| # taz.de -- US-Filmemacher über Schlaflosigkeit: "Die anderen wissen, was ich … | |
| > Ein Gespräch mit dem New Yorker Avantgardefilmer Jonas Mekas über | |
| > "Tausendundeine Nacht" und seinen neuen Film, "Sleepless Night Stories" | |
| > (Forum). | |
| Bild: "Je mehr ich arbeite, umso wacher werde ich": Jonas Mekas schneidet seine… | |
| taz: Herr Mekas, seit mehr als zwei Monaten schlafe ich sehr schlecht. | |
| Haben Sie einen Rat für mich? | |
| Jonas Mekas: Lesen Sie "Tausendundeine Nacht". Das inspirierte mich zu | |
| diesem Film. Ich habe die zwölfbändige Ausgabe, eine riesige Sammlung von | |
| Geschichten. Aber eigentlich schlafe ich gut; Schwierigkeiten habe ich nur, | |
| wenn ich reise und an Jetlag leide. Ich reise allerdings recht viel. | |
| Und was passiert dann? Lesen Sie Geschichten aus "Tausendundeine Nacht"? | |
| Normalerweise gehen wir so lange aus, wie es möglich ist. Das hängt vom Ort | |
| ab. | |
| Schlaflosigkeit führt zu einem besonderen Bewusstseinszustand, nicht wahr? | |
| Sie führt in eine andere Welt und stiftet eine besondere Sensibilität. Aber | |
| ich fürchte, ich habe keinen guten Rat gegen Schlaflosigkeit. | |
| Ich lese viel. | |
| Lesen ist vermutlich das Beste. Ich arbeite nachts. Wenn ich meine Filme | |
| schneide, fange ich in der Regel um 11 Uhr abends an. Um 2 Uhr morgens | |
| schläft die Stadt. Nichts von all den bösen Gedanken, die vorher in der | |
| Luft hingen, ist spürbar. Die Ideen können kommen, die Musen finden ihren | |
| Weg zu mir, die Luft ist rein. | |
| Und Sie sind nicht müde? | |
| Nein. Je mehr ich arbeite, umso wacher werde ich. | |
| Der besondere Bewusstseinszustand bedingt auch eine besondere Wahrnehmung. | |
| Was Leute nachts reden, unterscheidet sich von dem, was sie tagsüber reden. | |
| Man lässt sich auf neue Themen ein, ist offener, entspannter, all die | |
| Sorgen ums Überleben, um Geld und Arbeit werden unwichtig. Man lässt | |
| einfach auf sich zukommen, was auch immer da kommen mag. | |
| Und wie kann die Kamera diesen Zustand einfangen? | |
| Indem ich nicht plane, indem ich einfach teilhabe an dem, was später im | |
| Film zu sehen ist. Ich denke nicht nach, das Filmen gehört zur Situation, | |
| niemand stört sich daran, die anderen wissen ja, was ich mache. Manchmal | |
| vergessen sie es sogar. | |
| Aus welchem Zeitraum stammt das Material für "Sleepless Night Stories"? | |
| Aus den letzten zwei, drei Jahren. Ich habe aber noch tausende Stunden von | |
| unbenutztem Material übrig. | |
| Wie wählen Sie denn aus dieser Fülle aus? | |
| Ich bin sehr offen für Zufälle. Kürzlich hat sich eine alte Freundin an | |
| mich gewandt, sie ist Kuratorin am Pariser Museum Jeu de Paume. Sie bat | |
| mich, etwas mit meinem Pariser Material anzufangen. Ich habe nämlich sehr | |
| viel in Paris gedreht, ich liebe die Stadt und habe viele Freunde dort. Und | |
| ich mache aus dem Footage jetzt einen zweistündigen Film und eine | |
| Installation mit vier Monitoren. | |
| Könnten Sie sich "Sleepless Night Stories" als Installation vorstellen? | |
| Als Installation wäre es ganz anders gewesen, anders strukturiert, mit mehr | |
| Episoden. Aber das ist mir nie in den Sinn gekommen. Der Film ist eine | |
| Einheit und soll als solche gezeigt werden. Bei einer Installation | |
| konzentriert man sich ja nie auf alles gleichzeitig, man schaut auf einen | |
| Bildschirm, jeder Betrachter macht seine eigene Montage. | |
| Einige Leute in Ihrem Film sind berühmt … | |
| … Ich wollte ihre Namen nicht am Anfang auflisten, sondern erst am Ende. | |
| Und ich wollte sie nicht als Berühmtheiten präsentieren, sondern als | |
| Menschen, die ihre Nöte und Leidenschaften haben wie jeder andere auch. | |
| Wenn man sie nicht erkennt, macht das nichts. Und wenn man sie doch erkennt | |
| … Nehmen Sie Marina Abramovic. Wenn Sie sie erkennen, wissen Sie, dass sie | |
| immer performt. | |
| Sie erzählt, wie sie ihren Freund verlassen musste, weil er ihr vorwarf, | |
| sie sei zu viel für ihn, zu intensiv. | |
| Ja, und sie ruft: "Ich kann einfach nicht weniger werden!" Louis Garrel | |
| erzählt auch eine Geschichte, diese Geschichten sind wirklich und | |
| unwirklich zugleich. Vom Realismus bewegen sie sich zum magischen | |
| Realismus, und da kommt "Tausendundeine Nacht" ins Spiel. | |
| Was bedeutet Ihnen das Buch? | |
| In meiner Arbeit gibt es zwei parallel verlaufende Kämpfe: Einmal geht es | |
| darum, das Leben so einzufangen, wie es ist, ohne den Bildern irgendetwas | |
| aufzuzwingen. Dann geht es aber doch auch darum, dem Ganzen eine weitere | |
| Dimension zu verleihen, wie es in den Geschichten aus "Tausendundeiner | |
| Nacht" geschieht, da stecken ja auch mehrere Dimensionen drin. Ein Beispiel | |
| wäre ein Film von Andy Warhol, Robert Indiana isst darin einen Pilz. Andy | |
| wollte sich vom Realismus wegbewegen, also hat er nicht 24 Bilder pro | |
| Sekunde projiziert, sondern 16. Das macht einen wichtigen Unterschied etwa | |
| darin,was das Licht des Projektors mit dem Filmkorn anstellt. Die Textur | |
| ist eine andere, die Bewegung auch. | |
| Sie filmen auch intime, persönliche Augenblicke. Haben Sie Angst, zu weit | |
| zu gehen? | |
| Ich bin weder Anaïs Nin noch Henry Miller. Bestimmte Aspekte des Lebens | |
| möchte ich nicht filmen, jeder hat so seine heiligen Plätze, Erinnerungen, | |
| Orte nur für sich selbst, und das möchte ich respektieren. | |
| Gibt es einen Widerspruch zwischen Filmen und Leben? | |
| Nein, da geht es mir wie Marina Abramovic. Es gibt keinen Widerspruch | |
| zwischen meiner Kunst und meinem Leben. Zu filmen ist mein Leben. | |
| 18 Feb 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Cristina Nord | |
| Cristina Nord | |
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| Nachruf | |
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