmung bei der Polizei, dass er einmal damit gedroht habe, die | |
„schmutzigen Geschäfte“ des Trockenbaufirmen-Inhabers Ali der Polizei zu | |
erzählen – wenn es nicht Informationen über das Schicksal des | |
verschwundenen Rezan gebe. „Auch BTM“, also Betäubungsmitteldelikte oder | |
auf Deutsch: Drogengeschäfte seien da im Spiel. Offenbar hat er aber seine | |
Drohung nicht wahr gemacht. | |
## „Ich kämpfe bis zum letzten Tropfen“ | |
Da der verschwundene Rezan zeitweise bei der Rockergruppe „Hells Angels | |
Nomads Turkey Bielefeld“ aktiv war und dort wegen seines politischen | |
Engagements für den Kampf der PKK rausgeflogen ist, gab es am Anfang den | |
Verdacht, dass es sich um einen Rockerkrieg handele. 2014 hatte Rezan | |
Cakici in einem Facebook-Video verkündet „Ich bin ein stolzer Kurde“ und: | |
„Wer von euch meint, meine Familie oder mich zu bedrohen, der wird sehen. | |
Wer sich meiner Haustür nähert, der wird ganz genau noch sehen, was er | |
davon hat. Ich kämpfe bis zum letzten Tropfen.“ | |
Das ist drei Jahre her. Es ist nicht zum Rockerkrieg gekommen. Man habe | |
sich längst versöhnt, sagen Beobachter. Auch Neffe Ali ist bei den Turkey | |
Hells Angels. Und der Angestellte in Alis Trockenbau-Firma, Mustafa Y., | |
auch. | |
Necat Cakici, der auf eigene Faust das Schicksal seines verschwundenen | |
Sohnes Rezan aufklären will, hat am 7. November 2017 eine eindeutige | |
Botschaft erhalten: Mitten in der Nacht explodierte unter dem Kofferraum | |
seines Passats, der im Bremer Stadtteil Vahr abgestellt war, eine selbst | |
gebaute Nagelbombe. | |
## Von den Tätern fehlt jede Spur | |
Von den Tätern fehlt jede Spur. Die „Handschrift“ des Sprengsatzes, erklä… | |
die Polizei, sei ein Hinweis auf eine Drohung im Rockermilieu. Aber wer da | |
mit welchem Ziel gedroht hat – das ist vollkommen unklar. | |
Auf der Facebookseite des Vaters erschien unter dem Verzweiflungsruf „WO | |
IST REZAN“ Anfang Februar 2018 für wenige Stunden das Bild einer | |
Maschinenpistole – mit dem Kommentar „Son söz bonun olacak – die hat das | |
letzte Wort“. Gemeint ist die Maschinenpistole. Die Botschaft war klar: | |
Wenn jene, die für das Verschwinden seines Sohnes verantwortlich sind, | |
nicht verhandlungsbereit sind, ist er bereit zum Äußersten. Möglicherweise | |
war das seine Antwort an die Bombenleger. | |
„Wir werden die Hintergründe des Geschehens in diesem Verfahren vermutlich | |
nicht aufklären können“, hatte der Staatsanwalt schon am dritten | |
Verhandlungstag resigniert eingeräumt. Klar ist nämlich eine Regel: Mit der | |
Polizei kooperiert man nicht. Beide Seiten nicht. Auch der angeklagte | |
Todesschütze hat über die Hintergründe des Streits geschwiegen. Offenbar | |
haben beide Seiten die Sorge, dass die Polizei ihre Geschäfte illegal | |
finden könnte. | |
## Schusswaffe gefunden | |
Demnächst müssen sich gleich zwei Familienmitglieder – Vater Necat und ein | |
Neffe – ebenfalls wegen illegalen Waffenbesitzes vor Gericht verantworten. | |
Dieser Neffe war mit einem Hells-Angels-Rocker zusammen im Porsche des | |
verschwundenen Rezan angetroffen worden. | |
Die Durchsuchung hatte eine Schusswaffe zutage gefördert. Und der Vater, so | |
hatte der Neffe vor Gericht ausgesagt, „hatte nach dem Verschwinden von | |
Rezan eigentlich immer eine Waffe bei sich“. Nicht nur bei seinem Besuch in | |
der Trockenbaufirma am 27. Juli. | |
Offensichtlich will die Familie den Streit „unter sich“ ausmachen. Als der | |
Nebenkläger Necat Cakici am letzten Verhandlungstag das Wort erteilt bekam, | |
las er eine kurze Erklärung auf kurdisch vor. „Du bist der Mörder meines | |
Bruders und meines Sohnes“, erklärte er, gerichtet an den Angeklagten, | |
„selbst wenn 100 Jahre vergehen, ich werde dich nicht in Frieden lassen.“ | |
28 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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