# taz.de -- Jonas Mekas im Wiener Filmmuseum: Einfache Freuden, Ekstasen, Glück | |
> Er ist der große alte Mann des US-amerikanischen Avantgardefilms. Im | |
> Wiener Filmmuseum stellt Jonas Mekas jetzt seine Werke vor. | |
Bild: Jonas Mekas in seinem Film „Scenes from the Life of Andy Warhol“ (196… | |
Erinnerungen sind wie ein Haus, das man bewohnen kann. Um sich an einem | |
fremden Ort wohlzufühlen, muss man also durch ein paar Zimmer, Gänge und | |
Stockwerke gegangen und dort anderen Menschen begegnet sein. | |
„1965, also 15 Jahre nachdem ich von Litauen nach New York gekommen bin, | |
hatte ich endlich genug Erlebnisse gesammelt, um an bestimmten Straßen im | |
East Village oder von Soho dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu bekommen“, | |
erinnert sich Jonas Mekas an seine ersten Jahre in New York, als wir uns in | |
einem Hotel am Wiener Petersplatz zum Gespräch treffen. | |
Seine „Wiedergeburt“ erlebte der Filmemacher, Poet und Gründer des | |
Anthology Film Archive, einer zentralen New Yorker Institution für den | |
experimentellen Film, allerdings schon ein paar Jahre davor, als er vom | |
Einwanderermilieu in Brooklyn und vor der Wehmut über die verlorene Heimat | |
nach Manhattan hinüberwechselte: „Dort begann mein Leben mit dem Film, mit | |
der Kultur. Ich ließ mein altes Ich zurück. Im Kino wuchs ich wie ein Kind | |
nochmals auf. Da fühlte ich mich sofort wie daheim.“ Sein Tagebuchfilm | |
„Lost Lost Lost“ (1976) erzählt von dieser Neuerfindung. | |
Mekas, den man immer wieder als den Paten des US-amerikanischen | |
Undergroundkinos bezeichnet hat, wurde im vergangenen Jahr zu Weihnachten | |
90 Jahre alt. Nach der Serpentine Gallery in London und dem Centre Pompidou | |
in Paris wird sein Werk nun auch in Wien gezeigt: Eine [1][Retrospektive] | |
ist im Filmmuseum, eine Ausstellung bei Krinzinger Projekte zu sehen. | |
## In die Köpfe gelangen | |
Mekas’ Beziehung zur Stadt Wien ist eng, denn die österreichische | |
Avantgarde der 1960er Jahre war mit jener der USA gut vernetzt. In der | |
Ausstellung sind so auch Mekas’ neu angefertigte Porträts von drei | |
österreichischen Freunden zu sehen, jene des Filmemachers Peter Kubelka, | |
mit dem er das Anthology Film Archive gegründet hat, des Malers Hermann | |
Nitsch und des 2010 verstorbenen Architekten Raimund Abraham. | |
Die Porträts von Kubelka und Abraham sind jeweils sechs Stunden lang. | |
„Monumental!“, so Mekas, in dem immer noch das Feuer der Begeisterung | |
lodert: „In meinen Porträts gebe ich den Menschen Raum, lasse sie reden, | |
sodass man wirklich in ihre Köpfe gelangt und ihre Arbeitsweise versteht.“ | |
Das Material dazu stammt aus den letzten 40 Jahren – solange eben auch | |
diese Freundschaften schon existieren. Das Beste wäre, sagt Mekas, man | |
könnte die Filme nach Hause mitnehmen, wie Bücher – man würde ja | |
schließlich auch nicht in der Buchhandlung lesen. | |
Mekas’ Freundschaften mit Künstlern haben sein ganzes Werk geprägt. Robert | |
Frank, George Maciunas, Ken Jacobs, Yoko Ono, Jackie Kennedy, natürlich | |
Andy Warhol, um nur ein paar wenige zu nennen, sind in seinen Filmen zu | |
sehen. Aber Mekas betrachtet sich selbst nicht als Chronisten, nicht einmal | |
autobiografisch will er die Arbeiten nennen: „Ich habe bis heute nicht ganz | |
begriffen, was ich da tue“, sagt er und lacht auf: | |
„Ich verstehe mich mehr als Anthropologe, als anthropologischer | |
Filmemacher. Ich nehme nicht nur mein eigenes Leben auf, sondern Momente, | |
Aktivitäten der Menschheit – man kann sie an vielen Orten der Welt | |
wiederfinden. Es sind universelle Momente der Freude, des Feierns, | |
Erinnerungen, Ereignisse, die nicht außergewöhnlich sind, sondern | |
alltäglich. Ein jeder kann sich damit identifizieren.“ | |
## Saufgelage mit Freunden | |
„Nothing is happening in this film.“ So lautet denn auch in einem seiner | |
umwerfendsten Werke, „As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief | |
Glimpses of Beauty“ (2001), das Credo. Der Film ist ein rund fünfstündiger | |
Fluss aus flüchtigen Momenten des Lebens: eine Frau im Bett, der Vorhang | |
weht sanft ins Zimmer, dahindämmernde Katzen, Saufgelage mit Freunden. | |
Immer wieder wird von Mekas’ typischem Singsang, dem Voice-over, die | |
Schönheit der Welt beschworen, die eine Schönheit der Bilder ist, am | |
Schneidetisch arrangiert. | |
