# taz.de -- Journalist über Proteste in Thailand: „Unzufrieden seit einem Ja… | |
> Pravit Rojanaphruk begleitet als Journalist die Proteste in Thailand. Er | |
> erklärt, warum sie trotz der Festnahme von Führungspersonen nicht | |
> nachlassen. | |
Bild: Auch nach Festnahmen der Führungspersonen lassen die Demonstranten sich … | |
taz: Pravit Rojanaphruk, warum lassen sich die Demonstranten bisher nicht | |
vom [1][kürzlich verhängten Ausnahmezustand], von der Festnahme ihrer | |
AnführerInnen und zuletzt dem Einsatz von Wasserwerfern einschüchtern, | |
sondern nehmen die Proteste noch zu? | |
Pravit Rojanaphruk: Die Demonstrierenden heute sind eine neue Generation, | |
die andere Vorstellungen von Thailands Zukunft hat als die Älteren, zu | |
denen ich gehöre. Die meisten sind unter dem Militärregime aufgewachsen – | |
[2][der Putsch war im Mai 2014] – also vor 6,5 Jahren hat General Prayuth | |
die Macht übernommen. Wir hatten seitdem Wahlen, aber wir haben nur eine | |
Scheindemokratie. Jetzt sind politische Treffen ab fünf Personen verboten, | |
sogar Selfies von den Demos ins Netz zu stellen ist strafbar. Die Jungen | |
zeigen, dass sie so nicht leben wollen und sie haben gemerkt, dass die | |
Monarchie dabei ein zentraler Punkt ist. | |
Bevor wir gleich zur Rolle Monarchie kommen, worin unterscheidet sich die | |
heutige Protestbewegung von früheren? | |
Die Jugendlichen wollen unbedingt mitbestimmen, dabei studieren sie noch | |
oder gehen auf die Oberschule. Sie fühlen, dass es möglich sein muss, den | |
König zu kritisieren und rechenschaftspflichtig zu machen. Sie denken eher | |
an eine Monarchie wie in Japan oder Großbritannien, wo sich Kaiser und | |
Königin strikt der Verfassung unterwerfen und aus der Politik raushalten | |
müssen. Es ist für sie inakzeptabel, dass Thailands König Militärputsche | |
absegnet. In Japan zum Beispiel steht der Kaiser heute außerhalb der | |
Politik. Natürlich wundern sich die Demonstranten, warum der König, der als | |
reichster Monarch der Welt gilt, von den Steuern in Thailand bezahlt wird, | |
[3][obwohl er meist in Bayern] lebt. Der König hat sich jetzt auch noch die | |
Entscheidungsgewalt über diese Mittel gesichert, die vorher beim | |
Finanzminsterium lag. | |
Die Regierung hat inzwischen alle Führer der Protestbewegung verhaftet, | |
aber die Proteste gehen unbeeindruckt weiter. Wie ist das möglich? | |
Die jetzige Protestbewegung war nie hierarchisch. Die Unzufriedenheit über | |
die Monarchie brodelt seit einem Jahrzehnt und ist quasi ideologisch, das | |
hängt nicht von Führungspersonen ab. Letztere sind meist nur zufällig in | |
diese Rolle geraten, weil sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgedrückt | |
haben, was viele denken. Erst in dem Moment, wo sie das Tabu gebrochen und | |
öffentlich die Monarchie kritisiert haben, wurden sie zu Führern. Die | |
jetzige zweite Reihe entscheidet momentan nur darüber, wo man sich zum | |
nächsten Protest trifft, also heute etwa an allen U-Bahn- und | |
Hochbahnstationen. Momentan fürchten sie, dass die Regierung Facebook | |
zwingen könnte, ihr Seite zu schließen, weil sie darüber ihre | |
Entscheidungen bekannt geben. | |
Wie bewerten Sie das Verhalten der Regierung: Sie verkündet scharfe | |
Repression, setzt diese dann aber nicht strikt durch. Wird sie zum | |
Papiertiger oder würde sie sonst ihre verbleibende Legitimation völlig | |
verlieren? | |
Die Regierung ist in der Tat in einem Dilemma. Als sie am Freitagabend | |
versucht hat, hart gegen die friedlichen Demonstrierenden durchzugreifen, | |
ging das nach hinten los und hat ihr viel Kritik aus dem In- und Ausland | |
gebracht und die Proteste nur weiter angeheizt. Am schlimmsten war dieser | |
[4][aus Südkorea stammende Wasserwerfer], der auch Chemikalien und | |
Tränengas versprüht sowie Farbe, um die Demonstrierenden für eine Festnahme | |
zu markieren. Mir geht es seit dessen Einsatz erst seit heute wieder | |
normal. | |
Wie reagiert der König auf die Kritik an ihm? | |
Bei einer Audienz am Samstag erklärte der König, wir bräuchten Menschen, | |
die Thailand und die Monarchie als Institution lieben. Das finde ich sehr | |
beunruhigend, denn das kann man als Mobilisierung von Royalisten und | |
Ultraroyalisten verstehen. Zu Forderungen der Studierenden nach Reformen | |
der Monarchie hat er nichts gesagt. Es könnte jetzt auch zu weiteren | |
Konfrontationen kommen. | |
Sie waren dabei, als der Konvoi der Königin und des Prinzen am vergangenen | |
Dienstag erstmals in Thailands Geschichte direkt mit friedlichen | |
Demonstrierenden konfrontiert war. War das gar eine Falle der Polizei, um | |
