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# taz.de -- Wie das Staunen entsteht: Wenn einem Pony etwas aufgeht
> Jonas Mekas wandert in "Sleepless Nights Stories" durch Hinterhöfe und
> Hinterköpfe (Forum). Er ist der Meister des ungesehenen Schönen.
Bild: Staunen erleben: es geht jede Sekunde um Entscheidendes, auch wenn oder g…
Am Ende eines Tages, wenn es Nacht ist und jetzt andere Gedanken
federführend sind, kann jemand nicht schlafen. So beginnt der Film. Also
macht sich jener Mensch auf und zieht durch New York, durch Wohnungen,
Kneipen, Studios und den vielen Werkräumen im Backstage, wo alles einmal
entsteht und wo noch andere Aufgewühlte anzutreffen sind.
Wer sich aufmacht, ist kein Geringerer als Jonas Mekas, der Meister des
ungesehenen Schönen, der schon einmal mit "As I was moving ahead
ocasionally I saw brief glimpses of beauty" zur Berlinale kam. Wenn ein
Hund von der Neugier an den Spuren und Gerüchen der anderen niemals
sattzukriegen ist, so gilt das auch für Mekas, der oft ähnlich unbemerkt
wie ein Hund am Tisch sitzt und den anderen beim Sprechen zuhört.
Auch das Kameraauge von Mekas entspricht dem einer Hundeperspektive, auf
Tischhöhe, und gern von unten nach oben sehend, als würde man von dort
durch die Nasenlöcher Eingang finden in das Denken der Menschen - oder auch
der Tiere. Auch darum geht es in diesem Film, um die Schönheit von Gedanken
beim Entstehen. Gedanken, die sich unbemerkt an den Tag gehängt haben, um
irgendwann, wenn der rational durchgereichte Tag eingenickt ist, in den
Hinterhöfen und Hinterköpfen aufzugehen.
27 kleine Episoden
Es sind, wie sich leicht denken lässt, nicht die großen oder bedeutsamen
Geschichten und Gedanken, die sich in den rund 27 Episoden zeigen. Doch
statt Deutung, Diskurs oder Geltung anzumelden, entstammen sie direkter
Verwunderung über Erlebtes und Gesehenes und verblüffen so ein ums andere
Mal. Dabei gelingt Mekas Großartiges: Wir erleben häufig genau den
Augenblick, in dem einem Menschen - oder auch einem Pony - etwas aufgeht,
etwas Wichtiges, das sich für immer als etwas Kostbares einschreibt. Wir
erleben, wie Staunen entsteht. Es geht jede Sekunde um Entscheidendes, auch
wenn oder gerade weil es noch so persönlich ist.
Mekas ist sehr genau und entschieden darin, wann ein Gedanke es wert ist
und wann nicht. Einem Künstler, der seine Identität in einer Krise
betrachtet, weil er sowohl als Künstler wie auch als Produzent arbeiten
soll, entgegnet er schlicht: "Some of the thinking is totally useless."
Ein stiller Gedanke dagegen begleitet Mekas auf seinen Wanderungen, es geht
um die Kunst, immer so bei sich zu sein, um stets ein Höchstmaß an Kraft
und Intensität zu halten - auch um sie auszuhalten. Dass Mekas nicht an die
Ruhe denkt, wo er sie zu finden glaubt, scheint gewiss. Von Marina
Abramovich hören wir, dass der Vorwurf, sie habe zu viel Energie, sie, um
die Beziehung zu retten, mehr und mehr dazu gebracht hatte, immer weniger
und weniger zu werden.
Ein Elefantenbaum dagegen muss sich darüber keine Gedanken machen, seine
Energie scheint mit der Intensität und Spannung genau abgestimmt zu sein.
Für die Menschen und Tiere aber scheint es eher so zu sein, dass Energie
etwas ist, das sehr geschickt geführt werden will. Ein kleiner Fehler, und
sie wirft dich ab wie das Pony seine Reiterin, während seine schwarzen
Augen durch die langen Wimpern auf die Verletzte am Boden blickt und sagt:
"Oh Carolee o Carolee, why did you ride me."
Ohne Stereotypien
Wer sich schon gefragt hat, ob Denken und Sprechen auch möglich sind, ohne
dass sich darin allgemeine Systeme und Strukturen oder Stereotypien
abbilden, den wird dieser Film glücklich machen.
Und wer sich von der Sprache der Plakatwände, der Versicherungsflyer oder
Elektronikanbieter, vom Vokabular der Berater oder
Naturinterpretationslehrer in seiner Gattung als Mensch gekränkt sieht, für
den ist Jonas Mekas eine Rettung.
17 Feb 2011
## AUTOREN
Maxi Obexer
## TAGS
Nachruf
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