Mekas’ Blick gilt der dionysischen Seite des Daseins, Ekstasen, auch den | |
einfachen Freuden: „Ich interessiere mich nicht für die Dunkelheit meiner | |
Zeit, für all die Grausamkeiten. Davon gibt es ohnehin genug. Ich bevorzuge | |
die andere Seite. Ich bin der Propagandafilmer des Glücks.“ | |
Ist dieser Vorrang des Schönen eine Reaktion auf seine Kindheit und die | |
Flucht vor den Russen und den Deutschen? „Meine Kindheit war sehr | |
glücklich. So lange, bis jene einmarschiert sind, die glaubten, wir sind | |
nicht glücklich, und uns ihr Glück aufzwingen wollten.“ | |
## Vorbild Beat-Generation | |
Mekas’ Filmarbeiten – seit den 1990er Jahren dreht er auf Video – sind al… | |
direkt in der Kamera geschnitten (wobei da kleinere Zweifel berechtigt | |
sind), nachträglich werden nur die Zwischentitel eingefügt, Stellen | |
geklebt. Als er in den 1950ern zu filmen begonnen hat, sei ihm noch nicht | |
klar gewesen, was er da eigentlich tue: „Das Werkzeug ist da, aber man muss | |
auch zu einer bestimmten Geistesgegenwart gelangen. Ich war noch in diesem | |
alten System gefangen.“ | |
Mekas’ erste Filmarbeit, „Guns of the Trees“ (1961), war noch viel | |
narrativer, der Gefängnisfilm „The Brig“ (1964) danach ein | |
Living-Theatre-Projekt. „Ich benötigte Zeit, um mich zu befreien. Es hat | |
bestimmt zehn Jahre gedauert, um die Kamera richtig zu bedienen.“ Geholfen | |
hat das Vorbild der Beat-Generation in den 50ern, Schriftsteller oder | |
Filmemacher wie Jack Kerouac und John Cassavetes, die auf Improvisationen | |
setzten. | |
1954 gründete Mekas gemeinsam mit seinem Bruder Adolfas die Zeitschrift | |
Film Culture, die zwar die ganze Bandbreite des Kinos thematisierte, sich | |
aber bald zum publizistischen Leitblatt des New American Cinema | |
verwandelte. Eine wichtige Funktion als Kritiker übte Mekas auch als | |
Kolumnist der Village Voice aus. | |
Welche Ziele verfolgte er mit dieser Öffentlichkeit? „Meine Funktion | |
bestand nicht so sehr darin, das Alte zu attackieren, als darin, das Neue | |
zu verteidigen“, sagt Mekas durchaus kämpferisch. Er wollte | |
Aufmerksamkeiten schaffen, das Neue beschreibbar machen. „Ich war für das | |
amerikanische Undergroundkino der Verteidigungsminister und | |
Informationsminister in einem!“ | |
## Ein eigenes Vertriebszentrum | |
Mekas war immer gut darin, neuartige Perspektiven zu entwickeln, im Film | |
wie im wirklichen Leben. „Mir wurde klar, wir dürfen nicht die vorhandenen | |
Verleiher auffordern, unsere Filme zu zeigen, die sie ja nicht gut fanden, | |
vielmehr benötigen wir unser eigenes Vertriebszentrum. Also gründeten wir | |
die ’Filmmaker’s Cooperative‘. Das ging richtig gut, und wir waren unter | |
uns, wir hatten Kontakte zu Universitäten und Museen.“ | |
Diese Freude an immer wieder neuen Formen hat sich Mekas bis ins hohe Alter | |
bewahrt. Auf seiner [2][Homepage] führt er sein visuelles Tagebuch weiter, | |
2007 hat er mit „365 Days“ sogar jeden einzelnen Tag eines Jahres mit einem | |
eigenen Beitrag gewürdigt, insgesamt 36 Stunden Material. Die | |
Vergänglichkeit des Lebens beschäftigt ihn aber nicht per se: „Zeit | |
interessiert mich an und für sich nicht. Die Kamera kann ja nicht in die | |
Vergangenheit zurückgehen, sondern nur das aufzeichnen, was sich vor der | |
Linse abspielt. Jeder Frame, jede Sekunde meiner Filme ist ein | |
gegenwärtiger Moment.“ | |
Versteht er die Filme als Erinnerungen? Mekas lacht wieder auf: „Sie sind | |
Erinnerungen! Lauter vergangene Momente, die ich aufgezeichnet habe. Wir | |
sind selbst das letzte Blatt auf dem Baum der Menschheit mit Erinnerungen | |
an die vor uns.“ Dafür, dass zumindest das filmische Gedächtnis ein wenig | |
länger erhalten bleibt, kämpft Mekas mit dem Anthology Film Archive nun | |
schon seit Jahrzehnten. Dringend realisiert gehöre eine Bibliothek, die | |
noch Raimund Abraham entworfen hat. Mekas gehen die Ideen nicht so bald | |
aus: „Das wird mich sicher die nächsten zwei, drei Jahre beschäftigen.“ | |
Retrospektive der Filme von Jonas Mekas: bis 29. April, Filmmuseum Wien. | |
Vom 11. bis zum 17. April laufen außerdem acht Programme aus den Beständen | |
des Anthology Film Archive. | |
11 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.filmmuseum.at/jart/prj3/filmmuseum/main.jart?rel=de&content-… | |
[2] http://www.jonasmekas.com/ | |
## AUTOREN | |
Dominik Kamalzadeh | |
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