unter einem Vorwand gegen den Protest vorzugehen? | |
Zwei Festgenommenen droht jetzt lebenslängliche Haft. Es ist nicht ganz | |
klar, einer soll schon auf Kaution freigelassen worden sein, aber insgesamt | |
sieht es nach einer aufgeblähten Geschichte aus. Wir wussten dort nicht, | |
dass ein royaler Konvoi vorbeifahren würde. Normalerweise sperrt die | |
Polizei vorher die Strecke ab und kündigt das auch an. Das geschah jetzt | |
alles nicht und alle waren überrascht. Die Hintergründe kennen wir nicht, | |
es gibt viele Spekulationen. | |
Wie ist das Verhältnis zwischen König Maha Vajiralongkorn und | |
Regierungschef Ex-General Prayuth und dem Militär? | |
Klar ist, dass sich Prayuth an die Macht putschte, bevor der König | |
inthronisiert wurde. Er ist also nicht der Kandidat des Monarchen. Und | |
Prayuth ist auch kein Ultraroyalist. Er erweist dem König nur seinen | |
Respekt. | |
Könnte der König also versuchen, den Reguierungschef auszuwechseln, um | |
seinen eigenen Einfluss zu behalten? | |
Momentan sehe ich eher die Möglichkeit eines weiteren Putsches. Und jeder | |
Putsch braucht den König, um diesen abzusegnen, weil es sonst nur eine Art | |
Meuterei wäre. Es gab schon größere Truppenbewegungen von der Westgrenze | |
nach Bangkok, was manche schon einen Putsch durch Prayuth bezeichnen, der | |
ja mit der Verschärfung des Notstandes fast schon das Kriegsrecht verhängt | |
hat. | |
Thailands König wurde kürzlich im Deutschen Bundestag wie vom | |
Bundesaußenminister dafür kritisiert, dass er von Deutschland aus in | |
Thailand Politik macht. Wie kam diese Kritik in Thailand an? | |
Die thailändischen Medien sind weitgehend zensiert einschließlich des | |
Webportals, für das ich arbeite. Es wurde dort meines Wissens nach nicht | |
berichtet. Die Menschen wissen aber trotzdem Bescheid, weil darüber in den | |
sozialen Medien berichtet wurde. Besonders Twitter und Facebook tragen auch | |
dazu bei, dass die Demonstrierenden nicht aufgeben, sondern täglich neue | |
Themen setzen und Aktionen machen. Bei Twitter gibt es täglich etwa drei | |
neue Hashtags, gerade wird darüber zu Protesten aufgerufen. Das ist die | |
neue öffentliche Sphäre. | |
Welche Szenarien sehen Sie für die Zukunft? | |
Erstens ein Selbstputsch, also Prayuth erklärt das Kriegsrecht, löst das | |
Parlament auf und setzt eine neue, auf den ersten Blick neutralere | |
Kommission zur Aufarbeitung einer neuen Verfassung ein. Damit würde er für | |
etwa zwei Jahre Zeit gewinnen, dann würde es zu Wahlen kommen, für die er | |
Oppositionelle für eine Koalitionsregierung zu kooptieren versuchen könnte. | |
Das zweite Szenario wäre darauf zu setzen, dass die Proteste der | |
Studierenden einfach nachlassen, weil sie zunehmend erschöpft sind. Wer | |
hält länger durch? Prayuth könnte auch versuchen, durch gewisse | |
Zugeständnisse wie eine neue Verfassungskommission den Protestierenden den | |
Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn die dann ihre Ergebnisse vorlegt, wäre | |
das ohnehin die Zeit der nächsten Wahlen. Das dritte Szenario wäre der | |
Putsch einer andere Fraktion des Militärs, also etwa von Ultraroylisten | |
oder Offizieren, die dem König näher stehen als Prayuth. Das vierte | |
Szenario wäre ein Sieg der Studierenden und ein Kompromiss über die Reform | |
der Monarchie. So etwas hatten wir in Thailand noch nicht. Und das fünfte | |
Szenario wäre ein Abgleiten des Landes in eine Art Bürgerkrieg. Es würde | |
Massenverhaftungen geben und Menschen wie ich würden ins Gefängnis | |
geworfen. Es könnte blutig werden und zu einem offenen Krieg für eine | |
thailändische Republik führen. Momentan erleben wir den Beginn des ersten | |
Szenarios, aber es ist unklar, ob Prayuth damit durchkommt. Ich selbst | |
bereit mich darauf vor, bald verhaftet zu werden. Bitte helft mir, wenn ich | |
im Gefängnis sitze. | |
Um zu gewinnen, bräuchten die Demonstrienden aber Verbündete, oder? | |
Ja, die wird es aber nicht geben, solange nicht Tausende verhaftet werden. | |
Erst dann gibt es Leute im Apparat, die vielleicht die Seite wechseln. | |
Bisher ist die Protestbewegung ohne Führung und hat sich am Beispiel | |
Hongkongs orientiert nach dem Motto „seid wie Wasser“. Das ist eine Art | |
Guerillaprotest. In Hongkong hat die Protestbewegung so gut wie verloren. | |
Das kleine Hongkong ist mit der Übermacht Chinas konfrontiert. Bei uns gibt | |
es nicht nur Proteste in Bangkok, sondern in vielen Städten. | |
19 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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